Ein warmes Mittagessen für ältere Menschen in Not

Senioren-Suppenküche in Nadrag feierte 20-jähriges Bestehen

Bernhard Balsliemke (r.) und Herbert Grün fuhren zum 20-jährigen Jubiläum der Senioren-Suppenküche nach Nadrag. In der Sozialstation wurde ein Kaffeenachmittag für die begünstigten Senioren organisiert.

Ein trauriger Anblick: die Ruinen des einstigen Hüttenwerks „Ciocanul“ in Nadrag, das in den 1990er Jahren geschlossen wurde.

Marius Hu]anu (r.) mit den Mitarbeitern und Unterstützern der Suppenküche. Er ist es, der einigen Empfängern bei egal welchem Wetter das Essen nach Hause liefert. Fotos (2): Raluca Nelepcu

In das ehemalige, nun sanierte Rathausgebäude wird demnächst die Caritas-Suppenküche für Senioren ziehen. Fotos (2): Fritz Heudtlaß

Nadrag/Nădrag: Die Gemeinde am Fuße des Poiana-Rusc²i-Gebirges im Kreis Temesch/Timiș ist heute ein beliebtes Wochenend-Ausflugsziel für jene, die dem Stadttrubel entkommen wollen. Die pittoreske Landschaft um Nadrag prägen sanfte Hügel, üppige Wälder und klare Bäche. Zwar fallen den Besuchern kurz nach der Einfahrt ins Dorf die Ruinen des einstigen Hüttenwerks „Ciocanul“ sofort negativ auf, und auch die paar Dutzend kommunistischen Wohnblocks, die einst die Arbeiterschaft beherbergten, die im Hüttenwerk beschäftigt war, sind kein schöner Anblick. Dagegen steuert aber – mit Erfolg – die Natur, die den Ort im Banater Bergland umgibt. Was trotzdem nicht viele wissen: In Nadrag ist die Bevölkerung überaltert. Die Mehrheit der Jungen hat die Ortschaft auf der Suche nach Arbeitsplätzen verlassen. Zurückgeblieben sind die Alten, für die ein Neuanfang woanders nicht denkbar gewesen wäre. Insgesamt etwa 2400 Menschen leben heute in der Gemeinde – um mehr als 450 weniger als vor zehn Jahren, wie das die Daten der Volkszählungen 2021 bzw. 2011 bezeugen. 

Es war vor mehr als 20 Jahren, als Bernhard Balsliemke in Rumänien auf Urlaub war und per Zufall auch nach Nadrag kam. In Begleitung des römisch-katholischen Pfarrers Josef Hollschwandner lernte er damals die Not der Senioren kennen, die von heute auf morgen leben mussten, ohne so recht zu wissen, ob denn die niedrigen Renten, die sie monatlich bezogen, ausreichen würden, um sich das tägliche Essen zu besorgen. Bedrückend war auch die Einsamkeit vieler. Die Kinder und Enkel waren weggezogen, denn der einst florierende Industrieort bot ihnen nach der Wende von 1989, als das Hüttenwerk, der größte Arbeitgeber im Ort, geschlossen wurde, keine Arbeitsmöglichkeiten mehr. 

Aus 15 wurden 55

Bernhard Balsliemke erkannte die Not der Menschen und beschloss, zu helfen. So kam es, dass die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“ in Münster gegründet wurde und mit Hilfe des Caritasverbands der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar/Timi{oara eine Suppenküche für Senioren ins Leben gerufen wurde. Am Anfang waren es 15 Senioren, die das Mittagessen aus der Sozialstation bekamen. Dank der Unterstützung aus Deutschland konnte die Zahl der Empfänger gesteigert werden, sodass es heute 55 alte Menschen sind, die von Montag bis Freitag ein warmes Mittagessen erhalten. In der Nadrager Sozialanstalt der Caritas Temeswar erhalten auch etwa 30 Dorfkinder täglich ein warmes Mittagessen – dieses Projekt wird von der Caritas Graz unterstützt. 

In diesem Jahr feierte die Senioren-Suppenküche in Nadrag ihr 20-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass reiste Bernhard Balsliemke – wie fast jedes Jahr – mit einigen Freunden nach Rumänien, um sich das Projekt vor Ort anzusehen. „Wie ich das einschätze, ist die Not immer noch groß“, sagt er. „Wir als Interessengemeinschaft sammeln Geld, das wir nach Temeswar schicken. Damit werden die Kosten für das Essen der Senioren in Nadrag beglichen“, erklärt er. 190 Spender aus Deutschland unterstützten voriges Jahr das Nadrager Sozialprojekt. Dass die Spendengelder heutzutage nicht mehr so einfach wie früher gesammelt werden können, ist klar. Allgemein hat die Spendenfreundlichkeit der Menschen nachgelassen, und das EU-Land Rumänien gilt rein theoretisch als nicht mehr so arm wie einst. Doch die Situation vor Ort deckt nach wie vor große Probleme auf. Viele rumänische Orte sind immer noch verarmt und scheinen von der Politik ignoriert zu werden. So auch Nadrag, die kleine, malerische Ortschaft im Banater Bergland.  

