Andreea Kremm stammt aus dem Banater Bergland, sie besteht aber gern darauf, als „Banater Schwäbin“ zu gelten – sie spricht auch das Banater „Schwäbische“, sooft sie dazu Gelegenheit hat. Mit Innovationsgeist, unternehmerischem Weitblick und einem starken Team hat sie die „Netex Group“ – eine Greenfield-Gründung – zu einem international erfolgreichen Anbieter für digitale Lösungen aufgebaut. Vor wenigen Monaten wurde sie in Bukarest mit dem „Inspiring Woman Award“ im Rahmen der „Entrepreneur of the Year“-Gala der global tätigen Unternehmensberatung „Ernst & Young“ ausgezeichnet. Ihre Doktorarbeit „Emotionsanalyse in der narrativen Ökonomie“, die sie 2024 an der National University of San Diego in Kalifornien/USA verteidigte, erschien in diesem Jahr als zweisprachiger Band, rumänisch und deutsch, im Temeswarer „Cosmopolitan Art“-Verlag, vermittels einer Finanzierung des Departements für Interethnische Beziehungen an der Regierung Rumäniens. Die Dissertation wird in diesen Tagen in Kalifornien mit dem Preis für die „Dissertation des Jahres 2024“ ausgezeichnet.
Außerdem ist Andreea Kremm als Vizepräsidentin des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs „Banat“ bereits im fünften Mandat aktiv. Im Interview mit ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu spricht sie über ihren Weg zur Unternehmerin, aktuelle Projekte – und darüber, was die Hobby-Fliegerin und Sportschützin antreibt, täglich sich selbst und ihrem Team neue Maßstäbe zu setzen.
Was hat Sie ursprünglich dazu inspiriert, Unternehmerin zu werden, und welche Vision hatten Sie für Ihr Unternehmen zu Beginn?
Inspiration ist nicht das richtige Wort. Es war eher eine Notwendigkeit. Ende der 90er Jahre gab es noch kein Internet für zu Hause in Rumänien. Internetzugang war extrem teuer, über 1000 USD pro Monat für die geringste Bandbreite. Nur Schulen hatten damals Internetzugang, bezahlt durch die Soros Foundation mit der Bedingung, dass sich ein Schüler um die Server kümmert. Ich war 19 und keine Schülerin mehr. Damit hatte ich auch keinen Internetzugang mehr. Ohne Internet zu leben, habe ich mir damals schon nicht vorstellen können, aber ich hatte auch nicht das Geld, dafür zu bezahlen. Also war die Vision sehr einfach: die 1000 USD für das Internet in kleine Beträge aufteilen und an ausreichend viele Haushalte verkaufen, damit mir am Ende gratis Internet übrigbleibt. Die Idee war gar nicht, Geld zu verdienen mit meinem Unternehmen, sondern nur nicht auf das Internet verzichten zu müssen.
Sie haben Ihr erstes Unternehmen in einer Zeit gegründet, in der Hochgeschwindigkeits-Internet in Rumänien kaum verfügbar war. Was waren die größten Herausforderungen in dieser Anfangszeit?
Damals war das Internet nur über die Telefonleitung zugänglich. Man wählte sich über das Telefon mit Modems auf einen Server ein. Aber damit ein Server wirtschaftlich rentabel betrieben werden konnte, musste er an sehr viele Telefonleitungen gleichzeitig angeschlossen sein, damit möglichst viele Kunden sich pa-rallel einwählen können. Solch eine Infrastruktur hatte aber damals nur die Post und die „Telecom“ selber. Ein Kredit durch die „Banatia“ hat den Kauf eines Multiports für parallele 25 Leitungen ermöglicht, aber die rumänische „Telecom“ hat sich anfänglich geweigert, die Leitungen zu installieren, denn sie befürchteten Konkurrenz in der Telefonie. Dass wir damit Internet verkaufen wollten, war zu der damaligen Zeit wirtschaftlich und technisch unvorstellbar. Zum Glück gab es damals eine staatliche Behörde in Bukarest, deren Aufgabe eben die Förderung der wirtschaftlichen Konkurrenz war. Eine Reklamation bei dieser Behörde hat dann letztendlich die „Telecom“ überzeugt, die 25 Leitungen zu installieren.
Ihr Unternehmen hat sich mehrfach an wirtschaftliche Veränderungen angepasst. Was ist Ihrer Meinung nach das Geheimnis einer erfolgreichen Geschäftsstrategie in unsicheren Zeiten?
„Pivoting“ nennen die Amerikaner diese Strategie. Die US-Serie „Silicon Valley“ verdeutlicht das sehr anschaulich und ich kann sie jungen Unternehmern nur wärmstens empfehlen. Wenn der Wind sich dreht, müssen sich die Segel anpassen lassen, sonst bleibt das Schiff stehen oder geht schlimmstenfalls gar unter. Am Ende muss man das anbieten, wofür die zahlungswilligen Kunden gerade bereit sind zu bezahlen.
Sie haben früh mit VoIP-Technologie gearbeitet, bevor es weit verbreitet war. Wie identifizieren Sie vielversprechende Technologien, die Ihr Unternehmen voranbringen können?
