Geborgenheit. Vertrautheit. Verstanden werden

Zweites Großes Sachsentreffen stand unter dem Motto „Heimat ohne Grenzen“

Rund 2200 Trachtenträger defilierten vor der Bühne.

Erste Reihe v. l.: Raluca Turcan (Kulturministerin), Astrid Fodor (Bürgermeisterin Hermannstadt), Carmen und Präsident Klaus Johannis, Martin Bottesch (Vorsitzender Siebenbürgenforum), Dr. Paul-Jürgen Porr (Präsident DFDR), Botschafter und Ehrengäste

Bücher und Zeitungen gab es gratis am ADZ-Stand.

Gute Stimmung auf dem Großen Ring - auch bei der Jugend

Selten so voll: die schmucke, frisch restaurierte evangelische Stadtpfarrkirche

Deutsche Blasmusik auf dem Huetplatz

Vitrine mit dem Goldenen Freibrief, älteste Kopie

Ausstellung Sieglinde Bottesch im Brukenthalmuseum: naiv anmutende ländliche Motive und organische Formen bestimmen die beiden Räume

Konzert mit Peter Maffay, Deutschrocker mit siebenbürgischen Wurzeln

Dicht gedrängte Menschenmenge vor dem Konzert

Ist Heimat ein Ort – oder eher ein Gefühl, das mit einem Ort in Verbindung steht? „Heimat ohne Grenzen“ erleben die meisten Siebenbürger Sachsen inzwischen aus der Ferne. Doch Siebenbürgen tragen viele noch im Herzen: in der Erinnerung aus der Vergangenheit, als im Heute verbindendes, identitätsstiftendes Element, als Ziel sinnstiftender Projekte für die Zukunft. Als Zentrum der kollektiven Sehnsucht, die man den Kindern und Kindeskindern zumindest begreifbar machen möchte. Die man auslebt in Vereinen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA und Kanada – und zumindest alle vier Jahre am Ort des Ursprungs: in Siebenbürgen, zum Großen Sachsentreffen, gemeinsam mit den hiesigen Landsleuten.

Vom 2. bis zum 4. August fand in Hermannstadt/Sibiu – pandemiebedingt verspätet – das zweite Große Sachsentreffen seit 2017 statt. Eröffnet wird es auf dem Großen Ring von Martin Bottesch, Leiter des Siebenbürgenforums, Ilse Welther, Vorsitzende des HOG-Verbands in Deutschland und Rainer Lehni, Präsident der Föderation der Siebenbürger Sachsen und Bundesvorsitzender derselben in Deutschland. An allen Ecken und Enden der Stadt hört man wieder Deutsch, trifft im Gewusel zwischen dem Großen, dem Kleinen Ring und dem Huet-Platz langvermisste Freunde; überlegt, wo man dieses oder jenes Gesicht zuletzt gesehen hat – auf einem der jährlichen Sachsentreffen, der Haferlandwoche, dem Dinkelsbühler Heimattag oder einem der vielen lokalen Treffen in den Dörfern, die auch jetzt vor und nach dem Hauptereignis den Siebenbürgen-Sommerkalender füllen? 

Das Großereignis will vor allem auch die Jugend erreichen: ein umfassendes Unterhaltungsprogramm im Jugendpavillion soll die in der Ferne Geborenen neue Bindungen zur alten Heimat und den hiesigen Altersgenossen knüpfen lassen.

Mega-Ereignis mit mehreren Highlights

Rahmende Höhepunkte sind: der Auftritt des Staatspräsidenten und Schirmherrn des Events, Klaus Johannis mit First Lady Carmen, wie bereits zum ersten Großen Sachsentreffen 2017, damals unter dem Stern der Erklärung von Hermannstadt im Europarat – die Verpflichtung, „durch die Energien der uns bereichernden kulturellen Vielfalt, durch Solidarität und Dialog ein Europa der Freiheit und Demokratie, ein starkes und sicheres, ein blühendes und konkurrenzfähiges Europa“ aufzubauen, so Johannis in seiner Rede. Und abschließend das Open Air Konzert von Peter Maffay, das den Großen Ring mit begeisterten Zuschauern füllte, gesponsert von der Michael und Veronica Schmidt Stiftung, nach dessen Farewell-Tour-2024 durch Deutschland.

