Sehr gute Konditionen für ein hundert Prozent erneuerbares Energiesystem

Gespräch mit Dr. Lars Waldmann, Projektleiter „AGORA Energiewende“ (Deutschland)

Dr. Lars Waldmann

Beim achten Kronstädter Energietag (29. September, Hotel Kronwell, Kronstadt/Braşov) stellte Dr. Lars Waldmann die wichtigsten Herausforderungen und Chancen vor, die die viel zitierte Energiewende in Deutschland mit sich gebracht hat. Dabei sollten die Teilnehmer an der Tagung vergleichen können, inwieweit die deutsche Erfahrung auch hierzulande anwendbar ist, da die Diskussionen über die nationale Energie-Strategie das Hauptthema des diesjährigen Energietages waren. Dr. Lars Waldmann ist Projektleiter bei „AGORA Energiewende“ – eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Mit Dr. Waldmann sprach in Kronstadt ADZ-Journalist Ralf Sudrigian.

Wie stehen die Voraussetzungen für  eine „rumänische  Energiewende“?

Die Energiestrategie, die sich Rumänien vorgenommen hat, ist eine große Herausforderung: Auf der einen Seite gehe ich von konventionellen Kraftwerken weg, reduziere den CO2-Austoß, auf der anderen Seite muss ich erneuerbare Energien dazu bauen. Rumänien hat sehr gute Voraussetzungen durch den hohen Anteil an Wasserkraft, die unter stabilen Bedingungen entsteht, und die Möglichkeit, Photovoltaik (Solarstrom) zu erzeugen. Das Windpotenzial ist in Rumänien auch sehr gut, räumlich gut verteilt. Es gibt eigentlich sehr gute Konditionen, um hier ein hundert Prozent erneuerbares System aufzubauen.

Trotzdem plant man nicht, im Unterschied zu Deutschland, aus der Kernenergie auszusteigen.

In Deutschland hat sich die Anti-Atomkraft-Bewegung schon in den 1970er geformt. Viele Physiker, viele Ingenieure, die sich damit beschäftigt haben, haben das Risiko als zu hoch eingeschätzt. So lange alles gut geht, ist es ja in Ordnung. Aber wenn einmal was passiert... Sie müssen sich einfach vorstellen: Ein Kernkraftwerk wie Isar, das im Ballungsraum München steht, wenn das hochgeht und ein Umkreis von 70 km einfach eine nicht mehr betreibbare Region wird – das ist eine Katastrophe, die wir nicht mal mit Geld benennen können!

Das heißt also: In Rumänien ist die Zivilgesellschaft nicht genügend über die Risiken informiert und in diesem Zusammenhang nicht genug aktiv geworden...

Das ist tatsächlich so, dass in Deutschland sehr viel und auch sehr kontrovers über Kernkraft diskutiert wird. Es ist inzwischen so, dass es eine Mehrheit innerhalb aller Parteien gibt, die auf der parlamentarischen Seite und auf der Regierungsseite jetzt klare Entscheidungen getroffen hat. Das war aber ein Weg von 30-35 Jahren.

Es gibt die Meinung, nicht auf diesen ausgeglichenen Energiemix in Rumänien zu verzichten, also die Kernenergie beizubehalten. Andrerseits werden Bedenken gemeldet in Bezug auf die Fluktuationen, die erneuerbare Energiequellen aufweisen könnten.

Von der Theorie her könnte Rumänien auf Kernkraft verzichten, wie auch auf Kohle. 30 Prozent des Energiebedarfes werden bereits durch Wasser gedeckt. Mit Investitionen in günstige Photovoltaik und Windkraftwerke könnte man eben diese fluktuierenden erneuerbaren Energien haben; auf der anderen Seite sogar Überschüsse über die Wasserkraftwerke zurückpumpen und „Langzeitspeicher“ einrichten. So könnte man ein stabiles System aufbauen. Diese Chance hat Deutschland gar nicht. Wir haben ganz andere Voraussetzungen. Andrerseits würde ich aber jetzt keinen Ratschlag in Richtung der rumänischen Regierung geben, wie sie die Energiepolitik zu machen hat. Die Risiken sind abzuwägen und die Bevölkerung soll günstigen Strom bekommen. Das ist der entscheidende Punkt.

Wie bindend sind die EU-Vorgaben?

Die EU gibt im Wesentlichen die Kohlendioxid-Reduktion vor. Das ist das Klimaziel, sozusagen das Oberziel. Nachdem Kernkraft keine oder nur geringe CO2-Emmissionen bringt, hat Europa kein Problem damit, wenn Länder ihre Energie-Strategie mit Nuklear fahren.

Wie aktuell bleibt die Förderung von Schiefergas?

Sie sehen die Gaspreise im Moment. Sie sehen, dass die relativ hohen Förderkosten im Schiefergas sich gar nicht rentieren. In dem Maße, in dem erneuerbare Energiequellen zugebaut werden, wird Schiefergas gar nicht mehr gebraucht. In einer Investition, die ich heute tätige und die dann 40 Jahre lang halten soll, würde ich sowohl Gaskraftwerke als auch Kohlekraftwerke und Schiefergasvorkommen eher als verlorene Investitionen bezeichnen.

