Eine außergewöhnliche Persönlichkeit

Dr. Maria Luise Roth-Höppner, Astronomin und Buchverlegerin, feiert heute ihren 95. Geburtstag

Dr. Maria Luise Roth-Höppner Foto: Eduard Schneider

In der Haftzelle in Zeiden gestickte Briefe Foto: Archiv der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstands

Sie wurde am 24. Juni 1930 in Hermannstadt/Sibiu geboren. Als Tochter des bedeutenden rumäniendeutschen Politikers der Zwischenkriegszeit, Hans Otto Roth, und seiner Gattin Paula, hatte Maria Luise Roth eine sorgenfreie Kindheit. Die Situation der Familie änderte sich nach Kriegsende und der Machtübernahme der Kommunistischen Partei. Die Politiker der Zwischenkriegszeit, selbst wenn sie so wie Hans Otto Roth demokratische Ansichten hatten und Gegner der NS-nahen Deutschen Volksgruppe in Rumänien gewesen waren, wurden verfolgt, ins Gefängnis gesperrt und ihre Familienmitglieder standen auf der Liste der vertrauensunwürdigen Personen. Maria Luise Roth konnte dennoch das Bakkalaureat ablegen und danach in Bukarest, wo niemand sie kannte, an der Wissenschaftsabteilung der Physikhochschule ihr Wunschfach Astronomie studieren. Mit „befleckter“ Herkunft – d.h. als Tochter eines „bürgerlichen“ Politikers – war es illusorisch, auf eine Stelle in einem Forschungsinstitut oder gar Astronomischen Observatorium zu hoffen. Sie erhielt 1952 die Zuteilung in eine Schule, wo sie Physik unterrichtete. Nach zwei Jahren im Schulamt konnte sie die Stelle einer Assistentin an der Technischen Hochschule Kronstadt/Bra{ov belegen, wo sie sechs Jahre lang dasselbe Fach unterrichtete. Ebenfalls 1952 war der Vater als „ehemaliger bürgerlicher Politiker“ verhaftet worden und verstarb ein Jahr später im Gefängnis in Ghencea. Die Familie erfuhr sehr viel später von seinem Tod. Wo er begraben ist, weiß sie nicht, das Grab am Schäßburger Bergfriedhof ist leer. 

Maria Luise und ihre Mutter hatten mehrmals die Erlaubnis erhalten, den Vater im Gefängnis im „vorbitor“, im bewachten Besucherraum, zu sprechen. Über ein letztes Gespräch in klirrender Kälte in Ghencea erzählte sie einer Mitarbeiterin des Oral-history-Departements der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus und des Widerstands in Sighetul Marma]iei im Rahmen eines langen Interviews. Drei kurze Ausschnitte daraus können von der Online-Plattform von „Memory of Nations“ abgerufen werden. Es handelt sich um eine der umfangreichsten internationalen Sammlungen von Lebensgeschichten und Zeitzeugenberichten Überlebender der beiden Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Dazu gehört auch Maria Luise Roth-Höppner. 