Dazwischen: 2200 Trachtenträger aus allen Ländern – „so viele wie noch nie“, freut sich der Vorsitzende des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr. Und bemerkt anerkennend die Monsterleistung der Organisatoren (Siebenbürgenforum, Evangelische Landeskirche, Verbände, Vereine und Landsmannschaften auch außerhalb Rumäniens, das Departement für interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens). 

Während die Trachtengruppen vor der Menschenmenge defilieren und eine Drohne von oben filmt, übertragen auf zwei Leinwände, stellt Bottesch Redner und Ehrengäste auf der Bühne vor. Aus Deutschland: Thorsten Frei, erster parlamentarischer Geschäftsführer und Abgeordneter der CDU/CSU, Eric Beißwänger, Parlamentsmitglied in Bayern, mit  Delegation. Die Siebenbürger Sachsen weltweit und aus Deutschland vertritt Rainer Lehni, die Heimatvertriebenen Dr. Bernd Fabritius, Vorsitzender des entsprechenden Bundes. Aus Österreich ist Bundesobmann Konsolent Manfred Schuller zugegen, aus Übersee Denise Crawford, Leiterin der Alliance of Transsylvanian Saxons in den USA, und Rebecca Horeth, stv. Vorsitzende der kanadischen Landsmannschaft. 

Streiflichter zum Motto des Events

Warum nicht zurückkommen? – Die wiedergewählte Bürgermeisterin Hermannstadts, Astrid Fodor, bekennt in ihrer Rede: Einsam sei es geworden für die Hiergebliebenen, umso nötiger diese Art des Wiedersehens zwischen Menschen mit gemeinsamen Vorfahren, starkem Gemeinschaftssinn und Bindung an das „Land des Segens“. Warmherzig lädt sie ein, hier „wieder sesshaft zu werden“: Rumänien biete heute ganz „andere Chancen und Möglichkeiten“, längst bauten Rückkehrer „an etwas Neuem“, unter gegenseitigem Austausch und „mit Beistand aus beiden Ländern, Deutschland und Rumänien“. 

Weltweite, offene Familie – Für Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli bedeutet „Heimat ohne Grenzen“ eine „Gemeinschaft, in der alle willkommen sind“. Eine, die „Zugehörigkeit stiftet über Grenzen hinweg“, „ohne Einschränkungen durch Sprache, Kultur, Ethnie oder Rasse“. Eine weltweite Familie: „Dafür steht die evangelische Kirche“, sagt er.

„Hier war schon immer ein kleines Europa“ – betont Dr. Parl-Jürgen Porr.  Denn „was wir heute als europäisches Gedankengut bezeichnen – ein friedliches interethnisches und interkonfessionelles Zusammenleben“, ist hier schon seit jeher gelebt worden. „Heimat ohne Grenzen“ sei daher kein leeres Schlagwort. „Für uns alle ist das gemeinsame Haus Europa unser Zuhause“ – das es jetzt gegen „von außen gesteuerte zentrifugale Kräfte, die mit dem Brexit gipfelten“ zu verteidigen gilt! Wer hätte gedacht, dass gemeinsame Werte wie „Frieden, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Würde des Individuums“ inzwischen „von Extremisten fast in jedem unserer Länder in Frage gestellt“ würden? Man müsse wieder darum kämpfen: „Wir werden es tun, über die Grenzen hinweg!“

Die „europäische Dimension des heutigen Ereignisses“ unterstrich auch der Abgeordnete der deutschen Minderheit, Ovidiu Ganț. Einsatz und Tatkraft der Siebenbürger Sachsen seien für ihn immer wieder inspirierend – und Motivation, „unsere politischen Interessen im Parlament zu vertreten“.

