Die Subsidiarität ist lebenswichtig

ADZ-Interview mit dem DFDR-Abgeordneten Ovidiu Gant

Das dritte Tätigkeitsjahr der laufenden Legislatur ging zu Ende und das Parlament hat Ferien. Dem vom Institut für Öffentliche Politiken (IPP - Institut pentru Politici Publice) durchgeführten Projekt „Alesii voteazã“ zufolge, in dessen Rahmen die Tätigkeit der Senatoren und Abgeordneten registriert wird, belegt Ovidiu Gant, der Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien, mit 99,6 Prozent den ersten Platz im Anwesenheitstop in der Abgeordnetenkammer. In der Zeitspanne 19. Dezember 2008 bis 13. Juli 2011 hatte er 69 Wortmeldungen im Plenum, richtete 38 Fragen und Interpellationen an Minister und reichte 16 Gesetzesänderungen oder Legislativvorschläge ein. Über das letzte Halbjahr der Parlamentstätigkeit und politische Tagesthemen sprach ADZ-Redakteurin Hannelore Baier mit dem DFDR-Abgeordneten. 

Wer die Berichte in den Medien verfolgt hat, erhielt den Eindruck, dass im Parlament die Skandale die Tagesordnung bestimmt haben und wenig Gesetze verabschiedet worden sind. Was ist wahr an diesem Bild?

Die beiden politischen Lager sind dermaßen verfeindet, dass einerseits in der Tat der politische Dialog im Parlament nicht mehr zustande kommt. Die Attacken, die Angriffe, die auch über die Medien laufen, sind unter aller Kanone und für einen EU-Mitgliedsstaat inakzeptabel. Andererseits wird die Gesetzesverabschiedung nicht so sehr durch die Skandale behindert, sondern die Tatsache, dass es eine knappe Mehrheit gibt und diese ist nicht imstande, sich zu mobilisieren, wenn es um Abstimmungen geht. 

Weil vor allem die Vertreter der Regierungspartei PDL nicht anwesend sind, kommt es oft vor, dass die Endabstimmungen vertagt werden. Wir haben eine lange Liste mit fertigen Gesetzen, die aber nicht zur Abstimmung kommen, weil die nötige Mehrheit im Saal fehlt. Bedingt durch diese knappe Mehrheit hat die Regierung in der laufenden Legislatur übertrieben oft die Vertrauensfrage gestellt und das Parlament dementsprechend in diesen Fällen eigentlich zu einem Zuschauer degradiert. Im Moment leidet der rumänische Parlamentarismus wegen dieser Situation, die in meiner Sicht die direkte Folge der schlechten verfassungsmäßigen Konstruktion des Staatssystems ist.


Bis zu den Parlamentsferien sollte das Minderheitengesetz verabschiedet werden, was aber nicht geschehen ist. Warum und wo ist die Debatte steckengeblieben?

Die Debatte des Minderheitengesetzes ist wieder einmal blockiert, weil der Ungarnverband (UDMR) und die PDL sich nicht über die konkreten Formulierungen einigen konnten betreffend kulturelle Autonomie sowie über das Vetorecht der Minderheitenorganisationen, wenn es um Personalfragen in Kultur- und Bildungseinrichtungen geht. Das sind die springenden Punkte. 

Wir, als Minderheitenfraktion, haben Interesse besonders an den ersten vier Kapiteln betreffend Definition der Minderheiten, Auflistung der existenden Minderheiten in Rumänien wie auch einer neuen institutionellen Konstruktion, d. h. einer Agentur für Minderheiten unter parlamentarischer und nicht unter Regierungskontrolle. Der heikelste Punkt aber bleibt Kapitel 5, betreffend die kulturelle Autonomie, das Hauptanliegen des Ungarnverbandes, und dieser Punkt generiert die Blockade. Unter diesen Umständen sehe ich keine Chancen, dass das Gesetz bis zum Ende des Jahres angenommen wird, möglicherweise auch nicht bis zum Ende der Legislaturperiode.


