Schöne „smarte” Welt

So wird sich unser Leben in den nächsten Jahren gestalten

Die Welt erweitert erleben mit Googles Smartglass.

Das Leben verändert sich rasant. Hatte man sich noch vor 20 Jahren unter einem Handy nichts vorstellen können, dominieren heute Smartphones den Alltag. Doch auch sie sind längst eine alte Geschichte. Technik-Implantate und Smart-Cities sollen die nächsten 20 Jahre prägen.

Neil Harbisson leidet seit seiner Geburt an Achromatopsie. Er kann keine Farben wahrnehmen, sieht die Welt nur in Hell-Dunkel-Kontrasten. Ein Gerät hat vor neun Jahren sein Leben verändert. Mit dem sogenannten „Eyeborg” kann er zwar die Welt noch nicht in Farbe sehen, dafür aber hören. Acht Jahre lang trug Harbisson das Gerät im Alltag wie eine Brille, es war mit viel Druck an seinen Kopf festgeklemmt, bis er die Entscheidung traf, den Eyeborg mit Schrauben in seinem Schädel zu verankern. Das Gerät sollte so zu einer Erweiterung seines Körpers werden. Neil Harbisson spricht gerne von einer Verschmelzung und bezeichnet sich selbst als der erste Cyborg der Welt. Er ist überzeugt davon, dass die Zukunft der Menschheit Technik-Implantate sein werden. Dafür hat der 31-Jährige sogar eine Cyborg Foundation gegründet, die sich dafür einsetzt, implantierbare Technik zu fördern, um so dem Menschen neue Sinne zu verschaffen.

Vom Cyborg zur erweiterten Realität

Dabei ist Harbisson längst kein Einzelfall mehr. Auch Menschen wie der US-Amerikaner Tim Cannon halten sich längst für Cyborgs, also Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine. Er hat sich Magnete unter die Fingerkuppen implantieren lassen, nennt den Vorhang „bodyhacking” und würde zu einer Gruppe von Menschen gehören die sich Grinder nennen, also zu Deutsch „Schleifer”. Alles Science-Fiction, würde der Großteil seiner Mitmenschen behaupten, doch für Cannon ist es Realität. Spätestens seit dem Smartphone von unserem Leben Besitz ergriffen hat, scheint die Idee nicht mehr abschweifig. Zwar sind Magnetfinger noch längst nicht vergleichbar mit austauschbaren künstlichen Augenimplantaten, weshalb auch Harbisson eher empfindlich auf Menschen wie Cannon reagiert, doch sie haben eine Diskussion ausgelöst. Und es geht in erster Linie nicht um Technik-Implantate, sondern eben um Smartphone, Smartglasses und Smartwatches.

Während Apple und Samsung darum kämpfen, das Handy weiter zu revolutionieren, arbeitet Google an der Revolution der Brille, während Sony unsere Vorstellungen von einer Armbanduhr auf den Kopf stellen möchte. Alle Unternehmen sprechen aber vom gleichen Endziel: Ein Gerät, das den Menschen überall und jederzeit mit Informationen füttert. Mit Informationen und Werbung. Beschränkte sich das zuerst auf die Hosentasche, sollen die Geräte nun, genau wie bei Harbissons „Eyeborg”, auf Augenhöhe liegen. Google machte das schon vor einem Jahr vor, was man sich darunter vorstellen kann: Video- und Fotoaufnahmen zu jeder Zeit von den Orten und Dingen, die man direkt vor Augen hat. QR-Codes werden sofort gescannt, Werbung in U-Bahnstationen oder auf der Straße werden durch den Smartglass-Filter personalisiert.

So wie es schon Steven Spielberg in dem Science-Fiction-Film „Minority Report” darstellte. Die Welt durch einen Informationsfilter sehen, darauf steuern wir zu, weil das Smartphone wie eine Bombe eingeschlagen hat. Es scheint als würde William Gibsons Zukunftsvision aufgehen. Als er in den 1980er Jahren vom Cyberspace sprach und sogenannten „Konsolen-Cowboys” –  Menschen, die Technik-Implantate benutzen, um das Internet zu hacken – klang alles noch nach Zukunftsmusik. 2013 scheint Gibsons Zukunft Realität zu werden,  zwar sprechen wir noch nicht von einer virtuellen, dafür aber von einer erweiterten.