Die Bindung nie verloren – haben die Heimatsortsgemeinschaften, erinnert Ilse Welther: Renovierungen, Pflege der Friedhöfe und viele Heimattreffen in Siebenbürgen stehen dafür. 

Dr. Bernd Fabritius bekennt: Was wir hier in und um Hermannstadt erleben, „gehört sicher zum Größten und Eindrucksvollsten, was in der heutigen Zeit im Bereich der deutschen Minderheiten auf die Beine gestellt werden kann.“ Dies sei in keinem anderen Land zu verwirklichen, „nicht von den deutschen Minderheiten in Polen, nicht in Tschechien, der Slowakei, in Ungarn oder in Serbien.“ Von Russland gar nicht zu sprechen... 

Auch Alter darf keine Grenze sein – den jungen Leuten näher zu kommen ist Rainer Lehni deshalb wichtig. So waren diesmal auch die Jugendvereine als Mitorganisatoren tätig. 

Zum Schluss wird Peter Maffay wird mit dem Ehrenstern der Föderation geehrt. Seine Verbundenheit mit den Siebenbürger Sachsen habe er jahrzehntelang bewiesen, so Lehni. Maffay selbst bekennt sich zu seinem Leben in zwei Welten und einer Gemeinschaft über ausgrenzende Vorurteile hinweg. 

Honterusmedaillen: Im Einsatz für die Heimat

Auf der Festveranstaltung im Thalia-Saal wurden gleich zwei Honterusmedaillen, höchste Auszeichnung seitens des deutschen Forums und der evangelischen Landeskirche, verliehen – eine an den Nordsiebenbürger Dr. Hans Georg Franchy, die andere an den aus Großau/Cristian stammenden, ausgewanderten und wieder zurückgekehrten heutigen Kurator der Kirche, Matthias Krauss.

Nach Vertreibung vor der Roten Armee, Deportation zurück und Enteignung wanderte Hans Georg Franchy mit 35 Jahren nach Deutschland aus, wo er neben seinem Beruf als Tierarzt zahlreiche Ehrenämter im Dienste der Gemeinschaft ausübte, u. a. 20 Jahre als Vorsitzender der HOG Bistritz-Nösen, erzählt Landeskirchen-Hauptanwalt Friedrich Gunesch in seiner Laudatio. Ein Meilenstein seines Einsatzes war die Unterstützung der Restaurierung der Bistritzer Stadtpfarrkirche nach dem verheerenden Brand 2008, einschließlich der Herstellung von Repliken der Bistritzer Teppichsammlung und Restaurierung der Orgel. 

Die Laudatio auf Matthias Krauss halten Dagmar Bartz und Gwendoline Roth. 1989 reiste der Großauer in die Bundesrepublik aus, „doch der Rahmen, in den er sich dort gespresst fühlte, war nicht der seinige“. Seine mitgebrachten Werte schienen dort nichts wert, bald wandte er sich wieder der alten Heimat zu, beseelt von dem Wunsch, dort etwas zu bewegen. 1994 organisierte der Rückkehrer eine Geschäftsreise nach Hermannstadt für deutsche Investoren. Er stellte die Region bei der Handelskammer München vor, gründete einen Unternehmerstammtisch für Deutsche in Rumänien, aus dem später der deutsche Wirtschaftsclub Siebenbürgenhervorging, und profilierte sein eigenes Unternehmen mit viel Pioniergeist inzwischen als „konstanter Arbeitgeber in der Region“. 1998 wurde er zum Kurator der Kirchenburg Großau gewählt, die es 2022 umfassend zu restaurieren gelang, gefolgt von der Renovierung der Orgel. 

