Kurz vor Weihnachten, vielleicht so zwischen dem 3. und dem 4. Adventssonntag, wird das Johannis-Jahrzehnt der Nachwendegeschichte Rumäniens vorbei sein. Dann wird Klaus Johannis von einer Ehrenkompagnie im Hof von Schloss Cotroceni und im Beisein seines vereidigten Nachfolgers verabschiedet, die Staatshymne wird gespielt und der Altpräsident wird in ein Auto steigen, das ihn, den unbekümmertsten Bewohner, den das Schloss je beherbergt hatte, in seine Zukunft als einen mit der Welt, und vor allem, mit sich selbst, zufriedenen Politrentner fahren wird.
Es geht dieser Tage eine Ära zu Ende, die damit begann, dass sich irgendwann mal der Physiklehrer, den die Hermannstädter zum Bürgermeister gewählt hatten, zum Größeren auserkoren glaubte. Das begann um das Jahr 2009, als man an der Dâmbovița den Mythos des für Ordnung sorgenden Deutschen aus der Mottenkiste herausholte und den Hermannstädter Bürgermeister im Kampf gegen den damaligen Präsidenten Traian Băsescu einwerfen wollte. Eine unselige Allianz, geschmiedet von der PSD, der PNL und der damaligen Hosentaschenpartei des später verurteilten Verbrechers Dan Voiculescu, wollte Johannis zum Premierminister machen, dann zum Innenminister. Letztendlich wurde nichts daraus, doch wenige Jahre später bemächtigte sich Johannis der PNL, schickte den längst arbeitsmüden Crin Antonescu auf ein für diesen gar nicht so unbequemes Abstellgleis, ließ die PNL von der PDL schlucken und präsentierte sich als demokratische, zivilisierte, westlich orientierte Alternative zum arroganten Premierminister Victor Ponta. Schritt für Schritt wollte er Rumänien jenen Segen bescheren, den er seiner Heimatstadt beschert hatte, und so mancher glaubte tatsächlich, nun werde der Westen, Deutschland vor allem, Millionen auf das Land niederregnen lassen, das einen Rumäniendeutschen zum Präsidenten gewählt hatte. Ende 2014 wurde Johannis zum ersten Mal gewählt, 2019 war die Wiederwahl ein Kinderspiel, die Kontrahentin hieß Viorica Dăncilă, falls Sie es vergessen haben sollten. Johannis verweigerte sich jedweder Debatte mit der damaligen Premierministerin. Rumäniens Demokratie hat sich unter Johannis, dem wortkargen, manchmal roboterhaft wirkenden Präsidenten, zum Schlechten gewandelt. Die Erosion demokratischer Strukturen war bestimmt nicht so stark wie in anderen Ländern Mittel- und Südosteuropas, Entwicklungen wie in Polen oder Ungarn konnten verhindert werden, ähnliche Tendenzen verlangsamt. Aber Johannis selbst hat den Sympathiebonus von 2014 und dann auch den zweiten von 2017 rasch verspielt und er hat wohl nie zu verstehen gegeben, dass er das verstanden oder dass es ihn überhaupt jemals beschäftigt hat. Im Gegenteil. Unnahbar und arrogant, verzichtete Johannis auf den Dialog mit seinem Volk, Pressekonferenzen gab es kaum, einen Pressesprecher hat er seit 2019 nicht mehr, Interviews gab er nicht oder wenn, dann nur mit vorgefertigten Antworten auf eher zahme Fragen. 2017 konnte er sich noch an die Spitze jener Bewegung setzen, die die Dragnea-PSD zwang, alle gegen den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz geplanten Maßnahmen zurückzunehmen, doch mit Ausnahme der unglücklichen Cioloș-Regierung (November 2015 – Januar 2017) und der noch peinlicheren Kabinette Ludovic Orbans und Florin Cîțus (November 2019 – November 2021) regierte immer die PSD, der Johannis das Land mit Freude zu überlassen schien. Hauptsache, es störte ihn niemand auf seinen langen Auslandsreisen, nach Afrika, nach Asien, nach Südamerika. Während der Hermannstädter Lehrer in Kenia oder in Chile die Seele baumeln ließ, in Tokio den Kaiser von Japan traf, in Florida ein Sonnenbad nahm und träumte, NATO-Generalsekretär zu werden, teilten sich PSD und PNL den Kuchen und die rumänische Gesellschaft produzierte eben jene Gestalten, deren Namen am Sonntag auf dem Wahlzettel stehen und die um das Erbe des längst entrückten Staatschefs Johannis antreten.