Sechs Jahre Haft

Zusammen mit ihrem Bruder Herbert (und anderen Rumäniendeutschen) fiel Maria Luise Roth der Verhaftungswelle von 1958 (nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn) zum Opfer. In einem Kollateralverfahren zum Schwarze-Kirche-Prozess wurde sie zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das vermeintliche Vergehen: „Verschwörung gegen die soziale Ordnung durch Agitation“. Gesponnen hatte die Securitate ein Verschwörungsszenario ausgehend von einem Brief, den der Bruder zur Hochzeit aus Westdeutschland erhalten hatte. Die Korrespondenz aus dem Ausland wurde von der Securitate selbstverständlich gelesen – zumal der Brief von Fritz Theil kam. Dieser, ein Freund des Vaters, ehemals Journalist in Bukarest, vermutlich am Attentat gegen Hitler beteiligt, aber auch in Geheimdienstkreisen unterwegs, war in Rumänien in Haft gewesen und nach der Entlassung 1955 nach Deutschland ausgereist. Die im Brief mitgeteilten Informationen über das Leben in Deutschland fanden die Roths so interessant, dass sie den Brief auch weiteren Personen zeigten. Stadtpfarrer Konrad Möckel ließ eine Kopie anfertigen – und die wurde bei der Hausdurchsuchung nach seiner Verhaftung gefunden. In der Denkweise der Securitate war durch Weitergeben von Informationen gegen die soziale Ordnung verstoßen worden. Der wahre Grund der Verhaftung und Einkerkerung: Die beiden Geschwister Roth verweigerten die Mitarbeit als Informanten. Die Gefängnisse in Kronstadt, Zeiden/Codlea, Miercurea-Ciuc, Arad und Großwardein/Oradea waren bis 1964 das Domizil von Maria Roth. Ihr Trost: Der Vater hatte nicht miterleben müssen, dass seine Kinder ebenfalls hinter Gitter gebracht worden waren. 

Ebenfalls auf der „Memory of Nations“-Plattform sind zwei Episoden aus ihrer Zeit im Gefängnis zu hören: Dass es ihr recht war, lange in der Haftanstalt in Zeiden gewesen zu sein, weil ihr Bruder ebenfalls dort eingekerkert war, mit dem sie kommunizieren konnte – im Geheimen selbstverständlich. Dort gab es ein Ekel, aber auch einen freundlichen Wächter, der ließ am Weihnachtsabend ein Tannenzweiglein auf ihr Bett fallen. In Großwardein durfte sie im fünften Haftjahr erstmals wieder Zeitungen lesen. In der Absicht, die Häftlinge mit der neuen Ideologie zu speisen, erhielten diese die vor kommunistischer Propaganda strotzenden Blätter, die eigentlich nicht lesbar waren. Hungrig nach Informationen hat sie diese Zeitungen von der ersten zur letzten Seite verschlungen, um zu erfahren, was es außerhalb der Zellenmauer gibt. Man konnte ja auch zwischen den Zeilen lesen. 

Und nun?

Nach der Haftentlassung 1964 zog sie – und auch der Bruder – nach Hermannstadt zur Mutter. Diese hatte kein Einkommen, lebte vom Verkauf guter Stücke aus dem Haus, die beiden ehemaligen „politischen Häftlinge“ traute sich niemand anzustellen. Auch die Strumpffabrik, in die sie aus dem Gefängnis kommend zugeteilt worden war, wollte sie als unqualifizierte Arbeiterin nicht haben. Mit Privatstunden versuchte die Physikerin etwas zum Lebensunterhalt beizutragen. Die Familie hatte nie ausreisen wollen, nachdem aber ein Gesetz erschienen war, das ehemals politisch Verurteilten eine Anstellung in der Forschung verbot, und die Roths feststellten, dass für sie in Rumänien ein Leben in Würde nicht möglich ist, beschlossen sie, die Ausreise nach Deutschland zu beantragen. Im Sommer 1969 verließen sie das Land. Maria Luise Roth fand eine Anstellung am Astronomischen Observatorium in Hamburg, promovierte 1972 und heiratete 1979 ihren Fachkollegen, Dr. Wolfgang Höppner. 

Traumberuf, professionelle Verwirklichung, privates Glück. Aber Maria Luise, nun Roth-Höppner, fehlte etwas. 

Sie merkte bald, dass sie nicht nach Hamburg gehörte und die vom Vater geprägte Lebensbahn verlassen hatte. Ihr fehlten die Wurzeln und das Netzwerk der Beziehungen aus Siebenbürgen. Zusammen mit ihrem Mann kam sie wiederholt nach Rumänien und seit 1985 verbrachten sie die Urlaube nur mehr hier. Bei jedem Besuch suchte sie die im Gefängnis gefundenen Freundinnen auf. Diese Freundschaften pries sie erneut, als sie vor einigen Jahren längere Zeit im Krankenhaus in Klausenburg/Cluj-Napoca verbringen musste und die Freundinnen herbeieilten. Die Gefängnisjahre aber beschreibt sie als Chance: Tolerant erzogen, habe sie in der Haft erlebt, dass wir alle Menschen sind, dass es aber gute oder böse Menschen gibt. 

