Rollendiebe

Symbolbild: sxc.hu

Als ich das erste Mal in Rumänien einen Kurs in einer öffentlichen Institution absolvierte, fiel es mir gleich auf: das kleine Tischchen neben der Tür, auf dem der Wasserspender stand. Links neben diesem ein paar geizig rationierte Plastikbecher, obwohl man zumindest für ein Heißgetränk lieber zwei ineinander stecken sollte, weil sich das labbrige Ding beim Anfassen so eindellt, dass einem die verdrängte Flüssigkeit über die Finger schwappt. Dann heißt es, Schmerz verbeißen und hektisch blasen – oder lieber mit einem erschreckten Aufschrei alles fallen lassen? Daneben noch eine Schachtel Teebeutel, freundliche Spende der Kurssekretärin, und – ja, was war denn das? Da standen doch tatsächlich eine Rolle Klopapier, graurosa und so weich wie Baumrinde, ein Schälchen Seife und ein Handtuch! In der Pause beobachtete ich die Kursteilnehmer – allesamt Rumänen – wie sie brav ein Stück von der Rolle wickelten und sich mit Handtuch und Seife auf den Weg machten. Wie das Darmol-Männchen mit Schlafmütze, Kerze und Klorolle aus der Werbung für Abführmittel, die mir noch aus Großmutters Zeiten erinnerlich ist! Aus der gewählten Anzahl der Zettel könnte man jetzt Schlüsse ziehen... Na, so weit wollen wir nicht denken.
Doch warum so umständlich? Warum damit so auffällig durch die Gänge wandern? Warum lässt man das Zeug nicht einfach dezent im Örtchen? So dachte ich damals, als Uneingeweihte. Aber auch als jemand, der lieber geschäftig mit Schriftmappe und Telefon die Gänge entlangeilt, als mit solch peinlich eindeutigen Utensilien...

Nicht etwa, dass mir damals nicht längst aufgefallen wäre, dass öffentliche Toiletten in Rumänien eine derartige Ausstattung oft vermissen lassen. Vielleicht reicht das Budget der Schule, des Kinos oder des Theaters einfach nicht für die Anschaffung von Seife und Papier? Wir leben in einem armen Land, versuchte ich mir zu erklären. Doch selbst bei Veranstaltungen, die das Ausstatten der Häuschen zwingend voraussetzen – nicht nur wegen des zu erwartenden Besucherandrangs, sondern weil der festliche Rahmen derartige Armutsbekenntnisse unglaubhaft erscheinen ließe – findet man allenfalls ein paar dünne Zettelchen auf halbnackten Röhren. Verbrauchen sie sich so schnell? Oder sind die noch von der Vorveranstaltung übrig? Statistisch gesehen müsste man doch irgendwann mal der Erste an der neuen Rolle sein! Oder gibt es vielleicht den Dienstposten eines Klopapierabwicklers, der dafür sorgt, dass nie zu viel auf der verteilten Rolle ist? Dass ich selbst nach langjähriger Beobachtererfahrung nie vollständige Rollen zu Gesicht bekam, stimmte mich immer nachdenklicher. Lange kam ich dem Geheimnis nicht auf die Spur. Bis es eines Tages geschah – der ultimative Anpassungsmoment an meine Wahlheimat!
Es war in einer Autobahntoilette. Man staune, dort gab es eine niegelnagelneue Rolle! Dick, weich, plüschig, eine Freude für jedes Hi.... Naja. Jedenfalls ertappte ich mich dabei, ein bisschen mehr von diesem Luxusobjekt abzuwickeln und den Überschuss unauffällig in die Hosentasche zu schieben, nach dem Motto „Wer weiß, wann’s wieder was gibt!“ Auf einmal durchfuhr es mich siedendheiß: Oh weh! Ich und ein Klopapierdieb?

Schlagartig wurde mir der unermessliche Schaden klar, den wir abertausend verzweifelte taschentuchlos Reisende den Mineralölunternehmen zufügen! Weil nämlich ausschließlich diese die begehrten Rollen in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen, bedient sich jeder schamlos selbst. Täglich Busse und Pkw voll tankender und nicht-tankender, doch trotzdem aufs Örtchen zusteuernder Gäste, ergeben auf vielbefahrenen Straßen einen durchaus signifikanten Verlust. Kein anderes Unternehmen – geschweige denn eine öffentliche Institution – kann sich so etwas leisten. Und auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Manno! Jetzt weiß ich endlich, wieso das Benzin hier so unglaublich teuer ist!