Welches ist die Position der Minderheitenfraktion in der Frage der Verwaltungsreform und des Vorschlags des Ungarnverbands zur Schaffung des Szeklerlandes als Verwaltungseinheit?

Der Ungarnverband hat das Szeklerland nur als Region vorgeschlagen in einem Gesetzesentwurf, der 16 Entwicklungsregionen vorsieht. Als Gegenvorschlag hat die PDL das 8 plus 2-Konzept entwickelt. Ich bin mir nicht sicher, ob letztendlich auch eine Realisierbarkeit verfolgt und die Umsetzungsfähigkeit geprüft wurde oder das Konzept nur aus taktischen Gründen erarbeitet worden ist, eben um den UDMR-Vorschlag zu blockieren. 

Unser Problem ist Folgendes: Ich bin der Ansicht, dass in Europa die Subsidiarität lebenswichtig ist. Rumänien leidet sehr unter einem zentralistischen System. Einem System, welches bürokratisch, langsam und korrupt ist. Deswegen wäre es wünschenswert, eine Regionalisierung durchzuführen. Allein, ich hab es schon gesagt, das vorgeschlagene Konzept an sich ist schön und gut, entscheidend aber sind die Details. Ich habe die Frage gestellt, welche Ressourcen und neuen Kompetenzen die Zentralregierung an die Regionen und Gemeinden abgeben will. 

Die Antwort lautete: keine. Wenn man eine solche Antwort von der Koalition bekommt, war meine Antwort darauf die einzig mögliche und richtige: Dann werde ich dagegen stimmen. Ich sehe nicht ein, den Kreis Hermannstadt/Sibiu oder Temesch/Timis aufzulösen um dann für die gleichen Sachen nach Bukarest fahren zu müssen und damit die Gemeinden nichts davon haben. Eine weitere Frage, die sich stellt: Was geschieht mit dem Eigentum der Kreise? Wird dieser an die Gemeinden übertragen oder hinauf zu den Regionen? Wird dann Hermannstadt zu einer Annexe von Kronstadt/Brasov und müssen wir dann mit ausgestreckter Hand nicht nur nach Bukarest sondern auch nach Kronstadt laufen, anstatt hier vor Ort die Ressourcen zu verwalten? Ressourcen die, wohlgemerkt, von der Gemeinschaft hier vor Ort generiert werden. Es ist nicht so, dass Bukarest Hermannstadt etwas gibt, so wie den armen Kreisen, sondern aus Bukarest kommt ein kleiner Teil dessen zurück, was hier erwirtschaftet und nach Bukarest abgeführt wird. Bis diese entscheidenden Details einer tatsächlichen Dezentralisierung nicht geklärt sind, kommt es nicht in Frage, für eine inhaltslose neue Form, die uns nur Nachteile bringt, zu stimmen.


Wird der Vorschlag von Präsident Bãsescu betreffend die Verwaltungsreform im Herbst nicht ins Parlament kommen?

Das glaube ich nicht. Sollte es dazu kommen, wird es keine Mehrheit geben. Die Koalition kann sich dadurch nur blamieren. Sollte die Vertrauensfrage gestellt werden, hat der Ungarnverband klipp und klar erklärt, er würde den Misstrauensantrag mittragen wollen, falls die Opposition ihn einreicht. Dieses Risiko wird die PDL nicht eingehen. Zumal auch die Minderheiten, vielleicht nicht alle, aber einige, dagegenstimmen werden.


Welches Schicksal wird die Initiave des Präsidenten betreffend die Verfassungsreform haben?

Da kann ich ab initio sagen, dass die Aussichten gegen Null tendieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass die vom Präsidenten vorgeschlagenen Veränderungen angenommen werden, sind sehr gering. Ich habe mich gegen den Entwurf auch öffentlich ausgesprochen. Ich bin für eine ganz klare parlamentarische Republik mit einem Zweikammern-Parlament und meine Fraktion trägt diese politische Meinung mit. Wir halten auch nichts von der Immunitätsaufhebung betreffend Verhaftung der Abgeordneten. Es geht einfach nicht, dass in Bukarest irgendwelche Ignoranten aus populistischen Gründen solche Sachen vorschlagen! 