Können bei Fluktuationen der erneuerbaren Energien die Kohlekraftwerke so schnell einspringen, dass sie diese möglichen Schwankungen beheben?

Das ist der Punkt: Die bestehenden Kohlekraftwerke müssen nachgerüstet werden, um eine entsprechende Flexibilität anzubieten, um mit dem System mitzuatmen. Wenn sehr viel Wind ist, können die etwas runtergefahren werden, und wenn der Wind wieder aufhört, können sie wieder hochgefahren werden.

Das heißt, die bestehenden Kohlekraftwerke sollen am Leben erhalten und nicht darauf verzichtet werden.

Das hat man bei Steinkohlekraftwerken gemacht, das hat man jetzt bei einem Braunkohlekraftwerk gemacht, um zu zeigen, dass es geht. Wir diskutieren allerdings in Deutschland darüber, insgesamt aus dem Kohlesektor auch aussteigen zu müssen. Einfach wenn wir die 95 Prozent CO2-Reduktion in von jetzt ab noch 25 Jahren erreichen wollen, dann müssen wir irgendwann anfangen. Und wenn ich jetzt Investitionen tätigen würde: Ja, für die 25 Jahre rentiert es sich, die Kohlekraftwerke jetzt zu flexibilisieren aber ein neues Kraftwerk zu bauen ist nicht rentabel.

Was für Änderungen wären in der Energiepreispolitik erforderlich?

Die Kosten für Endverbraucher bei den Strompreisen in Rumänien sind sehr niedrig. Sie sind, glaube ich, auf europäischer Ebene die zweitgünstigsten. Je günstiger eine Ressource ist, desto weniger reizt sie an, damit effizient umzugehen. Es gab im Jahre 2000 in Deutschland eine bewusste Entscheidung, eine Ökostromsteuer einzuführen; also eine Reduktion des Verbrauchs durch eine Erhöhung des Preises, eine Steuer, anzulegen. Diese Steuer hat man zur Refinanzierung von erneuerbaren Energien und von Förderprogrammen verwendet. Aber das bedarf einer politischen Entscheidung. Der Endkunde wird je nach seinem Einkommen bemessen werden müssen. Wir haben in Deutschland in den 1950er Jahren 2,4 Prozent des Haushalts-Durchschnittseinkommens einer Familie für Energie aufgewendet und wenden heute auch 2,4 Prozent unseres Durchschnittseinkommens für Energie auf. Unter dem Aspekt gesehen, hat sich die Entwicklung des Strompreises von der Kaufkraft des Bürgers her nicht verändert. Man muss erkennen, dass man nicht mit einer Erhöhung des Strompreises andere ökonomische Faktoren verdrängt, Konsum zum Beispiel. Es wäre also wichtig sich anzusehen, wie entwickelt sich das Einkommen, die Kaufkraft innerhalb der Bevölkerung und dementsprechend passe ich dann den Strompreis an.

Ist das nicht ein Eingriff des Staates in die Marktwirtschaft?

Die gegenwärtigen 10 Cent stellen bereits einen Eingriff des Staates dar, weil auf dem freien Markt die Kilowattstunde teurer wäre. Die Produktionskosten sind höher.

Sind transnationale Vernetzungen der Stromsysteme zu empfehlen?

Das Pentalaterale Forum (Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich, Benelux) hat den großen Vorteil, dass diese Regierungen schon längere Beziehungen haben und dass man sehr viel Diskussionen aufgewendet hat – AGORA hat da viel Expertise mit eingebracht –, um mit den Ökonomen, den Energieexperten, mit der Regulierungsbehörde der einzelnen Länder jeweils zu sprechen und das vorzubereiten. Das würde ich hier auch empfehlen in den Gesprächen zwischen Tschechien, Slowakei, Ungarn, Polen und Rumänien. Eine Kollegin von uns arbeitet da von Warschau aus und vielleicht wäre das ein Punkt, die Sache noch mal anzugehen, um hier gemeinsame Interessen zu finden und diese zu verstärken.

Wie realistisch ist es, von einer gemeinsamen Energiepolitik der EU zu sprechen?

Es gibt da zwei Punkte: Das eine ist das gemeinsame Ziel der Dekarbonisierung, also des stufenweisen Ausschaltens der fossilen Kraftwerke, und das zweite – das gemeinsame Verständnis, dass Transportkapazitäten von Strom durch Europa helfen, um mit den erneuerbaren Energien insgesamt umgehen zu können. An diesen zwei Kernpunkten lässt sich dann die europäische Energiepolitik festmachen.

Wie ist es dann um die Autarkie bestellt?

Wir haben bei dem Thema Autarkie feststellen können, dass ein nachbarschaftlicher Austausch ökonomisch sinnvoller ist als die Überlegung, wirklich autark zu sein. Unter der langfristigen Perspektive, wenn Sie jetzt mal in Richtung eines 90 Prozent erneuerbaren Energiesystems kommen, werden immer noch 10 Prozent im Bereich Fossil bleiben und das wird höchstwahrscheinlich Gas sein, weil das sehr schnell reagieren kann.

Vielen Dank für dieses Gespräch!