Die Russen –  Griechen der Neuzeit?

Zu den Erinnerungen an die Stunden zur deutschen Klassik unserer Deutsch- und Klassenlehrerin Dorothea Götz gehört für mich auch die Geschichte des Laokoon und die Interpretation der Laokoon-Gruppe mit den Vater und Söhne mordenden Seeschlangen (I. Jh. vor oder nach Christus, zugeschrieben den Bildhauern Hagesandros, Polydoros und Athanadoros von Rhodos, wiederentdeckt 1516 in Rom), wie sie Johann Joachim Winkelmann vermittelte: „Edle Einfalt, stille Größe.“ Erst später kam dann – vor allem über meine Frau, die begeisterte Lateinlehrerin – das „Danaum fatale munus“ (Der Danaer unheilvolle/fatale Gabe) aus dem „Agamemnon“ Senecas und, vor allem, Vergils (nach Homer) „quidquid est, timeo Danas et dona ferentis“ (Was immer es sei, ich fürchte die Danaer, auch wenn sie uns Geschenke bringen) aus der „Aeneis“ hinzu. „Danaer“ nennt Homer die Griechen. Als geflügelte Worte oder sprichwörtliche Warnung&Wendung hat sich eine Abwandlung der Worte des Laokoon erhalten: „Misstraue den Griechen, auch wenn sie dir Geschenke bringen!“ (konkretisiert zuletzt anlässlich der Olympiade von Athen, nach dem Beitritt Griechenlands in die Eurozone und bei anderen EU-Problemen mit Grund Griechenland)

Ausgelöst hat diese Erinnerungen ein Beitrag von Dr. Alina Mungiu-Pippidi in „România curat²“ (Das saubere Rumänien): „Wir glauben den Russen nicht einmal, wenn sie die Wahrheit sagen“ betitelte sie ihren Beitrag, in dem sie meint, „wir“ (und unsere Nato-Alliierten) sollten aufhören, die Russen herauszufordern, wir sollten ihnen auch mal glauben. Wir sollten ihnen „eine neutrale Zone“ garantieren, „eine Einflusssphäre“, etwa die Ukraine, Weißrussland, Georgien… genau das, was Wladimir Wladimirowitsch mit seinen extrem einseitigen Forderungen will. Frau Mungiu-Pippidi befürwortet, was die Russen „mit ihrer Offenheitsübung“ wollen. Aufhören sollten „wir“ u.a. mit Militärübungen auf dem Schwarzen Meer, die Russland provozieren. Und übrigens: Ein Krieg mit Russland sei eh „von vorneherein verloren“, meint die oft in Amerika Dozierende. Das wüsste sogar jeder Bukarester Taxifahrer.

Niemand wird sich zur Behauptung erblöden, die Russen hätten kein Quintchen recht. Deswegen ist zumindest der Titel des Mungiu-Beitrags es wert, ein wenig vertieft zu werden. Fakt bleibt, dass es gegen Russland Riesenwälle von pauschalen Vorurteilen gibt. Dazu existiert, historisch, guter Grund – auch wenn in manchen Fällen die Russen nicht die einzigen zu Beschuldigenden sind. Und doch: Zwei Gründe zu Vorurteilen gegen Russland sind unwiderlegbar. 

Zuerst die verbissene russische Expansionspolitik ab Zar Peter I. und Kaiserin Katharina II. Vorwände: Orthodoxie, Slawophilie/Panslawismus, Kommunismus, Sicherheitsbedürfnis. Vorgeschoben, um sich auszubreiten. Dem stand als erster wirksamer Stopp die Nato gegenüber. Gegen Stopps versuchte Russland wiederholt bewaffnet anzurennen: Berlinblockade 1948/49, Ungarninvasion 1956, Tschechoslowakei 1968, Afghanistan 1980, Georgien, Tschetschenien, Armenien, Krim, Ostukraine/Donbass.

Zum zweiten, der zutiefst antidemokratische und autoritäre Grundzug des Regierungssystems in Russland. Die ungebremste Vorliebe russischer Führer, als Zaren zu gelten – und der offensichtliche Hang der Mehrheit der Russen, das unter allen Umständen zu akzeptieren. Nicht unbedingt gutzuheißen – es einfach hinzunehmen. Einem Putin, der wiederholt vom Auseinanderbrechen der UdSSR als „die große geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ spricht, ist die Absicht der Wiederherstellung Großrusslands zu glauben. Er spricht die Wahrheit. Er zeigt die Absicht einer Zurücknahme des Verlorenen offen, mit bewaffneter Faust.

Zar Wladimir lacht sich krumm über die Politikerchen in Bukarest, die versichern, wie sicher wir vor den drohenden Unsicherheiten sind, die sich östlich Rumäniens aufstauen.