„Verständigung meint Sensibilisierung für besondere Herausforderungen“

Gespräch mit Dr. Heinke Fabritius, Kulturreferentin am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim ​​​​​​​

Foto: Anna Nesterenko

Fabritius ist zuständig für Siebenbürgen, Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha, Maramuresch, Moldau und Walachei. Ihre Aufgabe ist es, die deutsche Kultur im östlichen Europa bekannter zu machen. Was gilt es, bei dieser Arbeit zu beachten, und wer kann sich fördern lassen? Über grenzübergreifende Projektarbeit und Dialog zwischen den Kulturen sprach die Kulturreferentin Dr. Heinke Fabritius mit ADZ-Redakteurin Aurelia Brecht.

Was ist die Aufgabe der Kulturreferate, die von der Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesrepublik Deutschland gefördert werden?
Die Kulturreferate sind für die Vermittlung von Informationen und Wissen über die Kultur der Deutschen im östlichen Europa zuständig, und das sowohl in Deutschland als auch in der jeweiligen Zielregion, in diesem Fall also vor allem in Rumänien. Konkret bedeutet das für mich Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Künstlern, Autoren, Theatermachern sowie mit Kulturinstitutionen oder Bildungseinrichtungen. Zudem gibt es ein Budget für externe Veranstaltungsförderung, die man bei den Kulturreferenten für eigene Initiativen beantragen kann. Die Handlungsgrundlage der insgesamt neun Kulturreferate, die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien seit 2002 schrittweise eingerichtet wurden, ist der Paragraf 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes. Seit dem Regierungswechsel im Herbst ist dafür die Staatsministerin Claudia Roth zuständig. 

Wo sind die Kulturreferen-tinnen und Kulturreferenten ansässig?

Die Kulturreferate sind in der Mehrzahl an Museen angeschlossen, deren Sammlung dezidiert bestimmten Regionen des östlichen Europas gilt. So gibt es etwa in Görlitz das Schlesische Museum mit der Kulturreferentin für Schlesien. In Ulm befindet sich das Donauschwäbische Zentralmuseum mit der Kulturreferentin für den Donauraum. Das Siebenbürgische Museum, dem mein Referat zugeordnet ist, hat auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar sein Zuhause. 

Schloss Horneck liegt, landschaftlich wunderschön, direkt am Neckar, etwas nördlich von Heilbronn inmitten von Weinbergen. Es beherbergt neben dem Siebenbürgischen Museum auch das Siebenbürgen-Institut, das die größte Transylvanica-Bibliothek jenseits der Karpaten führt. Der Ort bietet also für Forscher genauso viel wie für Erholungsuchende. Ein Hotel, das sich in den oberen Etagen des Schlosses befindet, macht das Ensemble zu einem wirklichen Kleinod.

Wie muss man sich Ihre Tätigkeit vorstellen?

Meine Aufgabe besteht darin, Kulturveranstaltungen zu konzipieren und umzusetzen, sowohl in Deutschland als auch in Rumänien. Die Themen haben stets einen Bezug zur Kultur und Geschichte der deutschsprachigen Minderheiten in Rumänien. Wobei es immer darum geht, größere gesellschaftliche Fragen in den Blick zu nehmen und das Miteinander der Menschen auch jenseits ihrer ethnischen Gruppen aufzuzeigen. Darin liegt die Relevanz für unsere Gegenwart. Das ist das eine. Der andere Teil meiner Arbeit besteht darin, externe Kulturinitiativen in ihrer Projektarbeit zu unterstützen. Für Projekte, die sich auf die Regionen Bukowina, Bessarabien, Dobrudscha, Maramuresch, Moldau, Walachei oder auf Siebenbürgen beziehen, können Anträge zur finanziellen Unterstützung der Vorhaben gestellt werden. 

Ganz praktisch: Wer kann sich mit Projektvorschlägen an Sie wenden?

Idealerweise Vereine oder Kulturinstitutionen, nicht Einzelpersonen. Es muss eine juristische Person sein, die in Deutschland ansässig ist. Das schließt aber nicht Kooperationen mit weiteren Projektpartnern – etwa aus Rumänien – aus.

Haben Sie eine bestimmte Zielgruppe?

