In Rumänien schwelt orthodoxer Ausschließlichkeitsanspruch

Debatten ohne Verriss an der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Licht und Schatten auf den Tafeln an der Fakultät für Orthodoxe Theologie „Andrei [aguna“ der Lucian-Blaga-Universität Sibiu, worauf die Namen von Professoren und Alumni zu lesen sind, die es zu Mitgliedern der Rumänischen Akademie gebracht haben. Links unten an vorletzter Stelle Nicolae Corneanu, der im Januar 1990 verfügte, dass der 1948 durch politisches Dekret verbotenen Griechisch-Katholischen Kirche ihr Gotteshaus in Lugoj (Banat, Kreis Temeswar) rückerstattet wird. Vor ihm und weiteren Größen wie etwa Antonie Plămădeală oder Andrei Șaguna (beide rechts unten) verblasst die Härte von Patriarch Daniel Ciobotea und Metropolit Lauren]iu Streza.
Foto: der Verfasser

Als Patriarch Teoctist Arăpașu (1915-2007) am 18. Januar 1990 auf eigenen Wunsch vom Amt an der Spitze der Orthodoxen Kirche Rumäniens (BOR) zurücktrat, schien die fast schon nicht mehr für möglich gehaltene Zeitenwende im Land, das seinen letzten König 42 Jahre zuvor zur Abdankung gezwungen und ins Exil gedrängt hatte, komplett. Aber die Geste von Teoctist Arăpașu, die durchaus etwas Bekehrendes an sich hatte, vermochte es nicht, den gesamten Kirchenstaat mitzureißen. Anfang April 1990 gab der 75 Jahre alte Kleriker, der sich keine vier Wochen nach der blutigen Revolution vom Dezember 1989 ganz aus der Öffentlichkeit hatte heraushalten wollen, dem Druck der BOR auf sein Comeback in das Patriarchat nach.

Dass die Heilige Synode der Mehrheitskirche im streng orthodoxen Rumänien „ihren“ Teoctist Ar²pa{u dringend zurückwollte, ist wie ein Gegenstück zum Motto der Novelle „Alexandru Lăpușneanul“ zu verstehen. Wo Schriftsteller Costache Negruzzi den Fürsten der Moldau auf der Höhe des 16. Jahrhunderts forsch dekretieren lässt, „dac² voi nu m² vre]i, eu vă vreau!“ (wenn ihr mich nicht wollt, so will doch ich euch!), stieß Patriarch Teoctist Arăpașu in den frühen Morgenstunden Rumäniens, das gerade erst den Alptraum des Kommunismus beendet hatte, mit seinem Schritt hin zu Demut und Reue auf Unverständnis. So, als ob die BOR ihm klar zu verstehen geben wollte, „wenn Du uns nicht mehr leiten möchtest, so wollen doch wir von niemandem sonst als von Dir geleitet werden!“ Der Traum von einer unwiderruflichen Zeitenwende währte nur kurz. Und was bis heute andauert, sind manche spezifischen Dilemmata der BOR.


Über sie wurde an den drei Tagen des Workshops „Orthodoxie in Rumänien nach 1990. Eine literarisch-ästhetische Spurensuche“ zu Anfang der letzten September-Woche am Institut für Romanistik der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) gesprochen. Er wurde in hybrider Form veranstaltet und von nicht wenigen Teilnehmern online verfolgt. Ingrid Baltag, 1968 in Bukarest geboren, 1982 in die Bundesrepublik Deutschland emigriert und seit 1999 Lektorin für rumänische Sprache an der Humboldt-Universität zu Berlin, warf noch in der lockeren Vorstellungsrunde am Montag, dem 27. September, den zündenden Begriff der rumänischen Mentalitätsgeschichte ein. Am Dienstag darauf ergänzte sie, dass die Zuspitzungen im aktuellen Auftreten der Mehrheitskirche Rumäniens ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hätten.

Im Rückblick auf die kommunistische Epoche Rumäniens kommt die BOR zweifelsohne nicht gut weg. Teoctist Arăpașu, selbst ehemaliger Legionär, war Mitte November 1986 unter strengster Aufsicht der kommunistischen Einheitspartei als Patriarch eingesetzt worden und wagte es all die drei Jahre bis zum Fall des Eisernen Vorhangs nicht, dem diktatorischen Regime von Nicolae Ceaușescu öffentlich auch nur ansatzweise die Leviten zu lesen. Stattdessen unterschrieb er anstandslos alles, was ihm zur Protokollierung vorgelegt wurde. Der Plan des kommunistischen Regimes, die BOR nach Lust und Laune zu lenken, ging auf. Leider. Ist es jedoch gerechtfertigt, ihr ätzend nachzuwerfen, sie habe sich der Ceau{escu-Diktatur gar absichtlich angebiedert? „Dass sie sich hat instrumentalisieren lassen, um sich dadurch retten zu können, sei dahingestellt“, meint nuancierend Historiker und Osteuropa-Experte Dr. Hans-Christian Maner von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.