Gar nicht. Meine Kunden machen das für mich. Ich muss bloß ein offenes Ohr haben für das, was gerade gebraucht wird. Technologien bieten einfach nur Lösungen für Probleme und die Probleme kommen von meinen Kunden. Das Finden und Umsetzen der Lösung ist meistens gar nicht so schwer, wenn man stets bereit bleibt, Neues zu lernen und nicht krampfhaft an „das wurde immer schon so gemacht“ festhält.
Welche Prinzipien sind Ihnen bei der Unternehmenskultur besonders wichtig?
Relevant und innovativ bleiben. Wenn man einen realen Nutzen bringen kann, findet man immer zahlungswillige Kunden.
Ihr Unternehmen ist mittler-weile in 27 Ländern aktiv. Welche Herausforderungen und Chancen ergeben sich aus der internationalen Expansion?
International aufgestellt zu sein bringt erhöhte Stabilität, aber auch erhöhtes Risiko. Man muss sich immer damit auseinandersetzen, was in jedem europäischen Land passiert, die guten und die weniger günstigen Entwicklungen im Auge behalten. Man ist zwar damit gleichzeitig jedem möglichen Länderrisiko ausgesetzt, aber auch von keinem einzelnen Markt abhängig.
Als Geschäftsfrau in der IT- und E-Commerce-Branche – welchen Rat würden Sie jungen Unternehmerinnen geben, die in dieser Branche Fuß fassen möchten? Welchen Rat würden Sie allgemein jungen Frauen geben, die Ihr eigenes Business auf die Beine stellen wollen?
Ja nicht auf den 3%-Geschäftsplan reinfallen! In allen Business-Büchern für Anfänger findet man die Milchmädchenrechnung: der Markt ist X Millionen groß und wenn man nur 3% des Marktes erobert, hat man es geschafft. Das ist der allergrößte Quatsch und daran scheitern sehr viele Jungunternehmer. Es ist viel sinnvoller, zuerst zahlungswillige Kunden zu finden und dann eine Firma zu gründen, als einen Businessplan zu machen und sich für das Startkapital zu verschulden.
Frauen kann ich nur raten: vollumfänglich die Vorurteile der Männer ausnutzen! Nicht widersprechen, wenn man für blond-doof oder hilfebedürftig gehalten wird, sondern nur lächeln und weitermachen. Je mehr man unterschätzt wird, umso leichter ist es, das zu erreichen, was man möchte. Es hilft außerdem, sich mit erfahrenen, älteren Geschäftsleuten (beider Geschlechter) zu umgeben. Der Deutschsprachige Wirtschaftsclub „Banat“ (www.dwc.ro) bietet z.B. für Jungunternehmen den perfekten Rahmen zum Austausch und zum Lernen.
Sie legen Wert auf nachhaltige Entwicklung. Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrem Unternehmen implementiert, um ökologisch verantwortungsbewusst zu handeln?
Ich habe ein total übertriebenes Faible fürs Pfandflaschen-Sammeln. Nachdem ich Sammelsäcke dafür in alle Küchen in der Firma gestellt habe und meine Mitarbeiter mich die Säcke mit Pfandflaschen haben wegfahren sehen, haben sie angefangen, es mir nachzumachen. Davor wusste kaum einer meiner Mitarbeiter, was Pfandflaschen sind und selbst, nachdem ich es erklärt hatte, fanden Sie den Pfandbetrag unter ihrer Würde. Es hat nicht an Informationen gefehlt, sondern am Vorleben. Mein persönlicher kleiner Beitrag zum ökologischen Verantwortungsbewusstsein ist, dass jetzt alle meine Mitarbeiter wissen, was Pfandflaschen sind und sie zurückbringen, anstatt sie wegzuwerfen. Weil meine Großeltern mir beigebracht haben: „Wer den Pfenning nicht ehrt, ist die D-Mark nicht wert“, fand ich den Pfandbetrag nie zu klein, um ihn zu kassieren.
Welche Trends und Innovationen sehen Sie in der Zukunft des E-Commerce, und wie bereiten Sie sich darauf vor?
Die Künstliche Intelligenz wird die Branche vollumfänglich revolutionieren. Wer KI nicht verwendet, wird vom Markt verschwinden. Deswegen habe ich KI in meiner Firma schon vor etlichen Jahren eingesetzt und selber trainiert, lange, bevor es vortrainierte Modelle für jedermann gab, wie es heute ChatGPT ist. Jetzt setzt nur noch die Phantasie Grenzen, man muss sich nur noch den geeigneten Einsatz überlegen, ohne sich über die Technik großartig Gedanken machen zu müssen.
Welche Gefahren verbergen sich Ihrer Meinung nach hinter der Künstlichen Intelligenz? Welche Chancen?
KI ist ein Werkzeug, über dessen sinnvollen Einsatz der Verwender entscheidet. Ein Hammer kann zum Bauen oder Zertrümmern verwendet werden. Genau-so ist es mit der KI. Es fehlt aber leider breitumfänglich an der nötigen digitalen Kompetenz für einen sinnvollen KI-Einsatz und es fehlt ebenso die Fähigkeit, kompetenten KI-Einsatz mit manipulativer Absicht zu erkennen. Digitale Kompetenz aufzubauen ist dringend notwendig.
