Ein immobiles Sorgenkind aus alter Zeit und seine Rehabilitation

Moderne Kunst soll Hermannstadts Ursulinen-Kloster wieder auf die Sprünge helfen

Die Schaumstoff-Skulptur „Online“ auf einem Drehstuhl von Heidi Tradnik bedarf keiner weiteren Erklärung. In dieselbe Kritik-Kerbe schlagen auch die „Self-portrait/s“ an der Wand rechts von Roxana Alexandra Pîrvu: Unachtsamkeit in der digitalen Welt stumpft den Menschen ab, beraubt ihn sukzessive seiner Sensibilität.

Manche Türen im früheren Schulgebäude des Hermannstädter Pädagogischen Gymnasiums sehen aus, als ob sie gestern noch gebraucht worden wären.

Satirischer Blick auf das Überbewerten von Formen zum Nachteil des zu Besprechenden: „Ein nobler Plausch“ („O șuetă nobiliară“) von Constantin Scărlătescu

„Urme de spiritualitate“ (Spuren von Spiritualität) von Ioan Muntean, Bild-Restaurator am Brukenthalmuseum

Grafiker Ovidiu Batista schaut sich die Welt draußen an und ahnt, was sie tun könnte, um nicht überzuquellen. | Fotos: Klaus Philippi

Muss eine Wand, die bildender Kunst als Hintergrund dient, strikt weiß angestrichen sein? Nein. Und schön – also ohne jedes noch so kleine Fleckchen, ganz glatt und überhaupt wie aus dem Ei gepellt? Auch nicht. Dennoch tritt, was seit Samstag, dem 7. September, und noch bis Sonntag im schon seit 14 Jahren leerstehenden ehemaligen Ursulinen-Kloster Hermannstadt zeitlich auf vier Wochen befristet Sache ist, Vorbeischauenden und Kunstsuchenden eher unorthodox entgegen: nicht wegen des Altbaus in römisch-katholischem Besitz, sondern durch inhaltliche Gestaltung. Wo der ausgefallenste unter allen sieben Ausstellungsräumen der aktuell fünften Jahresauflage des Sibiu Contemporary Art Festivals (SCAF) der stiefmütterlichen Vernachlässigung seit 2010 zum Trotz keine herrenlose Kulturstätte ist, nimmt sich auch seine Beanspruchung als Kulisse für eine Expo internationaler Größe und Reichweite kaum wie eine Überraschung aus. Unvollkommene, sprich: nicht makellose Altbau-Rehabilitation kann der Moderne des 21. Jahrhunderts die schlicht perfekte Bühne bieten, wenn geschickt in Szene gesetzt. Auf die Flure, Innenwände und die Innenhöfe des Ursulinen-Klosters in Hermannstadt trifft es zu.

Rosa ist die Farbe des SCAF-Plakats und somit auch der Fußboden-Linie, die Besuchern den Parcours anzeigt; es gibt nur einen, jedoch mehrere Möglichkeiten, ihm zu folgen. Das Kloster ist bildlich zwar ein einheitlicher Altbau, aber in etliche Flügel unterteilt und folglich keine Einbahnstraße. Seine verwinkelten Stockwerke, Erdgeschosse, Treppenhäuser und Korridore, von 1948 bis 2010 Schulgebäude des städtischen Gymnasiums für Lehramts-Anwärter, stellen durchaus vor die Qual der Wahl. Vom „Päda“ am ehemaligen Standort raunt Hermannstadt noch heute. Wichtiges ins Gedächtnis eingefleischter Einwohner eingraben dafür – und das so bald und tief wie möglich – wollen genau dort auch der interimistische Brukenthalmuseums-Direktor Dr. Alexandru Chituță und sein für zeitgenössische Kunst brennendes Team. Vier Wochen Ausstellung von aussagekräftigen Fotos, Skulpturen, Mischtechnik-Werken und großen Bildern in Öl oder Acryl aus Profi-Ateliers sollen artistisches Gestalten und einen Altbau, der schon bessere Zeiten erlebt hat, zu einem untrennbaren Tandem reifen lassen.