Der Verlust der Mitte

„Wir leben in einer polarisierten Welt, in der niemand mehr mit dem anderen spricht“, befindet Soziologin Dr. Monica Ciobanu, Professorin für Kriminaljustiz an der State University of New York-Plattsburgh (USA). Bald nach der Brandkatastrophe im Bukarester Club „Colectiv“ am fatalen 30. Oktober 2015, der einige orthodoxe Priester Rumäniens ihr Mitgefühl öffentlich versagten, kündigte Patriarch Daniel Ciobotea den Dienstvertrag von Pressesprecher Constantin Stoica.

„Vasile B²nescu ist deutlich versierter als sein Vorgänger“, bemerkt Wahlamerikanerin Dr. Ciobanu zum Kommunikationsgeschick des Fernsehprofis, der seit fast sechs Jahren nicht ohne gewissen Erfolg dafür sorgt, dass die BOR im Bild, das die nationalen Medien von ihr zeichnen, nicht untergeht. Einen noch besseren Pressesprecher kann die BOR sich tatsächlich nicht wünschen. 

Dr. Monica Ciobanu dafür betont, dass der amtierende Nachfolger von Patriarch Teoctist Ar²pa{u nichtsdestotrotz um Image-Schadensbegrenzung bemüht sein sollte. Den Drang auf Heiligsprechung orthodoxer Geistlicher, die in Rumäniens kommunistischen Gefängnissen gelitten haben, findet sie bedenklich: „Zum Sakralen erhobene Erinnerung lässt sich von okkulten Kräften viel leichter manipulieren. Wer gerne von solchen Heiligen schreibt, vermengt Legionäre (rumänisch: ´legionari´) nachträglich oft mit Sympathisanten der Bauernpartei (´Țărăniștii´) oder anderer Ideologien.“ Mehr denn je sei streng zu beachten, dass rechtsextreme und linksextreme Gesinnungen sich in der möglichen Herausbildung von Gefahren nicht voneinander unterscheiden.

Mit der Moderne tut sich die BOR ausgesprochen schwer. Prof. Dr. Hans-Christian Maner als externer Rumänien-Kenner und Insider Dr. Mirel Bănică, Alumnus der Universität Genf und Forscher der Rumänischen Akademie, stimmen überein, dass die von Bukarest aus gepflegte Orthodoxie den gleichen Kurs der Abschottung vor allem Westlichen verfolgt, mit dem im ostkirchlichen Lager auch die serbischen und ukrainischen Nachbarn liebäugeln. „Anders als die westlichen Kirchen ist die BOR im Umgang mit volkstümlicher Religiosität (rumänisch: ´religiozitate populară´) viel toleranter“, erklärt Politikwissenschaftler Dr. Mirel Bănică. „Rumänien hat den Modernismus nicht selbst erzeugt, sondern importiert. Er ist dem Land – bildlich gesprochen – auf den Kopf gestülpt worden, und die BOR weiß nicht, was damit anzufangen. Sie verzichtet darauf, proselytisch zu agieren, steht zu sich selbst, verstehend, dass der Kampf verloren ist, und versucht nicht mehr, zu überzeugen. Sie kommuniziert nur noch jenen, die bereits von ihr überzeugt sind“, meint Dr. Bănică, der selber bereits einmal zum Reliquienschrein der Heiligen Paraschiva in Iași gepilgert ist und dort 22 Stunden lang Schlange stand.

Er findet es nicht nur gut, dass die Massenmedien Rumäniens zwar zur Stärkung der volkstümlichen Religiosität beitragen, dadurch aber auch das Bild der Pilgernden stigmatisieren. Als ob Letztere nichts als ihrem Instinkt vertrauen und auf das Einschalten von rationaler Erwägung verzichten. „Überaus gerne hätte ich Sie als Reiseführer auf der Pilgerfahrt nach Ia{i begleitet. So hätten Sie dort unser Land sehr gut verstanden“, bedauerte Dr. Mirel Bănică in seinem Vortrag für den Workshop am Institut für Romanistik der FSU.

Hardlinern keinen Glauben schenken

Tatiana Niculescu interpretiert, dass „die Menschen, die der BOR voranstehen, periodisch der Versuchung des Politischen erliegen“. Die Schriftstellerin mit feinem Spürsinn für das Recherchieren von Biografien orthodoxer und geistiger Kapazitäten der rumänischen Zwischenkriegszeit und darüber hinaus hat 2006 mit ihrem Debüt-Roman „Spovedanie la Tanacu“ einen Stil geprägt, wie ihn vor ihr im Büchermarkt Rumäniens noch nie jemand gewagt hatte. 