Von Sternen zu Büchern

Als Dr. Maria Luise  Roth-Höppner im Dezember 1989 in den Medien den Niedergang des Ceau{escu-Regimes miterlebte, stand für sie fest, dass sie nach Rumänien zurückkehren werde. Im Mai 1991 ließ sie sich mit ihrem Mann wieder in Hermannstadt nieder. Ein Astronomisches Observatorium gab es da nicht, also mussten sie sonstwas beginnen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie gründeten eine Computersatz-Firma, aus der schließ-lich der Hora-Verlag entstand. Es war der erste private Verlag in Rumänien, der vorrangig deutschsprachige Bücher – und diese nach allen Regeln des Buchdrucks – herausbrachte. Die Buchproduktion endete mit dem plötzlichen Tod von Dr. Wolfgang Höppner 2020, der Buchversand bestand auch nach dem Umzug von Maria Luise Roth-Höppner ins Dr. Carl-Wolff-Altenheim vor einem Jahr weiterhin. Einige der Kinderbücher waren in zweiter Auflage erschienen und die galt es, an die deutschsprachigen Schulen zu verschicken, doch wurden auch sonstige Interessenten beliefert und Bibliotheken bestückt.  

Im Verlauf der Jahre wurden bei „Hora“ zahlreiche Publikationen und Bücher gesetzt – darunter die „Kirchlichen Blätter“ – und bedeutende Autoren verlegt. Erwähnt seien an dieser Stelle nur Joachim Wittstock, Albert Klein, Paul Philippi, Christoph Klein, Dieter Schlesak, Helge von Bömches, Frieder Schuller. Es entstanden Kinderbücher und Reiseführer bis hin zu Fachbüchern, Bildbänden, Belletristik und Poesie. Wer mit dem Verlag gearbeitet hat weiß, welch strenger und gewissenhafter Lektor Dr. Wolfgang Höppner war.    

Nach der Rücksiedlung aus der Bundesrepublik Deutschland gründete Dr. Maria Luise Roth-Höppner den Verein „Arche Noah“, der Aus- und Rücksiedler nach Rumänien bei der Niederlassung bzw. dem Neuanfang unterstützte. Sie arbeitete zahlreiche Merkblätter und Unterlagen aus, schrieb an deutsche und rumänische Behörden und organisierte mehrere Treffen. Irgendwann schlief die Vereinstätigkeit ein, das Aus- und Rücksiedeln war einfacher geworden. 

Gestickte Briefe

Die Aus- und Rücksiedlung mitgemacht haben auch ihre gestickten Briefe. Mit roten Fäden aus einer Bluse hat sie in der Haftzelle in Zeiden, mit einer aus der Männerzelle geborgten, aus einem Draht gefertigten Nadel, auf aus einer anderen Bluse stammende Fetzchen Botschaften an die Mutter gestickt. Der freundliche Wächter, den sie „micu]u“ nannten, wohnte in Kronstadt zufällig neben der Cousine ihrer Mutter, er nahm sie mit und die Botschaften erreichten die Mutter. Typisch für Maria Luise Roth-Höppner: Sie beruhigte die Mutter und sprach ihr Mut zu, gab Ratschläge für die Verwandten der vom Todesurteil bedrohten Mitinsassen, teilte mit, ihnen ginge es gut, und eine lange Haftstrafe sei auch zu bewältigen. 

Ein außergewöhnlicher Lebenslauf. Oder lag es an der Zeit, dass er so ungewöhnlich verlaufen ist? Dr. Maria Luise Roth-Höppner meint, er sei ganz normal gewesen.