Als Gastgeber für den Schulalltag des Pädagogischen Gymnasiums – wenn auch zwanghaft, zugegeben – hat er immerhin 62 Jahre lang funktioniert, und das Jahrzehnte hindurch sogar mustergültig. 1948 aufgelöst werden müssen hatte allein die Kloster-Gemeinschaft der Ursulinen-Schwestern, die verlockende Immobilie selbst erlitt keinen im Kommunismus irreparablen Schaden. Nach dem Eintreten in die Hauptattraktion des SCAF und dem Lösen eines Tickets den ersten Innenhof rechts liegen zu lassen und sich stattdessen die Teilräume gleich links vorzuknöpfen, führt direkt zum Aufeinandertreffen mit Nostalgie – doch nicht mit rosaroter Brille in den Farbtönungen des Festival-Plakats und auf der Besucher-Leitlinie in selber Nuance am Fußboden, sondern mit dem Blick, worauf „Nostalgie“ bei Künstler Uwe Behrens (Deutschland) abzielt: das 2021 von ihm gemalte Bild in Tönen von Weiß bis Schwarz geht einen wichtigen Schritt weiter als das bis auf Kopfhöhe von Farben und Putz befreite Ziegelrot der Kloster-Innenwände. Hier wüsste die Kunst bestimmt Auswege aus der Untätigkeit.

Aber es gibt auch das Gegenteil dazu, wovon die auf einem Haufen Ziegeln hockende Acryl-Harz-Skulptur „Blocaj“ von Ioana Cojogea zu überzeugen vermag. Was in der sie ergänzenden Sprechblase an der Wand dahinter steht? Gar nichts. Sinnkrisen hier wie dort, also in Baudenkmal-Rehabilitations-Fragen und in der manchmal recht schwierigen Kunst des Gestaltens. Richtig vor ihnen gefeit ist man nie. Zur artistischen Verwertung gedanklicher Notlagen wie zum Beispiel Ideenmangel gehört außergewöhnliches Talent und ganz sicher noch viel mehr Hingabe an das Material trotz frustrierend nicht auf Knopfdruck zum Schöpferischen geeigneter Tagesform. Kein Wunder, dass das Mischtechnik-Werk „Die Schiffbrüchige“ (Naufragiata) von Hermannstädterin Raluca Oros genau dort an der Wand hängt, wo auch die Exponate Uwe Behrens und Ioana Cojogea nicht weit weg sind. Und noch etwas: Achtsamkeit lohnt sich unterwegs allemal, um Leistungen in Raum und Zeit nicht zu vereiteln, was die Porzellan-Installation „Pas cu pas“ („Schritt für Schritt“) von Eva Andrea Szöcs (Klausenburg/Ungarn) am Boden eines logischerweise nicht zugänglichen Treppenhauses nahelegt. Aber man kann es sehen und sich klar denken, was durch Darauf-Treten unglücklich kaputt ginge. Natürlich in übertragenem Sinn, versteht sich.

Immobil steckt das kirchlich schon seit sehr langer Zeit nicht mehr aktive Ursulinen-Kloster von Hermannstadt seit Jahren tief in der Krise. Und sein immaterieller Inhalt auf Zeit, für den es noch bis Sonntag, den 6. Oktober, wirbt? Ein Zeugnis waschechter Arbeit, die das Gegenteil von Zuckerschlecken ist. Und das alles in einem Rumänien, wo Schulfächer wie Zeichnen, Musik und Sport immer stärker ins Lehrplan-Abseits verdrängt werden, gute Handwerker von Jahr zu Jahr häufiger richtig schwer zu finden sind, und außer Berufskünstlern viel zu wenig Laien gestalterisch und schöpferisch tätig zu sein versuchen. Dass dennoch groß gewollte Ereignisse wie das SCAF stattfinden, ist oft nur eine statistische Information. Wäre endlich auch der Hintergrund, vor dem sie laufen, wieder Ergebnis gesunder Basisarbeit – um die es schon einmal optimistischer stand –, könnte Rumänien auch im Nicht-Künstlerischen zufriedener auf seine Eigenleistungen schauen. Ein Hoch auf alle Erfolgshungrigen, die sich dafür nicht zu teuer sind!