Noch ein Absatz zum scheidenden Staatsoberhaupt sei gegönnt. Sein Lieblingsprojekt, „România educată“, ist ein schlechter Witz, ein Hohn ohnegleichen. 2023 hat Rumänien relativ gesehen so viel Geld für das Bildungswesen ausgegeben wie Tansania, weniger aber als Uganda, Sri Lanka oder Pakistan. Das bescheinigt ein Bericht der UNESCO, der in diesen Tagen veröffentlicht wurde. Johannis, der Lehrer, war ein guter Bürgermeister in Hermannstadt. Als Präsident stand er einem Staat vor, den er im furchtbaren Pandemieherbst des Jahres 2021 als einen gescheiterten bezeichnete. Bemerkenswert aber, dass er bei sich nie einen auch noch so geringen Teil der Schuld für dieses kollektive Scheitern entdeckt hat. Nein, der Mann vergeudet bestimmt keinen Gedanken darauf. Mit Johannis hat die Selbstherrlichkeit in der rumänischen Politik ein beeindruckendes Maß erfahren. Und das ist genau das, was man ihm letztendlich vorwerfen kann. Ja, er hat Rumänien auf den richtigen außenpolitischen Kurs gehalten, obwohl er seinen angeblichen Freunden im Westen nicht allzu viel abgewinnen konnte (siehe die kollektive Schlappe Schengen oder seine lächerlichen Ambitionen, NATO-Generalsekretär zu werden); ja, er hat, wie bereits erwähnt, es verhindert, dass Rumänien den Weg gegangen ist, den Polen acht Jahre lang beschritten hat und Ungarn noch immer geht. Aber sein Amtsverständnis blieb verkehrt, und das, was die Bürger von ihm wollten, eher fremd. Vermittelt hat er eher selten, gesellschaftliche Risse nie gekittet, vielem stand er gleichgültig gegenüber. Man wird bei Johannis den Eindruck nicht los, dass es ihm vorrangig um die Privilegien seines Amtes gegangen ist und weniger um Pflichten und Aufgaben. Ein alter, eitler Mann eben. Und nun soll das Volk einen Nachfolger wählen. Eine schwere Mission. Wem soll man denn eigentlich die Stimme schenken? Würde es nach Johannis gehen, wohl seinem blassen Steigbügelhalter Nicolae Ciucă. Dem Helden aus dem Irakkrieg, der eigentlich keiner ist. Dem nachgewiesenen Plagiator, der als Premierminister alles getan hat, damit seine dumme Abschreiberei nicht vollständig aufgedeckt wird. Ciucă ist einer, der nicht viel redet, weil er eigentlich nicht reden kann. Auch soll er der Meinung sein, dass sich die Wirtschaft in die Richtung entwickeln würde, die er vorgibt. Weil er, der Ex-Militär, es quasi so befiehlt. Das berichten zumindest Unternehmer und Spitzenbankiers, die 2022 mit ihm über Inflation und Energiepreise diskutiert haben. Würde Rumäniens Gesellschaft nicht so sehr an dieser inzwischen nicht nur abstoßenden, sondern brandgefährlichen Gegenselektion politischer Eliten leiden, wäre einer wie Ciucă im besten Fall Kleinstadtbürgermeister geworden. Nun könnte er Präsident werden.
Oder doch jener, dem die erste Chance nachgesagt wird? Marcel Ciolacu, der Brezelmann aus Buzău? Ciolacu spricht viel, mehr als nötig, pariert jede Frage mit einer frechen Gegenfrage (so wie es echte Staatsmänner eben tun) und versucht eine Vergangenheit zu verbergen, die dubios genug ist, um sich einen wie ihn eher nicht auf Schloss Cotroceni zu wünschen. Aber Ciolacu hat in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen, dass er seine Partei unter Kontrolle hat, was man von Ciucă nicht unbedingt sagen kann. Und dann ist die PSD eben jene Partei, die sich am besten aufs Regieren versteht. Man nehme es wie man es wolle, spielt die PNL die erste Geige im Kabinett, gibt es Dauerstreit. Hat die PSD das Sagen, wird durchregiert. Ciolacu kommt selbstverständlich in die Stichwahl, aber genau so war es mit Adrian Năstase 2004, Mircea Geoană 2009 und Victor Ponta 2014. Am Ende reichte es dann für den PSD-Kandidaten nicht und Ciolacu könnte Ähnliches passieren. Außer er hat tatsächlich vorgesorgt und George Simion, der AUR-Kandidat, kommt in die Stichwahl. Dann werden sich Alt und Jung, Reich und Arm, der Hochschulprofessor und der Fabrikarbeiter, der Student und die Rentnerin in die Wahllokale begeben, um das Land vor dem großen Übel zu retten und das kleinere Übel zu wählen. Das Jahr 2000 lässt grüßen. Wenn es aber doch nicht so ist, wer wird Ciolacu in der Stichwahl herausfordern? Vielleicht doch Nicolae Ciucă, vielleicht Elena Lasconi, die USR-Kandidatin. Schwer zu