„Seit damals tue ich nur noch, was mir Spaß macht.  Eigentlich habe ich immer nur das gemacht.“

Gespräch mit dem Regisseur Ioan C. Toma

Der rumänisch-deutsche Regisseur Ioan Cristian Toma, geboren 1953 in Bra{ov/Kronstadt, Sohn der ebenfalls aus Kronstadt stammenden Schriftstellerin Bettina Schuller, studierte Schauspielkunst von 1972 bis 1976 am Institut für Theater- und Filmkunst „I. L. Caragiale“ Bukarest. 1976 übersiedelte er mit seiner Familie nach Deutschland, um dort seine Theatervisionen zu verwirklichen. Nach ersten Inszenierungen in der Münchner Kleinkunstszene wirkte er von 1978-1981 am Stadttheater Bern, wo er sich mit Schauspiel, Regieassistenz, Dramaturgie sowie Regie beschäftigte. 1981-1984 war er am Stadttheater Essen tätig. 1984 gründete Toma in München das „Theater im Würfel“, so benannt nach einem Stahlrohrkubus, in dem sich der Schauspieler nach und nach mit einem Seil einspinnt, einem von Toma entworfenen Bühnenbild für die Dramatisierung von Gogols Novelle „Tagebuch eins Wahnsinnigen“. Diese metaphorische Inszenierung lebt heute noch weiter.

1988 wurde Toma als Hausregisseur im Landestheater Linz engagiert. Bis zu seinem Weggang 1992 brachte er rund 20 erfolgreiche Inszenierungen und eigene Bearbeitungen dort und auf andere verschiedene Bühnen. Dazu zählen Werke von Goethe, Cervantes, Shakespeare, Büchner, Canetti, Kafka, Karl Valentin, Goldoni, Moličre, Alfred Jarry, Eduard Albee u.a. 1992-1995 wirkte er als Oberspielleiter am Stadttheater St. Gallen (Schweiz). Seit 1996 ist Toma als freier Regisseur an etablierten Theaterhäusern tätig, u.a. in Frankfurt/Main, München, Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck, Perchtoldsdorf. Sein Diktum lautet: „Seit damals tue ich nur noch, was mir Spaß macht. Eigentlich habe ich immer nur das gemacht.“

Vom 2. bis 18. Mai 2024 wurde in dem einmaligen Ambiente der Staatlichen Antikensammlungen in München „Das Gastmahl“ von Platon in der Fassung und Inszenierung von Ioan C. Toma gespielt. Kostüm und Assistenz zeichnete die aus Schäßburg stammende Kostümbildnerin Bonnie Tillemann, es spielte Konstantin Moreth. Die Aufführung wurde von der Kritik äußerst positiv eingeschätzt.

Nach dem Besuch des Stücks in München führte die Germanistin Mariana-Virginia Lăzărescu mit dem Regisseur Ioan C. Toma, ihrem ehemaligen Mitschüler am Johannes Honterus-Gymnasium in Kronstadt, ein Gespräch für die ADZ.

Wann und wie hast du dich entschieden, Schauspielkunst und Regie zu studieren?

In unserem Abiturjahr 1972 war gerade für Jungen ein Studienplatz besonders wichtig, auch um einem langen Militärdienst zu entgehen. Da meine Mutter ein paar Jahre als Dramaturgin beim Theater in Hermannstadt/Sibiu tätig war, habe ich bei vielen Proben die Dynamik, die Freude an Improvisation und immer neuen Geschichten erlebt, und so war meine erste Option das Theaterstudium. Plan B war ein Sportstudium, weil ich als Teil des Nationalteams im Modernen Fünfkampf nur die Anatomieprüfung hätte bestehen müssen. Die erste Option hat geklappt und so durfte ich meinen Bewegungsdrang im Theater austoben und später auch die berühmten Fechtkämpfe zwischen Hamlet und Laertes oder Romeo und Tybald selber choreografieren.

