Trinkgeld

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Was haben die Kellner, Zimmermädchen, Friseure, Handwerker und Taxifahrer aller Welt gemeinsam? Es ist das, was sie von Schaffnern, Schalterbeamten, Sozialhelfern, Sekretärinnen und Polizisten unterscheidet, obwohl auch diese im weitesten Sinne Dienstleistungen verrichten: das Trinkgeld.

Der Unsinn dieser Unsitte steckt schon im Wort, denn der Zweck des Trinkgeldes ist keinesfalls, dem Empfänger den Konsum von Saft, Wein oder Bier zu finanzieren. Wieso auch sollte man für den Flüssigkeitshaushalt seines Friseurs Sorge tragen? Statt dessen verbirgt sich dahinter eine Art flexibles Gehalt mit ungeschriebenem Mindestanspruchscharakter. Denn dem Kellner gar nichts geben, auch wenn er mürrisch dreinblickt und nicht gerade aufmerksam war, geht irgendwie nicht. Dafür müsste er schon mit dem Finger in der Suppe daherkommen oder einem süffisant lächelnd das Senftöpfchen aufsetzen. In manchen Berufen ist das Trinkgeld sogar fester Bestandteil des Einkommens und damit steuerpflichtig.

Ein Rätsel, warum man dafür, dass jemand korrekt und pünktlich seine Pflicht tut, extra löhnen sollte. Und wieso bekommt der Feuerwehrmann, der Straßenkehrer oder der Rechtsanwalt nichts zugesteckt? Oder der geneigte Wähler, der kompetente TÜV-Prüfer und die sympathische Richterin? Da heißt das auf einmal Bestechung und Korruption!

Die Grenze zwischen einer kleinen Aufmerksamkeit und Korruption definiert sich übrigens nicht über die Summe. Kein Gesetz der Welt verbietet einem, dem Zimmermädchen 1000 Euro zuzustecken, in der Hoffnung, die Unterkunft am nächsten Tag so sauber wie geschleckt vorzufinden. Wehe aber, man tut dasselbe beim Konsularbeamten, um das Visum ein wenig zu beschleunigen! Und dies, obwohl Trinkgelder eindeutig Erwartungshaltung signalisieren: „Behandle mich gut, wenn ich wiederkomme!“ Also: Spuck nicht ins Essen, schneid mich nicht ins Ohr, hau mir die Spritze nicht bis auf den Knochen. Zumindest aber drückt Trinkgeld Dankbarkeit aus, auch für den Fall, dass man nicht wiederkommt: Dafür, dass die Cola kalt und das Schnitzel warm auf den Tisch kam und nicht umgekehrt. Dass man den Platz mit Panoramablick und nicht den Katzentisch vor der Toilette bekommen hat. Oder für das profimäßig eingeschenkte Bier mit dem eleganten weißen Schaumhäubchen.

Wofür aber soll man dem Taxifahrer dankbar sein? Für die Gratisberieselung aus dem Autoradio? Dass er einen mit Klimaanlage oder Heizung verwöhnt? Dass er pflichtbewusst bei Rot stehen bleibt und nicht von Bukarest über Baia Mare zum Flughafen fährt, sondern direkt über Otopeni? Oder etwa dem Klempner? Dafür, dass er das Loch im Rohr repariert, statt ein zweites zu schlagen? Dass er den roten Hahn ans Warmwasser und den blauen ans Kaltwasser anschließt, und nicht umgekehrt, wie so oft in Rumänien?
Auch die Höhe des Gehalts ist kein eindeutiges Merkmal für einen Trinkgeldempfänger. Denn Müllmänner verdienen bestimmt nicht viel, und doch steckt man ihnen kein Scheinchen in den Ausschnitt des Overalls für das korrekte, pünktliche und überaus freundliche Entleeren der stinkenden Tonne. Es ist schon verwirrend!

Ein bisschen einfacher hat man es allerdings in Rumänien. Hier liegt man nicht verkehrt, wenn man jedem ein Trinkgeld gibt: dem Arzt, dem Katasterbeamten, dem Schneepflugfahrer und ein besonders hohes dem potenziellen Kunden, wenn man sich um einen Auftrag bewirbt. Man muss es nur vorher ins Angebot einrechnen. Das meiste Trinkgeld aber bekommen diejenigen, die gar nichts tun. Die einen sitzen den langen lieben Tag am Straßenrand und halten die Hand auf. Die anderen – na, wer errät es?