glauben. Lasconi, durch Zufall Bürgermeisterin einer Kleinstadt, wächst nur schwer in eine Rolle hinein, die nicht für sie bestimmt ist. Man solle ihr nicht den guten Glauben abstreiten, aber ihre ideologische Verwirrtheit, diese unwahrscheinliche Paarung aus Wokeness und orthodoxem Traditionalismus, dieser unbedingte Wunsch, es allen Lagern des rumänischen Kulturkampfes recht zu machen, wirken albern und manchmal sogar irritierend. Dass Lasconi Präsidentin wird, kann man kaum glauben. Am Ende erwarten sie jene feigen Herren aus der sich mit bewundernswertem Eifer selbst zerlegenden USR, die sie nach vorne getrieben haben und nach der Niederlage wieder in die Provinz schicken wollen. Andererseits: Es sind auch andere in diesem Land durch Zufall zu Bürgermeistern gewählt worden und am Ende bewohnten sie das Schloss Cotroceni für zehn lange Jahre. Und wenn Bukarest oder Hermannstadt die Kandidaten nicht liefern können, warum dann nicht Câmpulung, dieses verschlafene Städtchen am südlichen Hang der Karpaten? Dann gibt es noch einen alten Bekannten. Mircea Geoană, den ehemaligen stellvertretenden Generalsekretär der NATO, den steifen Herrn Geoană. Früherer Botschafter in Washington und Ex-Außenminister, bestens vernetzt, soll er ein Politiker von Kaliber sein, ein seriöser Intellektueller, bereits erfüllt von der Würde des Amtes. Wer´s glaubt, wird selig. Die von Geoană so akribisch polierte Glanzfassade zeigte hässliche Risse schon vor 15 Jahren und sie sind immer noch zu sehen. Damals, als er ein Bad genommen haben soll, im Hause seines Freundes, dem verurteilten Verbrecher Sorin Ovidiu Vântu. Damals, als seine Familie, seine Schwiegermutter, sein Schwager, Staatsunternehmen leiteten und absahnten. Oder als er teure Uhren geschenkt bekam, von Marian Vanghelie, einem weiteren verurteilten Verbrecher. Um Geoană herum ist die Luft stickig. Aus der Jauchegrube, in der er sich jahrzehntelang gewälzt hat, kommt er nicht so schnell wieder heraus und die Vergangenheit holt ihn rasch ein. Seine noch im Frühjahr verzeichneten Sympathiewerte sind größtenteils verpufft. Noch viele andere Kandidaten sind der Meinung, sie könnten Rumäniens Präsident werden. Sie alle aufzuzählen, würde diesen Beitrag sprengen. Sie sind Nebendarsteller in einer Freakshow, die Rumäniens Politik alle fünf Jahre bietet. Dabei gibt es Wichtigeres. Zum Beispiel die Parlamentswahlen am 1. Dezember. Schließlich braucht man eine vom Parlament getragene Regierung. Eine Koalition mit der PSD an der Spitze ist wahrscheinlich. Abzuwarten bleibt aber, ob die PSD 2025 den Stall tatsächlich ausmisten will, nachdem sie und ihre Freunde und Freundesfreunde Jahre lang den Haushalt geplündert und ein riesiges Defizit verursacht haben, das nur noch mit harten Maßnahmen abgebaut werden kann, und sich auch noch die internationale Wirtschaftslage dramatisch zuspitzen könnte. Dass Europa vor riesigen Wirtschafts- und Verteidigungsproblemen steht, dass das Schicksal der bereits seit 2017 real schrumpfenden rumänischen Industrie von den gewaltigen geopolitischen und ökonomischen Änderungen abhängt, die sich in diesen Jahren in der Welt abspielen, dass der rumänische Staatsapparat hauptsächlich der Versorgung einer nie satt werdenden politischen Klientel dient, und dass hier Wachstum fast nur noch durch ungebremsten Konsum erzeugt wird, davon spricht wohl keiner der Kandidaten. Weder Ciucă, noch Ciolacu. Weder Lasconi, noch Geoană und wie sie alle noch heißen. Und auch die Wahlprogramme der wichtigsten Parteien scheuen sich vor der Wahrheit. 2025 wird es Einschnitte geben und sie werden schmerzhaft sein. Ein inhaltsleerer Wahlkampf, die Vortäuschung einer Realität, die es nicht gibt, bzw. die nicht mehr lange aufrechterhalten werden kann, erweisen der Gesellschaft und der Demokratie einen Bärendienst. Aber darüber wird man auch noch nach den Wahlen sprechen können. Ja, sogar sprechen müssen. Und das Wichtigste bleibt wohl die unbedingte Aufforderung, an allen drei bevorstehenden Sonntagen wählen zu gehen. Wählen Sie jene, von denen Sie glauben, sie würden Ihnen in einem Notfall am ehesten die Wahrheit sagen, die den Mut haben würden, auch jene Entscheidungen zu treffen, die ihre Wiederwahl unwahrscheinlich machen. So einfach ist es.