War das Studium in Rumänien und auf Rumänisch ein Plus oder ein Hindernis, um auf Bühnen des deutschen Sprachraums Theaterstücke zur Aufführung zu bringen?

Definitiv ein Plus. Das Institut für Theater und Filmkunst hatte einen guten Ruf, auch war es ein Freiraum im Widerspruch zur damaligen Diktatur. Regisseure wie Andrei Șerban oder David Esrig, die im westlichen Ausland tätig waren, wurden sehr hochgeschätzt. Für David Esrig, dem ich 1977 in München begegnet bin, habe ich den Habilitationsvortrag zur Professur an der LMU München zum Thema Commedia dell‘arte aus dem Rumänischen ins Deutsche übersetzt. Die langjährige Zusammenarbeit mit Esrig war wie eine Fortsetzung meines Regiestudiums in Bukarest, wo er vor meiner Zeit auch unterrichtet hat, und hat mir sozusagen die Tür ins aktive Theaterleben geöffnet.

Du hast in Deutschland, Österreich und in der Schweiz als erfolgreicher Regisseur gearbeitet. Wie waren die Erfahrungen hinsichtlich der deutschen Sprache, die in den genannten Ländern wesentliche Unterschiede sowohl untereinander als auch zum Rumäniendeutschen, mit dem du aufgewachsen bist, aufweist?

Eine besondere Erfahrung hinsichtlich der deutschen Sprache habe ich in St. Gallen gemacht, wo ich als Oberspielleiter auch für die Verständlichkeit unserer Stücke, in einem fast 800 Zuschauer fassenden Saal, verantwortlich war. Es gingen einige Klagen bezüglich der Verständlichkeit ein. Nach mehreren akustischen Tests, die alle positiv verliefen, stellte sich heraus, dass nicht die Akustik, sondern die Bühnensprache die Ursache der Verständnisprobleme war, da das Schwyzerdütsch der hochdeutschen Bühnensprache entfernter ist als z.B. das Österreichische oder Rumäniendeutsche, wo ich nie Probleme dieser Art hatte.

Bekanntlich stehen deine Arbeiten für ein vitales, sinnliches Theaterleben, für fantasievolle, intelligente Bilder, für eine kreative Philosophie, für Freude am Improvisieren und am Experiment, wie es im Schweizer Theaterlexikon heißt. Ironie und Humor dürfen dabei auf deiner freien Theaterszene nicht fehlen, sind sie doch oft deine Motivation. Wie triffst du die Auswahl der Stücke, die du zu inszenieren beabsichtigst?

Wenn mich ein Text, sei es Theater, Novelle oder Roman, fasziniert, habe ich das Bedürfnis, diese Faszination mit anderen zu teilen. Dafür ist das Theater die beste Plattform. So habe ich Kafkas „Beschreibung eines Kampfes“ 1987 in der Akademie der bildenden Künste München uraufgeführt, oder 2006 „Don Quijote“, den Roman von Cervantes, für die Sommerfestspiele Perchtoldsdorf bearbeitet. 1984 habe ich mit Oswald Geyer, der auch in Bukarest am IATC studiert und mit mir das Theater im Würfel mitbegründet hat, Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen“ inszeniert. Der Schauspieler spinnt sich während der Geschichte in ca. 200 Meter Seil ein. Im Laufe der Jahre folgten zwei weitere „Wahnsinnige“ und jetzt ist Konstantin Moreth, der Darsteller meiner letzten Platon-Projekte, als vierter Wahnsinniger im Spiel. Ich bin bei jeder Vorstellung dabei, sitze am Seil und ziehe die Strippen. 
Ein weiterer Text, der mich über Jahre begleitet hat, ist Goethes Faust I und II. Mich hat es gereizt, einen Bogen von den zwei Wetten im ersten Teil des Riesenwerkes bis zu ihrer Auflösung im zweiten Teil, wo Mephisto Faust und Gott Mephisto betrügt, zu spannen. 2006 fand die Uhraufführung meiner Fassung „Faust Collateral Damage“ statt. 2007 spielte das Stück, mit großer Mannschaft, bei den Sommerfestspielen Perchtoldsdorf, einer Spielwiese von Schauspielern und Schauspielerinnen der Wiener Theater. Eine Vier-Personen-Fassung „Faust, die Frauen und das Wasser“ hatte im Jahr 2012 in der Reithalle München (heute Utopia), wo auch Peter Brook oder Patrice Chereau ihre Stücke gezeigt haben, Premiere. Kurz, ich konnte meine Themen weitgehend frei aussuchen und fortlaufend bearbeiten. Einige begleiten mich auf lange Sicht.

