Die Ästhetik des Wetters – Philosophie trifft Patisserie

Auftakt der Reihe „Cheers to Science!“

Prof. Dr. M²d²lina Diaconu im Gespräch mit dem stv. Direktor des Österreichi-schen Kulturforums, Andrei Popov Foto: die Verfasserin

Der Himmel in Edvard Munchs berühmtem Gemälde, „Der Schrei“ könnte, so eine neuere These vonWissenschaftlern, auf eine reale Beobachtung seltener stratosphärischer Wolken nach dem Krakatau-Ausbruch zurückgehen. Foto: Wikimedia Commons


Eine neue Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Cheers to Science!“ möchte akademische Gespräche aus den universitären Räumen herausholen und sie einem breiten Publikum zugänglich machen. In ihrer ersten Ausgabe drehte es sich um Fragen wie: Wie sieht ein schöner Tag aus – meteorologisch, ästhetisch oder emotional? Welche Verbindungen bestehen zwischen Wetterphänomenen und künstlerischer Darstellung? Welche Rolle spielt der Mensch in einer zunehmend technisierten Wetterbeobachtung?  Diese Fragen in den Raum warf die Philosophin und Ästhetikerin  Prof. Dr. M²d²lina Diaconu von der Universität Wien in einer tiefgründigen Reflexion über Wetterwahrnehmung, Ästhetik und Wissenschaft.

Initiiert vom Austrian Transfer Forum, dem Französischen Institut, in Zusammenarbeit mit der Griechischen Botschaft luden die Gastgeberinnen ins Café „Pâine Goala“ ein. Zwischen Croissants, Cappuccino und Orangensaft gab es nicht nur Gebäck, sondern auch philosophisches Gedankenbaiser zu verdauen.

Eine kleine Kostprobe: Wetter als ästhetisches Phänomen

Prof. Dr. M²d²lina Diaconu, Ästhetikerin an der Universität Wien, beschäftigt sich seit 2010 mit der sinnlichen Wahrnehmung des Wetters. Zuvor forschte sie zur Ästhetik von Geschmack und Stadträumen, doch im Rahmen eines Projekts zur Stadtwahrnehmung in Wien wurde ihr bewusst, wie zentral das Wetter als alltägliches, aber oft übersehenes multisensorisches Erlebnis ist. Sie ging der Frage nach, warum wir das Wetter überhaupt als „schön“ empfinden und wie tief unsere Körper, Stimmungen und Vorstellungen mit dem Wetter verwoben sind.

„Wir erleben das Wetter in uns als Teil unserer emotionalen, sinnlichen und kognitiven Realität“, erklärte Diaconu. Begriffe wie „drückend“, „erfrischend“ oder „depressiv“ seien Ausdruck einer Alltagsästhetik, die unsere subjektive Erfahrung des Wetters prägt.

Gerade heute sei es wichtig, über Wetter auch philosophisch zu sprechen, betonte Diaconu, weil die gewohnten Rhythmen der Jahreszeiten durch den Klimawandel ins Wanken geraten: „Wenn zum Beispiel der Frühling plötzlich wie ein Sommer wirkt, dann verliert das Wetter seine gewohnte Lesbarkeit. Und mit dieser Lesbarkeit verlieren wir auch ein Stück unserer emotionalen Orientierung in der Welt.“

Die „Poesie“ der Meteorologie

Was wir heute als objektive Wetterdaten verstehen, war lange Zeit eng mit persönlicher Wahrnehmung verknüpft. Schon im 19. Jahrhundert verbanden frühe Wetterforscher systematische Messungen mit eigenen Beobachtungen, Zeichnungen und sprachlich eindrücklichen Beschreibungen. Auch heute spielt der menschliche Blick eine Rolle: Beim österreichischen Projekt „Trusted Spotters Network“ werden Bürger darin geschult, lokale Wetterphänomene präzise zu dokumentieren, als Ergänzung zur digitalen Messinfrastruktur.

Diaconu erläuterte zudem, wie stark Wetter auch kulturell und künstlerisch verarbeitet wird, etwa in Kunstwerken wie van Goghs „Sternennacht“ oder Munchs „Der Schrei“. Zwei internationale Forschungsteams kamen 2006 und 2024 unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass van Gogh erstaunlich realistische Darstellungen von atmosphärischen Turbulenzen gelungen sind, Jahrzehnte bevor es entsprechende mathematische Modelle überhaupt gab. Auch Munchs Himmel könnte, so eine neuere These, auf eine reale Beobachtung seltener stratosphärischer Wolken nach dem Krakatau-Ausbruch zurückgehen.

Metaphern, KI und Wetter-Apps"

Auch der Sprachgebrauch in der Meteorologie wurde hinterfragt: Wa-rum sprechen wir von „Fronten“  in einer militärischen Metapher? Warum gibt es Begriffe wie „Hurrikan“, „Taifun“ und „Zyklon“ für dasselbe Phänomen, je nach geografischer Region?

Und was machen Wetter-Apps mit uns? Die kleinen Piktogramme auf unseren Smartphones suggerieren Optimismus, Sonnenschein und gute Laune, ein subtiler ästhetischer Einfluss, der unsere Wahrnehmung des Wetters formt.

Während viele Wetterdienste zunehmend auf automatisierte Prognosen setzen, äußerte sich Diaconu kritisch zur Technologisierung und betonte ihre humanistische Haltung: „Ich bin daran interessiert, wo wir Menschen noch gebraucht werden – mit unserer Wahrnehmung, unserem Empfinden, unserem Körper.“

Kunst mit Wetterdaten

Zum Abschluss präsentierte Diaconu Beispiele zeitgenössischer Kunst, die mit meteorologischen Daten arbeitet. Zum Beispiel die US-Künstlerin Eve Mosher, welche mit einem Kreidewagen durch US-Städte zieht, um Hochwassergrenzen sichtbar zu machen. Andere Projekte transformieren Luftqualitätsdaten in leuchtende Lichtinstallationen. „Man genießt die Ästhetik und erschrickt zugleich, wenn man erkennt, dass sie auf Umweltzerstörung basiert“, so Diaconu.