Nanomaschinen und Kunstgehirne

Visionäre wie Ray Kurzweil zweifeln auch nicht daran, dass der Mensch seinen Körper mit Technik-Implantaten aufpäppeln wird. Der Erfinder und Futurist spricht jedoch von raffinierteren Lösungen als denen, deren sich Neil Harbisson bediente. Kurzweil schwärmte auf einer Verantaltung in New York von Nanobots, also zellengroßen Robotern, die im Körper herumschwirren und ihn „reparieren” können. Das ist für Kurzweil die Zukunft und er ist sich sicher, dass sie eintreffen wird, eher früher als später. Anders als Harbisson oder die Vertreter der Grinder-Bewegung hat Kurzweils Wort auch Gewicht. Schließlich besitzt er 18 Ehrendoktortitel amerikanischer Universitäten und gilt als Pionier der optischen Texterkennung (OCR), Sprachsynthese (computervorgelesene Texte), Spracherkennung, Flachbettscannertechnologie und im Bereich elektronischer Musikinstrumente, insbesondere Keyboards. Derzeit arbeitet er als Leiter der technischen Entwicklung bei Google.

Kurzweils Träume sind nicht so bescheiden. Er möchte ein Kunstgehirn schaffen, um das eigene Bewusstsein und die eigenen Erinnerungen zu übertragen. Ähnlich wie in Joss Whedons Science-Fiction-Serie Dollhouse, nur eben dann auch mit Robotern. Schließlich ist ein langgehegter Traum des 20. Jahrhunderts: die Entwicklung eines menschenähnlichen Roboters. Auf dem Weg dahin wollen Ingenieure wie Okada Michio unsere Welt ein wenig einfacher gestalten, indem sie das Trendwort „social” sogar einem Abfallbehälter anhängen. Die Social Trash Box visiert mit einer Kamera Menschen an und geht zu ihnen hin. So können sich Fußgänger den lästigen Weg zum Mülleimer sparen. Den Berg zum Propheten bringen, für eine saubere und faulere Welt.

Der „smarte” Mensch von morgen

Wie könnte also das Leben in 20 oder 30 Jahren aussehen? An Smartphones oder das Internet hatten auch die meisten in den 1990er Jahren nicht geglaubt. Und nun Smartglasses und Smartwatches? Wo soll das hinführen?

Nun, zur Smartcity! Städte, wo jede Information über den gesamten Tagesablauf auf die Minute genau festgehalten und ausgewertet wird. Wie viele Autos auf den Straßen fahren, wie viele Bankautomaten es gibt, wie viele Fußgänger. Die gesamte Infrastruktur einer solchen Stadt wird von einer Schaltzentrale aus kontrolliert. Beamte, die auf einem Kommandodeck, ähnlich wie dem aus Star Trek, rund um die Uhr sitzen und den Ablauf in der Stadt kontrollieren, so scheint die Zukunft auszusehen. Nebenbei laufen einem Mülleimer hinterher, Google spamt den Bürger mit Werbung voll und auch die Uhr klingelt unentwegt, weil der x-te Scheinfreund auf Facebook etwas zu sagen hatte. Wahrscheinlich wieder eine belanglose Anekdote über eine Sache, die früher niemals erwähnenswert gewesen wäre.

Kaum verwunderlich also, dass sich in Ländern wie Deutschland Themenparteien gründen, die Internet- und Datenschutzrecht zum Programm machen. So komfortabel ein Smartphone auch ist, Nutzer setzen ihre Privatssphäre dafür aufs Spiel. Das eingebaute GPS im iPhone kann dazu missbraucht werden, jeden aufzustöbern, persönliche Daten, die man auf Facebook angibt, werden an Unternehmen weitergegeben, um so ein Kundenprofil zu erstellen. Da muss man sich nicht wundern, wieso man plötzlich Werbung von dem einen oder anderen Produkt erhält, das man persönlich auch kaufen würde. Wer erinnert sich schon noch daran, dass man früher einfach unerreichbar war? Wenn man für einige Stunden wegging, ohne das jemand Bescheid wusste, geriet niemand so schnell in Panik wie heute.

Doch das Trendwort der Gesellschaft anno 2013 lautet „Smart” – und es verdrängt allmählich andere Wörter, für die man noch vor über 200 Jahren harte Kämpfe ausfocht. Worte, die heute nicht der Rede wert sind, wie etwa „Freiheit” oder „Indivualität”. Dafür aber muss man sich den Weg zum Mülleimer künftig sparen...