Ich kenne aus der Geschichte den Fall, wo in einem Bundestag ein Ermächtigungsgesetz für den Bundeskanzler abgesegnet worden ist, wo die Abgeordneten der Opposition vorher verhaftet worden waren. In Rumänien sieht es in der Geschichte nicht viel besser aus. Denken wir an Carol II., Antonescu oder Ceausescu: Da haben wir die Personaldiktatur in drei unterschiedlichen Formen. Wenn Deutschland und Italien aus dem Zweiten Weltkrieg etwas gelernt haben und eine klassische parlamentarische Republik aufgebaut haben, wäre es vielleicht nicht verkehrt, wenn Rumänien ähnlich vorgehen würde.


Wichtiger als die Stimme, die der Abgeordnete einer Minderheitenorganisation bei der Verabschiedung eines Gesetzes haben kann, ist die Lobby, die er für die Minderheit macht. Welches sind die Prioritäten zurzeit in diesem Bereich?

Da gibt es sehr Unterschiedliches. Einerseits haben wir vor Kurzem mit der Entwicklungs- und Tourismusministerin Elena Udrea verhandelt, damit die Projekte des Kreises Hermannstadt und jene der DFDR-Bürgermeister im Kreis Hermannstadt und Sathmar/Satu Mare durch dieses Ministerium finanziert werden. Von Bildungsminister Daniel Funeriu haben wir verlangt, Schulbücher in den Sprachen der Minderheiten nachzudrucken und brachten da einen konkreten Vorschlag betreffend die Finanzierung ein, der bei der Haushaltsumschichtung beachtet werden wird. Selbstverständlich wird die Diskussionen betreffend Minderheitengesetz weiter verfolgt.

In der letzten Zeit sind wir besorgt in einer Problematik, die nicht die rumänische, sondern die Bundesregierung betrifft, nämlich den Vorschlag, das deutsche Konsulat in Temeswar/Timisoara aufzulösen. Als deutsche Minderheit betrachten wir dies als inakzeptabel und werden dementsprechend in Gesprächen mit den deutschen Politikern versuchen, dies zu verhindern. Ich hoffe aber, dass sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle an seinen Besuch in Rumänien erinnert und an sein Versprechen, die deutsche Minderheit zu unterstüzen. Wenn er das tut, wird er diesen Vorschlag zurücknehmen wollen. 

Ansonsten bewegen wir uns langsam in Richtung Jahresende und damit die Debatte betreffend den Haushalt 2012. Es ist klar, was wir erwarten, nämlich, dass er für die Minderheitenorganisationen nicht reduziert wird. Nächstes Jahr werden 20 Jahre gefeiert seit dem Unterzeichnen des deutsch-rumänischen Staatsvertrags. Ich hoffe, dass wir den unter guten Bedingungen feiern dürfen, ohne von Schließungen oder Misständen sprechen zu müssen, sondern ich hoffe, dass wir im Gegenteil Anlässe zum Feiern haben werden.


Mittlerweile steht fest, dass die Volkszählung zwischen dem 20. und 31. Oktober stattfinden wird. Was ist dabei wichtig für die deutsche Minderheit?

Ich glaube, es ist wichtig, dass jeder Einzelne sich daran korrekt beteiligt und seine Volkszugehörigkeit erklärt. Dabei ist es egal, ob er von sich selbst angibt Landler, Sachse, Zipser oder Schwabe zu sein, weil diese zum Schluss zu den Deutschen dazugerechnet werden. Bei der Muttersprache wird es ebenfalls unterschiedliche Angaben geben – manche haben als Muttersprache Ungarisch oder Rumänisch –, wichtig und relevant aber ist die Zugehörigkeit zur deutschen Gemeinschaft. Im demokratischen Rumänien von heute muss man nichts befürchten, wenn man selbstbewusst diese Zugehörigkeit zugibt. Die Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg sind vorbei, auch jene im Kommunismus, wo man manchmal Nachteile wegen der Volkszugehörigkeit befürchten musste.