Prinzipiell alle, die es interessiert. Die spezielle Zielgruppe waren und sind deutschsprachige Aussiedler und Spätaussiedler aus Rumänien, die in Pflege und Erhalt ihrer kulturellen Identität unterstützt werden. Dies gilt auch weiterhin, aber das Kulturreferat wendet sich genauso an alle Menschen in Deutschland und/oder im heutigen Rumänien, die sich mit der besonderen Kultur und Geschichte dieser Regionen befassen und vielleicht kulturelle Projekte dazu initiieren.

In ihrer Arbeit treibt Sie an…

…Neugierde und Freude an der Vermittlung. Ich finde, Rumänien ist in jeder Hinsicht ein spannendes Land, und es berührt mich. Diese Tätigkeit birgt die Chance, jenseits tagespolitischer Fragen durch die Kultur – seien es Bilder oder Gedichte – etwas von den Lebenswelten der Menschen, die hier leben oder lebten, auch in Deutschland sichtbar und erfahrbar zu machen. 

In der Coronazeit nicht immer einfach.

Ja, wie für viele galt es, auch für uns neue Konzepte zu entwickeln. In meinem Fall waren das beispielsweise die „Werkstattgespräche“. Da ich Kunstschaffende nicht mehr auf einem Podium treffen konnte, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, habe ich begonnen, sie an ihren Arbeitsplätzen und Ateliers zu besuchen. Daraus entstand eine Interviewreihe, die nun regelmäßig in der Siebenbürgischen Zeitung erscheint. Aus dem Gespräch mit der Bildhauerin Pomona Zipser ist sogar ein Film entstanden. Die meisten kulturellen Projekte sind unvermindert weitergegangen, großartige Studioaufnahmen von Musikern sind entstanden – die „(Nach)Klänge der Bukowina“, die Sie auf dem Copernico-Portal finden –, Kataloge gedruckt, Ausstellungen gezeigt worden etc. Das sind alles sehr gute Initiativen, dennoch zeigt sich, wie stark allen Beteiligten das unmittelbare Feedback des Publikums und die Möglichkeit des lebendigen Austausches fehlt. In der Vermittlungsarbeit ist das ein ganz wesentlicher Aspekt. Ich hoffe, wir müssen nicht mehr lange darauf verzichten.

Haben Sie ein oder vielleicht sogar mehrere Lieblingsprojekte?

Eigentlich habe ich nur Lieblingsprojekte. Ich kann nicht sagen, welchem ich den Vorzug gebe. Als Kunsthistorikerin habe ich eine besondere Affinität zur bildenden Kunst. So habe ich vor drei Jahren begonnen, eine Vortragsreihe über Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts aufzubauen, deren Lebenswege sie von Ost nach West – und manchmal auch wieder zurück – führten. Da finden sich beeindruckende Biografien, die im jeweiligen künstlerischen Werk Spiegelung finden.

Auch zeitgenössische Kunst ist mir wichtig: Im Rahmen des Projekts „Aktuelle Arabesken“ lade ich ein, im Museum zu zeichnen. Sich mit dem Bleistift in der Hand einem Ausstellungsobjekt zu widmen, bedeutet, einen besonderen Bezug und eigene Perspektive auf die Dinge zu entwickeln. Da lässt sich viel daraus machen. Eine erste Ausstellung, die in diesem Rahmen entstanden ist, wurde von Filip Zorzor im vergangenen Herbst im Rumänischen Kulturinstitut in Berlin gezeigt. Im nächsten Sommer wird das Projekt mit Studierenden der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig fortgesetzt werden. 

Frau Fabritius, Sie wanderten 1977 als Kind mit ihren Eltern aus Rumänien aus. Gibt es thematische Motive, die in ihren Projekten immer wiederkehren – wie ein roter Faden?

