Die Unstatistik der letzten Monate

Deutschland: Überspitzte Zahlen zum Thema Armutszuwanderung

Symbolfoto: sxc.hu

„Rumänen und Bulgaren wollen deutsche Sozialleistungen beziehen“, so, oder ähnlich waren in den letzten Monaten die Schlagzeilen in der deutschen Presse. Jetzt entdeckt auch die Politik das Thema für sich. Ab 2014 gilt für Rumänien und Bulgarien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Befürchtung der Politiker: Viele kommen wegen Sozialleistungen nach Deutschland. Vor einer Gefahr für den sozialen Frieden warnt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ). Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht von einer nötigen „Einreisesperre“ für Armutszuwanderer aus den beiden Ländern. Hinzu kommt: Eine Meldung des Deutschen Städtetages hat vor geraumer Zeit ebenfalls für Unruhe und heftige Debatten gesorgt. Die Kommunen würden mit der wachsenden Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien allein gelassen, heißt es in der Meldung. Nur: stimmt das auch? Der Migrationsdienst Integration warnt vor überspitzten Zahlen. Migrationsforscher Klaus J. Bade spricht von einer überwiegenden „Eliteeinwanderung“; Robin Schneider vom Berlin Senat für Integration und Migration hätte sich eine frühere volle Arbeitsfreizügigkeit gewünscht.

Das Bild von den armen Roma aus Rumänien und Bulgarien, die den deutschen Sozialstaat überrennen, wurde in den letzten Monaten vielfach in den Medien vermittelt, seit dem der Deutsche Städtetag in einem Papier warnte, der soziale Frieden sei „durch Armutszuwanderung bedroht“ und die Kommunen seien mit diesem Problem allein gelassen worden. Zahlreiche Reportagen über Roma im Berliner Bezirk Neukölln, sowie in Duisburg, Mannheim oder Dortmund folgten in den vergangenen Monaten. Alle nach demselben Schema: bittere Armut, schlechte Wohnbedingungen, keine Heizung, viel Müll, keine Jobperspektiven. Nach Angaben von Städten und Kommunen ist in den vergangenen Jahren der Zuzug aus Bulgarien und Rumänien stark angestiegen. Es handele sich dabei vielfach um Roma, die kurz nach Ankunft und kurzfristig Gewerbe anmelden, um dann als Scheinselbstständige bestimmte Sozialleistungen, etwa Kindergeld, beziehen zu können. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich forderte vor geraumer Zeit, in der Logik dieses Informationsdrucks, eine Einreisesperre für Armutseinwanderer aus Rumänien und Bulgarien sowie „härtere Bandagen“ auf europäischer Ebene. Vielfach wird die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien einfach mit der von Roma gleichgesetzt. Da aber bei der statistischen Erfassung nicht nach Ethnien unterschieden wird, lässt sich in keinem Fall mit Bestimmtheit sagen, wie hoch ihr Anteil eigentlich wirklich ist.

Deutlich weniger Zuwanderer

2011 seien aus Rumänien und Bulgarien rund 147.000 Personen nach Deutschland eingewandert, während es 2007 noch bloß 64.000 waren. Die Zahl habe sich mehr als verdoppelt – so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die nun für Unruhe sorgen. Bereits jetzt steht fest, dass die Zuwanderung aus diesen Ländern im ersten Halbjahr 2012 um 88.000 gestiegen ist. Der Mediendienst Integration (MDI) warnt jedoch vor überspitzten Zahlen. Die Zahl des Statistischen Bundesamtes, von rund 147.000 Zuzügen aus Rumänien und Bulgarien 2011 sei korrekt. Dabei werden aber die Fortzüge in den beiden Ländern unterschlagen, sowohl vom Städtetag als auch von den Medien. „Berücksichtigt man die Zahl der Abwanderer, kamen 2011 lediglich 58.350 Menschen aus den beiden neuen EU-Mitgliedsstaaten nach Deutschland. Also deutlich weniger“, so die aufklärende Schlußfolgerung vom MDI.

Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weist man darauf hin, dass aus diesen Ländern auch viele Studenten und Fachkräfte nach Deutschland kommen. Im Wintersemester 2011/2012 waren an den deutschen Universitäten allein 7000 Studenten mit bulgarischer Staatsangehörigkeit eingeschrieben. Die Beschäftigungsstatistik gibt ebenfalls keine Hinweise auf eine starke Armutszuwanderung. Die Zahl der in Deutschland lebenden Staatsangehörigen aus Bulgarien und Rumänien stieg von rund 201.000 in 2010 auf rund 253.000 in 2011, also um 25 Prozent. Im selben Zeitraum stieg aber auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus beiden Ländern von rund 56.000 auf rund 70.600 Personen an, also ebenfalls um fast 25 Prozent. „Es muss berücksichtigt werden, dass es sich auch um eine Elitenzuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland handelt“, sagte der bekannte deutsche Migrationsforscher Klaus J. Bade der ADZ gegenüber.

Volle Arbeitsfreizügigkeit ab 2014

Ab dem 1. Januar 2014 gilt also volle Arbeitsfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren. Vertreter vom Berliner Senat für Integration und Migration meinen, diese sei längst gewünscht: „Wir vom Land Berlin sind schon seit Jahren der Meinung, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit viel früher hätte passieren müssen. Wir wollten eigentlich, dass sie so schnell wie möglich geschieht, weil wir wissen, dass die Familien schon längst auf dem Arbeitsmarkt sind. Es handelt sich aber dabei oft um Schwarzarbeit“, schlussfolgert Robin Schneider, Referatsleiter für Querschnittsfragen der Integrationspolitik. Durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit sollten diese Menschen nun auch regelmäßig zum Steuernzahlen aufgefordert werden, so Schneider.

Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning (FDP) erkennt ebenfalls, dass die Armutszuwanderung aus den beiden Ländern für die Kommunen problematisch sein kann. In einem Gespräch mit Journalisten aus Mittel- und Osteuropa zeigte er sich jedoch davon überzeugt, dass man die Probleme in den Griff bekommen könne und dass die Einwanderung aus Rumänien und Bulgarien von Vorteil sein kann. Desgleichen weist er darauf hin, dass es sich dabei um EU-Bürger handelt, die seit 2007 die Freizügigkeit genießen. Den Unterschied macht er auch deutlich: „Aus Bulgarien und Rumänien kommen nicht nur Roma, sondern auch viele Studierende und Studierte. In hochqualifizierten Jobs gibt es ebenfalls eine – durchaus sehr gewünschte – Zuwanderung“, schließt Löning.