Die Ex-Chefredakteurin des 2008 aufgelösten Rumänien-Büros der British Broadcasting Corporation (BBC) urteilt, dass die „Verirrungen der Zwischenkriegszeit Rumäniens als das verstanden werden können, was zuvor schon im 19. Jahrhundert die Gesinnung der Romantik im deutschen Sprachraum hochgezüchtet hatte“. Ihr erst kürzlich in fünfter Auflage veröffentlichter Debüt-Roman (Humanitas-Verlag) dürfte noch lange nicht als Erinnerungsliteratur gelten, befürchtet Tatiana Niculescu. Die rechtsextreme „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR) habe durchaus das Zeug zum „Kingmaker“ im Parlament.

Sie lässt sich nicht bis auf den letzten Rest entwaffnend beweisen, die mutmaßliche Seilschaft zwischen der BOR und der AUR. Die Mehrheitskirche Rumäniens einer unsauberen Meinungsbildung überführen zu wollen, wäre teilweise auch unfair, da längst nicht alle geistlich und akademisch Beschäftigten der BOR als Hard-liner ausgemacht werden können (mehr dazu siehe auf der Sonderseite ´Brennpunkt´ der ADZ vom 24. September: „Patriarchalisch, aber nicht ökumenisch!“). Von subterraner Pflege einzelner Kontakte zwischen der harschen Parteispitze der AUR und der zahlenmäßig am größten besetzten christlichen Kirche Rumäniens aber ist sehr wahrscheinlich auszugehen. Die Krux dabei ist, dass moderate Worthalter der rumänischen Orthodoxie an den Rand gedrängt werden.
Dieser Binnenzwiespalt der BOR geht stark zu Lasten all ihrer weltoffen statt nationalistisch eingestellten Geistlichen, die sich darauf berufen, predigend für eine Kirche unterwegs zu sein, die es mit der Bibel nicht nur symbolisch, sondern wörtlich nimmt. 

Dr. Iosif Cristian R²dulescu, Priester der rumänisch-orthodoxen Gemeinde Düsseldorf, findet die von Tatiana Niculescu im Roman „Spovedanie la Tanacu“ literarisch meisterhaft erzählte Geschichte des Sterbens von Irina Cornici nach misslungenen exorzistischen Heilungsversuchen „persönlich tief berührend. Es ist schwierig, in einer säkularisierten Welt über dieses Thema zu sprechen.“ Für ihn als orthodoxen Priester der bundesdeutschen Diaspora Rumäniens „hängt Intellektualisierung des Glaubens stets von der jeweiligen Person ab. Nicht intellektualisierter Glaube schließt nicht von der Gemeinschaft der Kirche aus. Ich bin ein Produkt der Orthodoxie, die sich der Ökumene geöffnet hat. Leider ist sie so nicht überall anzutreffen.“

Ethnische Verhärtung statt Weltoffenheit

Orientiert die BOR sich noch an Feindbildern, die nicht mehr mit der Realität übereinstimmen? Dr. Mihai Grigore, Alumnus der Fakultät für Orthodoxe Theologie an der Universität Bukarest und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz, räumt ein, dass die BOR zum Ethnophiletismus neigt.

Nur eine knappe Viertelstunde dauerte die Abschiedsrunde des Workshops „Orthodoxie in Rumänien nach 1990. Eine literarisch-ästhetische Spurensuche“ an der FSU Jena. Doch nach Symposien und Podiumsveranstaltungen zu solchen Fragen und Antworten drängt immer stets ein und dieselbe Kerneinsicht auf möglichst breite Akzeptanz im EU-Mitgliedsstaat der Hauptstadt Bukarest: Ohne selbstlose Unterstützung seitens der BOR vermag Rumänien seine Vergangenheit des 20. Jahrhunderts kaum zu bewältigen. So schauerliche Erkenntnisse diese Pandora-Büchse auch bergen mag – erst ihre schonungslose Öffnung und Preisgabe kann die meisten Augen und Ohren der Mehrheit Rumäniens für die Gefahren der Zukunft öffnen.

Unbedingt zu nennen ist Dr. Maria Irod, seit 2018 Privatdozentin für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Bukarest, Ex-Stipendiatin des 1994 von Andrei Ple{u gegründeten New Europe College Bukarest und im Sommersemester 2021 auf Vermittlung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Gastdozentin an der FSU Jena. Sie hat sich die Leitung des Workshops mit Prof. Dr. Hans-Christian Maner geteilt. Der Historiker aus Mainz und seit März 2019 auch Gastprofessor an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu (ULBS) rät zu Geduld. „Wenn nicht anders möglich, das Fremde fremd bleiben lassen und es sich nicht zum Feind machen.“