Wie gehen Sie mit wirtschaftlichen oder technologischen Krisen um?
Meine Großeltern haben mir beigebracht, alle Einkünfte dreizuteilen: ein Drittel für „das Haus“, ein Drittel für mich und ein Drittel für das Sparschwein. Das mache ich privat und in der Firma so, wobei „das Haus“ die Betriebskosten der Firma sind, das „für mich“-Drittel die Gehälter der Mitarbeiter deckt und das Sparschwein die Bank ist. Gewinn ausgeschüttet habe ich nie, sondern immer nur reinvestiert in Wachstumspläne. Verantwortungsvolles Wachstum muss organisch finanzierbar sein, ohne Kredite. Ein finanzieller Puffer hilft einer Firma und auch privat Krisenzeiten zu überwinden, wie es z.B. die Covid-Krise war.
Sie haben einen Doktortitel in Psychologie und sind eine Befürworterin von kontinuierlicher Weiterbildung. Wie hat dieses Wissen Ihre Unternehmensführung beeinflusst? Warum war es Psychologie und kein technisches/wirtschaftliches Studium?
Mein erstes Studium war technisch. Ich habe an der TU „Politehnica“ in Temeswar studiert und wollte ursprünglich Programmiererin werden. Aber als sich im dritten Studienjahr Professoren von der Uni als Mitarbeiter bei mir beworben haben, die leider nicht die fachlichen Tests bestanden haben, wusste ich, dass ich meine Zeit an der Polytechnischen Universität verschwende. Ich hatte damals bereits über 100 Mitarbeiter. Ein wirtschaftliches Studium habe ich danach an der Fernuniversität Hagen begonnen und im ersten Semester abgebrochen, weil es ebenfalls nicht ausreichend praktisch anwendbar war für meine Firma. Es musste erst noch ein Jahrzehnt verstreichen, bis ich ein Studium gefunden habe, dass direkt umsetzbar war. Computer verstehe ich und Psychologie ist Menschenkenntnis, also das Gegenteil von Computer. Dieses Wissen kann ich täglich mit den Menschen um mich herum anwenden. Deswegen habe ich erst einen Bachelor in Psychologie an der Fernuniverstität Hagen absolviert, danach einen Master in Psychologie in Roehampton in Großbritannien und am Ende ein Doktorstudium an der National University in den USA.
Was treibt Sie heute noch an, weiterzumachen und neue Herausforderungen anzunehmen?
Alles andere wäre langweilig. Ausruhen war nie mein Ding, ich fühle mich besser, wenn ich aktiv bin und etwas unternehme. Normalerweise muss man in seinem Alltag auf die Begrenzungen anderer Menschen Rücksicht nehmen und kann sich nicht immer maximal oder mit maximaler Geschwindigkeit entfalten. Etwas Neues Lernen bildet dabei eine erfrischende Ausnahme. Wenn man Neues lernt, gibt es keine Begrenzung, außer der eigenen Leistungsfähigkeit und -willigkeit. Und daran hat es bei mir nie gemangelt.
Wieviel Freizeit hat eine Geschäftsfrau überhaupt? Was unternehmen Sie in Ihrer Freizeit?
Ich habe, genau wie jeder andere selbstständige Unternehmer, soviel Freizeit wie ich will. Jeder Tag hat 24 Stunden, jeder Mensch hat genauso viel Zeit. Es gibt nur Unterschiede was man in der Zeit entscheidet, zu tun. Denn „ich habe keine Zeit“ bedeutet ja nichts anders als: etwas Anderes ist mir gerade wichtiger. Ich verbringe meine Freizeit bei gutem Wetter gerne mit Fliegen und finde Sport treiben sehr entspannend. Meine Firma hat für die Mitarbeiter während der Covid-Pandemie einen internationalen „Keep Fit“-Club über „Strava“ eingeführt, wo ich mit Fahrradfahren, Wandern, und Krafttraining seit fünf Jahren begeistert mitmache. Seit etwa einem halben Jahr bin ich auch Sportschützin mit bereits vier Goldmedaillen in der rumänischen Nationalmeisterschaft bei Luftpistole und Kleinkaliber, Seniorinnen. Mein Ziel ist es, bis Ende dieses Jahres die Auswahl zum Kader zu schaffen, nächstes Jahr an der Europameisterschaft in München teilzunehmen, in zwei Jahren an der Weltmeisterschaft und in drei Jahren an der Olympiade in Los Angeles. Ich weiß, wie irrsinnig das klingt, wenn man sich eine Teilnahme an einer Olympiade mit 45 vornimmt und gegen die 18-Jährigen antritt, die den Sport schon seit sie Kinder waren gelernt und geübt haben. Aber es liegt allein an mir, ob ich es schaffe oder nicht und meine Selbstwirksamkeitserwartung ist grenzenlos, weil ich bisher in meinem Leben alles, was ich mir ernsthaft vorgenommen habe, auch erreicht habe.