Wie lernt man eine andere Kultur wirklich kennen? Indem man den Bildschirm verlässt, einen Koffer packt – und sich auf das echte Leben einlässt. Genau das tun jeweils 30 Schülerinnen und Schüler aus Sathmar/Satu Mare und Abtsgmünd (Ostalbkreis) im Rahmen eines ambitionierten Austauschprojekts, das nicht nur die Klassenzimmer, sondern auch Horizonte öffnet. Das St. Jakobus-Gymnasium Abtsgmünd und das Deutsche Theoretische Lyzeum „Johann Ettinger“ in Sathmar starten ein gemeinsames Austauschprogramm, das Jugendliche über Grenzen hinweg verbinden soll – mit Gesprächen, Präsentationen, Reisen und vor allem: echter Neugier. Beide Bildungseinrichtungen streben auch offiziell eine nachhaltige Schulpartnerschaft an. Die Kooperation steht zudem in der Kontinuität des seit einigen Jahren begonnenen Schülerdialogs zwischen dem Kreis Sathmar und dem Ostalbkreis.
Europa – das ist mehr als eine Landkarte, eine Währung oder eine politische Vision. Für eine Gruppe von Neuntklässlern aus dem beschaulichen Abtsgmünd in Baden-Württemberg und dem rumänischen Sathmar ist Europa plötzlich ganz konkret geworden: Es hat ein Gesicht, eine Stimme und einen Namen. Und manchmal spricht Europa sogar mit Akzent.
Denn wenn Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern gemeinsam an einem Projekt arbeiten, sich gegenseitig vorstellen, Unterschiede diskutieren und Gemeinsamkeiten entdecken, dann wird aus dem Lehrplan ein lebendiges Erlebnis. Aus Pflicht wird Leidenschaft. Und aus mehreren Schulklassen wird ein Team – mit dem festen Willen, einander zu verstehen.
„Unsere Schule – eure Schule“: Der digitale Auftakt
Der Austausch begann im März dieses Jahres nicht etwa mit einem Koffer, sondern mit einer PowerPoint-Präsentation. In einer ersten Phase, die zwischen dem 3. und 28. März stattfand, bereiten sich die Schülerinnen und Schüler der beiden Partnerschulen aufeinander vor. Die 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Klassenstufen neun wurden in zwölf Gruppen zu je fünf Leuten aufgeteilt und erhielten jeweils ein Thema zur Bearbeitung – etwa „Unsere Stadt“, „Unser politisches System“, „Unser Landkreis“, „Unsere Schule“, „Schulsystem“ sowie „Stereotypen“. Jede Gruppe produzierte daraufhin eine Präsentation und ein begleitendes Handout, das der jeweiligen Partnergruppe in Sathmar oder Abtsgmünd vorab zur Verfügung gestellt wurde.
Das Ziel war, sich nicht nur oberflächlich kennenzulernen, sondern in Themen einzutauchen, die Einblicke in den Alltag, das Denken und Fühlen der anderen geben.
Am 28. März stand die erste große Videokonferenz an. In insgesamt sechs 30-minütigen Gesprächsrunden begegneten sich die Jugendlichen erstmals online. Es wurde sich vorgestellt, gelacht, gestaunt – und schnell auch klar, dass zwischen dem deutschen und dem rumänischen Klassenzimmer manchmal weniger Unterschiede liegen als gedacht.
Expertenkongress mit Wirkung
Doch das Projekt belässt es nicht beim ersten Eindruck. Was in den digitalen Tandemgruppen besprochen wurde, wird anschließend im Rahmen eines sogenannten „Expertenkongresses“ schulintern aufbereitet. Die beiden deutschen Gruppen, die dasselbe Thema bearbeitet haben, tauschen sich aus, vergleichen ihre Erkenntnisse und stellen diese der gesamten Jahrgangsstufe vor. Dabei geht es nicht nur um Daten und Fakten – sondern darum, zu vermitteln, was im Gespräch mitschwang: Humor, Überraschung, Verständnis.
Am Ende des ersten Projektabschnitts steht eine wichtige Entscheidung: Wer möchte den Austausch weiterführen? Denn die Reise geht erstmal für jeweils 14 bis 15 Schülerinnen und Schüler aus Deutschland und Rumänien aufgrund logistischer Gründe in eine zweite Runde – zunächst digital, dann analog. Die Auswahl erfolgt freiwillig, jedoch nicht ohne Beteiligung der Eltern, deren Zustimmung bis spätestens 28. März eingeholt werden musste.
