Eine Lehre von Dankbarkeit und Demut

Deutsch-Rumänische Gesellschaft Berlin bietet Unterstützung für „Speranţa“

Tony Krönert und seine Mutter Helene zu Besuch bei Claudia in Temeswar. Das Mädchen erblindete infolge eines Sturzes aus dem dritten Stock.
Foto: die Verfasserin

Ciprian ist 30 Jahre alt und liegt seit seiner Geburt im Bett. Aufrecht stehen konnte er noch nie, denn er kam mit Skelettfehlbildungen an Rückgrat, Armen und Beinen zur Welt. Sein Körper ist ganz verkrümmt und sicherlich verspürt Ciprian auch unheimliche Schmerzen, wenn er versucht, sich im Bett ein bisschen hin- und herzubewegen; doch seine Augen strahlen regelrecht vor Freude, wenn er Besuch bekommt. Und heute steht Besuch auf dem Programm: Lia Cojanu, die Vorsitzende der Rumänischen Gesellschaft „Speranţa“, Sozialassistentin Clara Ghimici, Tony Krönert, Vorstandsmitglied der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft aus Berlin, und seine Mutter Helene, selbst Sozialarbeiterin, sind gekommen, um die Familie von Rodica Mucenicu kennenzulernen.

In der Ortschaft Chevereş, etwa 20 Kilometer von Temeswar entfernt, lebt Ciprian zusammen mit seiner Mutter Rodica, deren Lebenspartner und seiner jüngeren Schwester. Das Haus konnte die Familie mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland ausbauen und teils sanieren lassen. In dem Hof laufen Hühner herum und ein schwarzer, zottiger Hund begrüßt mit lautem Bellen die Gäste. Drinnen, im Wohnzimmer, stehen zwei Fischaquarien, ein Käfig mit Wellensittichen und einer mit einem Hamster, während sich die drei Katzen des Hauses an die Beine der Gäste schmiegen. Für Tony Krönert von der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft ist es nicht das erste Mal, dass er Rumänien bereist. „Ich komme seit ungefähr zehn Jahren regelmäßig nach Rumänien und habe schon an vielen schönen Orten übernachtet. Doch diesmal wollte ich auch die ärmeren Menschen, die hier leben, kennenlernen, ich wollte von ihren Nöten erfahren und schauen, wo Sozialorganisationen helfen könnten“, sagt Tony Krönert, der sich in mehreren Organisationen aus Deutschland sozial engagiert. Seit etwa 20 Jahren unterstützt die Deutsch-Rumänische Gesellschaft die Rumänische Gesellschaft „Speranţa“ in Temeswar. Allein im vergangenen Jahr spendete die deutsche Organisation über 4000 Euro für die Speranţa-Gesellschaft. „Wir waren regelrecht überwältigt. Diese Unterstützung konnten wir gut gebrauchen“, sagt Speranţa-Vorsitzende Lia Cojanu. Tony Krönert selbst besuchte im vergangenen Jahr das Ferienhaus von „Speranţa“ im Retezat-Gebirge – hier wird jährlich ein Ferienlager für die Vereinsmitglieder veranstaltet. Die Rumänische Gesellschaft „Speranţa“ hat sich seit 1990 zum Ziel gesetzt, Familien mit behinderten Kindern unter die Arme zu greifen. Heute sind etwa 700 Familien Mitglieder im Verein – die Familie von Rodica Mucenicu gehört dazu.

Zurück nach Temeswar. Am Rande des Modern-Viertels sind in den letzten Jahren zahlreiche Häuser und Villen reicher Stadtbewohner entstanden. Doch geht man mit offenen Augen durch diesen Stadtteil, so fällt einem sofort die gewaltige Diskrepanz zwischen Arm und Reich auf. Die Tür öffnet sich zu einem engen Gang, den man kaum als „Innenhof“ bezeichnen kann. Linker Hand stehen, aneinandergereiht, mehrere Ein-Zimmer-Wohnungen, ganz am Ende befindet sich die Wohnung, wo Irina Lobonţ mit ihrem geistig behinderten Mädchen Claudia (29) lebt. Über dem kalten Betonboden liegt ein schmutziger Teppich, links steht ein Waschbecken voller Geschirr und ein Ofen, der mit einer Gasflasche betrieben wird, und rechts gibt es einen Herd, der mit Holz funktioniert und die einzige Heizungsquelle in dem Raum ist. Das Fenster mit Sicht auf einen Hof voller Bauschutt hat oben rechts ein großes Loch, das mit Karton bedeckt wurde. „Ich muss das Fenster reparieren“, sagt die hagere Frau betrübt. Für die gemietete Wohnung, die kein eigenes Bad besitzt, zahlt sie 300 Lei im Monat.

Auf dem einzigen Bett im Raum, in dem Mutter und Tochter gemeinsam nachts schlafen, sitzt Claudia. Sie ist geistig behindert, doch seit vielen Jahren ist sie auch blind. Ihr Augenlicht verlor sie infolge eines schweren Unfalls – mit 7 war sie aus dem dritten Stock eines Gebäudes gestürzt. Durch eine Augenoperation könnte sie wieder sehen, doch das notwendige Geld kann die Mutter unmöglich allein aufbringen. Über 1000 Euro würde die OP kosten. Claudia redet schnell und ist sichtbar erfreut über den Besuch. Sie zeigt den Gästen ihre Lieblingsspielzeuge – alles Sachen, die verschiedene Laute und Melodien von sich geben. Diese Geräusche machen Claudia glücklich. „Ich habe das Gefühl, dass das soziale Engagement, insbesondere jenes von jungen Leuten in Rumänien, nicht sehr stark ausgeprägt ist. Die jungen Menschen sind zwar sehr gut ausgebildet, aber sie denken nur an eins – nämlich daran, das Land zu verlassen“, sagt Tony Krönert, der bei seiner diesjährigen Rumänien-Reise mehrere Mitglieder der Speranţa-Gesellschaft kennenlernen durfte. „Wir haben Familien besucht, die sehr herzlich waren. Ihre Häuser waren zwar teilweise in einem sehr schlechten Zustand, aber die Menschen waren mit dem Herzen dabei und sie waren stolz auf das, was sie haben. Das ist für mich eine Lehre, dankbar zu sein für das, was man hat – unabhängig davon, wie viel man hat“, sagt er.

Die Gäste aus Deutschland haben für die Familien, die sie besuchen, Päckchen mit Lebensmitteln mitgebracht. Eine kleine Geste, für die sich aber die Menschen sehr dankbar gezeigt haben. „Überall, wo wir hingekommen sind, haben wir die Menschen mit dem Herzen gesehen“, sagt Tony Krönert. „Diese Herzlichkeit ist etwas, was man in Deutschland ein bisschen vermisst. Deswegen war dieser Rumänien-Besuch eine Lehre von Demut und Dankbarkeit“, betont er. Unterstützung für die Rumänische Gesellschaft „Speranţa“ soll es auch in Zukunft geben, sagt Tony Krönert. „Nach meiner Rückkehr werde ich über die Leute und ihre Nöte berichten und wieder Gelder sammeln“, verspricht er.