Kleine oder gar keine Renten

In Nadrag leben weiterhin einige Senioren, deren Renten so niedrig sind, dass sie sich davon kaum das alltägliche Essen leisten würden. Unter den 55 Menschen, die Essen von der Senioren-Suppenküche der Caritas beziehen, gibt es auch an die fünf, die weder Rente noch Sozialhilfe bekommen. Für diese Menschen, wie auch für die alleinstehenden Senioren, ist das Essen von der Caritas-Suppenküche eine sehr große Hilfe. Das Mittagessen wird ihnen meist nach Hause geliefert, einige holen es selbst von der Sozialstation ab. Es gibt täglich zwei Gänge – eine Suppe und einen zweiten Gang, dazu Brot. Einige der begünstigten Senioren essen nur einen Teil davon und bewahren den Rest fürs Abendessen oder Frühstück am nächsten Morgen auf. Ab und zu bekommen die Senioren – zusätzlich zum Mittagessen – Konserven, Süßigkeiten oder andere Sachspenden.

36.000 Euro sammelte letztes Jahr die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“, um sie der Caritas zu übergeben. Davon konnten die Kosten für den Betrieb der Senioren-Suppenküche, die fünf Mitarbeiter beschäftigt, getragen werden. Vor Ort kümmert sich Marius Hu]anu um den guten Lauf der Dinge. Er ist es, der auch einigen Empfängern das Essen nach Hause trägt – egal, ob es draußen regnet oder bitterkalt ist. 

Ein Umzug steht bevor

Die Nadrager Suppenküche ist seit Beginn der Tätigkeit in einem Gebäude des Bürgermeisteramts in Betrieb, wofür die Caritas eine symbolische Miete von 10 Euro im Monat bezahlt. 15 Jahre lang wurde der Vertrag mit der Kommune immer wieder um ein zusätzliches Jahr verlängert, bis vor fünf Jahren die Nadrager Kommunalverwaltung beschloss, den Vertrag doch über fünf Jahre laufen zu lassen. In den vergangenen fünf Jahren wurde das Haus, in dem die Suppenküche im Betrieb ist, saniert – rund 47.000 Euro flossen in das Vorhaben. „Voriges Jahr ist aber das Thema aufgekommen, dass wir umziehen müssen, weil in dem Gebäude der Suppenküche ein staatliches Behindertenheim eingerichtet werden sollte. In der Zwischenzeit wurde das alte Rathaus renoviert – dorthin soll nun unsere Einrichtung ziehen“, sagt Caritas-Geschäftsführer Herbert Grün. Eigentlich müsste der Umzug gar nicht mehr vollzogen werden, denn in der Zwischenzeit wurde die Einrichtung des staatlichen Behindertenheims abgesagt. Doch die Nadrager Kommunalverwaltung besteht darauf, dass die Suppenküche der Caritas in das einstige Rathaus zieht – das Bürgermeisteramt ist vor wenigen Jahren in ein nagelneues Gebäude umgezogen. „Die Räumlichkeiten sind zu 90 Prozent fertig. Wir müssen uns jetzt die Genehmigungen dafür einholen“, sagt Herbert Grün. Der Umzug wird wohl in diesem Herbst stattfinden, informiert der Caritas-Leiter. 

„Ich komme mit wechselhaften Gefühlen hierher. Ich komme in ein Tal, das mir vertraut ist, und ich freue mich, wenn ich hierher komme. Doch wenn ich dann die Skelette der alten Industriegebäude sehe und feststellen muss, dass sich nichts getan hat, dann bin ich traurig und sauer zugleich“, sagt Bernhard Balsliemke. 

Bei seinem jüngsten Besuch in Nadrag wurde in der Sozialstation ein Kaffeenachmittag mit einigen der Leute, die das Essen von der Suppenküche beziehen, veranstaltet. Die Menschen unterhielten sich miteinander und verbrachten ein bisschen Zeit zusammen, bevor sie wieder in ihren von der Einsamkeit geprägten Alltag zurückkehrten. Wenn auch niemand ihnen das Miteinander sichern kann, so ist zumindest eines sicher: Solange es Unterstützung aus Deutschland gibt, bekommen sie ganz bestimmt ein warmes Mittagessen pro Tag. Dafür sorgen die Interessengemeinschaft „Hilfe für Nadrag“ und die Caritas Temeswar.