Demokratie live: Thema gesucht
Am 3. April folgte der nächste demokratische Schritt: Die ausgewählten 30 Jugendlichen stimmten online über das zentrale Thema des Projekts ab. Zur Wahl standen unter anderem „Kulturelle Unterschiede“, „Jugendkultur in Deutschland und Rumänien“, „Nationaldichter – Goethe vs. Eminescu“ oder „Musik und Kunst als Spiegel der Gesellschaft“. Auch eigene Themenvorschläge waren erlaubt – ganz im Sinne eines Projekts, das auf Mitbestimmung und Eigenverantwortung setzt.
Parallel füllten die Teilnehmenden Steckbriefe aus, in denen sie Hobbys, Inte-ressen und Sprachkenntnisse angaben. Diese dienen einem „Matching-Prozess“, der möglichst harmonische Partnerschaften für die weiteren Phasen ermöglichen soll. Wer Heavy Metal liebt, trifft vielleicht auf Gleichgesinnte in Sathmar oder in Abtsgmünd. Wer Fußballfan ist, findet dann eventuell auch einen rumänischen Gegenpart mit Begeisterung für einen Klub.
Die Jugendlichen einigten sich letztlich auf das Thema „Jugendkultur und kulturelle Unterschiede“.
Präsentieren, diskutieren, hinterfragen
Im Mai folgt die zweite große Projektphase: die thematische Vertiefung. In einer weiteren Videokonferenz – Ende Mai – präsentieren beide Gruppen ihre Ausarbeitungen zum gewählten Hauptthema. Hier geht es tiefer: Welche kulturellen Unterschiede sind spürbar? Wie wirkt sich Geschichte auf das heutige Selbstverständnis aus? Wo gibt es überraschende Parallelen? Darüber hinaus sollen dann auch die erstellten Steckbriefe vorgestellt werden.
Die Präsentationen sollen jeweils 15 bis 20 Minuten dauern, gefolgt von einer offenen Fragerunde. Fragen wie „Was sollten wir für künftige Projekte beibehalten?“ oder „Was hat nicht funktioniert?“ sind ausdrücklich erwünscht. So wird Reflexion zum festen Bestandteil des Projekts – und nicht zum nachgeschobenen Nachsatz.
Von der Theorie zur Praxis: Die große Reise
Doch der wahre Höhepunkt steht noch bevor: der gegenseitige Besuch und das persönliche Treffen. Im Dezember dieses Jahres wollen die teilnehmenden Jugendlichen aus Sathmar nach Abtsgmünd reisen – mit Koffern, Geschenken und sicher auch einem Knoten im Bauch.
Im Frühling 2026 ist der angestrebte Gegenbesuch der deutschen Jugendlichen im Nordwesten Rumäniens geplant. Jeweils eine Woche leben sie bei ihren Austauschpartnern und Gastfamilien, tauchen in die jeweilige Lebenswelt ein, lernen Familien, Freunde, Alltagsroutinen, die Partnerschule und Kultur kennen.
Ein buntes Programm für die jeweiligen besuchenden Schülerinnen und Schüler soll einen guten Rahmen für den Austausch und das Kennenlernen bieten.
Ein Projekt mit Perspektive
Was als Experiment begann, soll kein Einzelfall bleiben. Beide Schulen wünschen sich, das Projekt jährlich mit neuen Klassen fortzuführen – als festen Bestandteil ihrer pädagogischen Arbeit und als Symbol für eine gelebte europäische Partnerschaft beider Regionen. Der Kontakt zum Sathmarer Ettinger-Lyzeum wurde durch Birgit Bort vom Landratsamt des Ostalbkreises hergestellt. Der bisher jährlich durchgeführte Schülerdialog, an dem beide Landkreise partizipierten, trägt nun auch weitere Früchte.
Denn am Ende ist es nicht das perfekte Deutsch oder Rumänisch, das zählt. Es ist die Bereitschaft zuzuhören. Fragen zu stellen. Und sich auch mal über Unterschiede zu wundern, ohne sie zu bewerten.
Dieses Austauschprojekt ist keine Klassenfahrt im klassischen Sinne. Es ist ein Stück Europa, das durch junge Menschen mit Leben gefüllt wird. Offen, neugierig, ehrlich. Und sicher auch ein bisschen mutig.
Denn wer als Jugendlicher die Tür zu einem fremden Zuhause öffnet, öffnet vielleicht auch die Tür zu einer Zukunft, in der Unterschiede nicht trennen, sondern verbinden.