800 Jahre Andreanum

Im Hintergrund und doch diese Tage omnipräsent: das Andreanum, der Goldene Freibrief, mit dem der ungarische König Andreas II. den Einwanderern ihre Rechte verbriefte. Physisch: als 770 Jahre altes Pergament, Kopie des 30 Jahre älteren Originals. Wissenschaftlich aufbereitet: auf Paneelen im Thalia-Saal und an der Südseite der Stadtpfarrkirche; im Zentrum einer Konferenz vom vorangegangenen Donnerstag (die ADZ wird separat berichten). Humorvoll: Im Thalia-Saal lieferten sich Thomas Șindilariu (DRI) und Harald Roth (Kulturforum östliches Europa, Potsdam) einen geistreichen Schlagabtausch: Waren die Zugeständnisse des  Königs ein Zeichen seiner  Stärke oder Schwäche?

Als wäre nie jemand fort gewesen..

Sonntagmorgen. Gottesdienst in der schmucken Stadtpfarrkirche, trotz Extrastühlen berstend voll. Trachten neben Jeans, gebockelt, bezopft und behütet. Sonnenblumen und Zinnien in locker-luftigem Arrangement vor dem Altar. Pfarrerin Bettina Kenst stellt Heimat in der Zeit der Globalisierung in Frage: Enge vs. Geborgenheit. Grenzen vs. Fremde. Tradition vs. Neues. Ist Heimat ein Ort - oder vielmehr, was dieser Ort bedeutet? Geborgenheit, Vertrautheit, verstanden werden. Ein Gleichnis aus Zacharias: Zweimal wurde Jerusalem zerstört, die Geschichte der Juden schien zu Ende zu gehen. „Wie ist das mit uns heute?“, fragt sie dann in den Raum? Soll man die Wurzeln abhaken? Die Antwort liegt im Ringsum: helle Fenster und moderne Strahler werfen symmetrische Muster aus Licht und Schatten auf weiße Mauern; das uralte, beschlagene hölzerne Portal, geschützt hinter einer gläsernen Schleuse; an den Wänden Zeichenkunst, inspiriert von Hexenprozessen; die Grabplatten der Würdenträger in der Ferula sprechen per QR-Code mit uns… Ja, es geht zusammen: Alt und Neu. Vergangenheit und Zukunft. Brüche unterstreichen nur die Kontinuität. Und als wäre nie jemand fort gewesen, berichtet Stadtpfarrer Kilian Dörr von den Neuigkeiten aus dem Gemeindeleben. Orgelklänge. Abendmahl. Handeschütteln am Ausgang. Der Himmel zerdrückt ein paar Tränen.

Was hinter uns, was vor uns liegt

Tage der offenen Tür im Teutsch-Haus, im Brukenthal-Museum. Ausstellungen und Führungen: Christusbilder in den evangelischen Kirchen Siebenbürgens, Tour durch acht Räume des Landeskirchlichen Museums, querbeet durch die Sachsengeschichte. Zweimal die Künstlerin Sieglinde Bottesch: in der Kirche mit schaurig-aparten Zeichnungen „Der Hexenzyklus“, im Brukenthal-Museum mit einer Ausstellung von Bildern und Skulpturen – Hähne mit Salami-Kämmen, aus Zeitungshälsen schreiend; Formen, wie sie die Natur vielfach ähnlich hervorbringt: Brüste, Eier, Schoten, Kürbisse, Einzeller, Kokons. 

Füße wundgelaufen. Keine Zeit mehr, eines der Theaterstücke zu besuchen, in Buchvorstellungen hineinzuschnuppern, Muße zu finden für ein weiteres Konzert. Vieles verpasst, bedauernd, lebhaft plaudernd bei Mici und Bier. Für viele geht es in den nächsten Tagen weiter: raus auf die Dörfer, zu feucht-fröhlichen lokalen Treffen – oder auch in ihre traurig-verlassenen Kirchen, wie ihnen Bischofsvikar Daniel Zikeli in der Stadtpfarrkirche wärmstens ans Herz gelegt hat. Es geht weiter.  Und es passt zusammen, das Alte und das Neue, weil es den polaren Gegensatz nicht gibt. Sondern nur den gewählten Blickwinkel inmitten der göttlichen Dreifaltigkeit.