Ja, die gibt es vielleicht. Erfahrungen von damals greife ich tatsächlich vor allem für die Arbeit mit Jugendlichen auf, beispielsweise ein Theaterworkshop, der letzten Sommer in Kooperation mit der „Asocia]ia cu Timp pentru Cultur²“ in Kronstadt stattfand. Da ging es um Fragen wie: Wie ist es, ein Land zu verlassen, sich zu entscheiden wegzugehen, woanders hinzugehen, dort einen Neuanfang zu wagen? Da sind viele Faktoren im Spiel, die sich allen Menschen stellen, die mit einer Flucht oder einem Weggehen von A und einer Integration in B konfrontiert sind. Es sind Faktoren, die in gewisser Weise Allgemeingültigkeit haben. Wie kann Ankommen funktionieren? Was ist die eigene Integrationsarbeit, die man leistet, wenn man in einem fremden Land ankommt? Was muss die Gesellschaft, die einen empfängt, anbieten, was kann sie anbieten? Was sind die Gründe, die eine solche Entscheidung zum Fortgehen prägen, wie stellt sich das zu verschiedenen Zeiten dar? Das Rumänien der 70er Jahre kann einen Ansatz für solche Gespräche geben, bleibt aber für die Jugendlichen heute nur schwer fassbar. Klarer wird es, wenn eigene Erfahrungen einfließen können. Bezogen auf das heutige Rumänien ist das Weggehen mittlerweile eine tagtägliche Frage der Mehrheitsgesellschaft, die in großem Umfang und seit vielen Jahren schon ins westeuropäische Ausland geht, um dort Arbeit zu finden. Die Migrationsthematik ist sehr präsent, das hat zuletzt auch die Ausstellung im rumänischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig gezeigt. Dort ging es darum, nicht nur über die Herausforderungen eines Neuanfangs im Zielland nachzudenken, sondern auch über die Konsequenzen vor Ort: leerstehende Häuser und vor allem zurückgelassene Kinder, Eltern, Freunde usw. Ich denke, man muss hier ansetzen, um Klammern des Verstehens über die Generationen hinweg zu finden. Verständigung meint auch Sensibilisierung für besondere Herausforderungen.

Sie kennen sowohl Rumänien als auch Deutschland sehr gut, weil Sie in beiden Ländern gelebt haben. Wie erleben Sie die Reaktionen des Publikums in Deutschland, das mit der Region Siebenbürgen noch nicht in Berührung gekommen ist?

Lassen Sie mich das beispielhaft beantworten: Der luxemburgische Fotograf Marc Schroeder war in den Jahren 2012 bis 2014 in Siebenbürgen, im Banat, aber auch in der Maramuresch unterwegs. Was zunächst als Spurensuche nach dem Luxemburgischen im Siebenbürgisch-Sächsischen begann, hat sich zu einem großen Fotoprojekt über die letzten Zeitzeugen der Deportationen vom Januar 1945 ausgewachsen. Nachdem ich 2018 eine erste Präsentation dieses Zyklus gesehen hatte, war ich sicher, dass es unbedingt eine breitere Rezeption dieses wunderbaren Projekts geben sollte. Eine der folgenden Stationen war in Stuttgart, in den Räumen einer kleinen Vereinsgalerie, die vor allem schwäbisches Publikum hat. Die Einladung dorthin war etwas Besonderes, ganz und gar nicht selbstverständlich, dass wir mit diesem – dort gänzlich fremden – Thema auftreten konnten. Das Publikumsinte-resse war überwältigend, die Nachfragen und das Bedürfnis, mehr über diese wenig bekannte Episode europäischer Nachkriegsgeschichte zu erfahren, war riesig. Es ist wichtig, immer wieder aus den etablierten Kreisen hinauszukommen und darauf zu vertrauen, dass es auch außerhalb dieser offene Ohren und Augen gibt. Das Publikum in Deutschland bringt das auf jeden Fall mit. 

Finden sich Berührungspunkte in der Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und der in Siebenbürgen?

Sicher, die finden sich im Kleinen, aber auch bei den großen Veranstaltungen, etwa dem jährlichen Heimattag in Dinkelsbühl oder der mittlerweile gut etablierten Haferlandwoche. Gerade auch was den bevorstehenden Siebenbürgischen Kultursommer betrifft, ergänzen sich die Kooperationen ganz wunderbar. 

Welche Projekte planen Sie für das Jahr 2022?

Ich kann das nicht alles aufzählen, aber es wird wieder ein großes Jugendprojekt geben, die Werkstattgespräche werden fortgesetzt, die Siebenbürgische Filmreihe wird neue Filme zeigen etc. Auch ist das Fotobuch von Marc Schroe-der mit den Zeitzeugen der Deportation gerade erschienen, dazu sind mehrere Buchvorstellungen geplant. Ein Highlight unter den Neuerscheinungen ist zudem das Buch von Ioana Pârvulescu „Wo die Hunde in drei Sprachen bellen“, in der Übersetzung von Georg Aescht, auch das werden wir vorstellen, und ich bin überzeugt, dass es sehr gut ankommen wird.