Unlängst hast du Platons „Gastmahl“ in den Antikensammlungen München inszeniert. Warum gerade dieser Text?

Mein erstes Platon-Projekt „Sokrates und die Hebammenkunst“ wurde in den Kammerspielen Linz 1990 uraufgeführt. Ich habe bei einer Spielplan-Sitzung, übermütig, den Wunsch geäußert, Platon-Dialoge zu inszenieren, da mich neben der philosophischen Tiefe, der Suche nach dem Schönen, Guten und Wahren, vor allem der Humor im Schlagabtausch der Dialoge begeistert hat. Zu meiner Überraschung wurde der Vorschlag einstimmig angenommen und ich musste liefern. Nach einem weiteren Platon-Projekt, „Die Akte Sokrates“ in der Reithalle und danach im Innenhof der Glyptothek, war es für mich folgerichtig, das „Gastmahl“, diese so freien Gedanken zu allen Farben der Liebe und der Wirkung des Eros in Natur und Schöpfung, aufzuführen. Ein Raum der Antikensammlungen mit Ausstellungsobjekten, so alt wie Platons Text, war der ideale spirituelle Rahmen.

Was hat dich bewogen, in den letzten Jahren Theaterstücke nicht mehr wie üblich auf Theaterbühnen zur Aufführung zu bringen, sondern in Reithallen, Museumssälen oder Innenhöfen usw.?

Der Innenhof der Glyptothek am Königsplatz ist ein wunderschöner Spielort mit langer Theatertradition. Ich habe dort auch „Iphigenie“, „König Ödipus“ und den „Sturm“ inszeniert. Ansonsten halte ich es mit Shakespeare: „Die ganze Welt ist Bühne“.

Gehört das minimalistisch zu betrachtende Szenenbild bzw. die Besetzung mehrerer Rollen durch ein und denselben Schauspieler zu deinem Regiekonzept oder ist das als Sparmaßnahme gedacht, wie manch einer versucht wäre zu glauben?

Minimalart fordert und fördert die Fantasie, und wenn man aus der Not eine Tugend machen kann, ist das immerhin eine positive Veränderung. Was aber meine beiden Einpersonenstücke, „Tagebuch“ und „Gastmahl“ betrifft, so sind sie von ihren Autoren jeweils auf eine berichtende Person fokussiert und für eine Einmannshow prädestiniert.

Denkst du, Theateraufführungen irgendwann auch in Rumänien zu inszenieren?

Der Kreis würde sich schließen, am liebsten mit der „Ballade der Mädchen vergangener Zeit“, einem Projekt, das mir auch persönlich sehr wichtig ist. Es sind Texte von Ani]a Nandri{-Cudla, die 20 Jahre in sibirischer Deportation verbrachte, von Ana Novac, einer ungarischen Jüdin, in Siebenbürgen geboren, die „die schönen Tage ihrer Jugend“ in Auschwitz verbrachte, und von meiner Mutter Bettina, die sich in ihrem Buch „Führerkinder“ erinnert, wie die Begeisterung der Siebenbürger Sachsen für Deutschland ihren (wie auch unseren) Geburtsort Kronstadt erfasste.