Wenn Worte fliegen können

Nora Iuga erhält Deutsches Bundesverdienstkreuz

Botschafter Werner Hans Lauk überreicht Nora Iuga das Bundesverdienstkreuz.

Wenn Worte fliegen können, dann die von Nora Iuga. Auf sanften Schwingen lösen sie sich aus der irdischen Schwere, steigen in den Wolkenschlosshimmel ihrer Fantasie auf. Kommt Nora nicht etwa von „nor“ (rumänisch: Wolke)? Wie eine solche schwebt die Grande Dame der deutsch-rumänischen Übersetzerkunst lächelnd in den Saal. Hinter kinnlangem silbernem Engelshaar verbirgt sie gekonnt ein kokettes, manchmal auch verschämt schüchternes Mädchen ohne Alter. Sie ist eines in allem, alles in einem: Dichterin, Schriftstellerin und Übersetzerin von über 35 deutschsprachigen Büchern, darunter Schwergewichte wie E.T.A. Hoffmann, Oskar Pastior oder die drei Nobelpreisträger Günter Grass, Elfriede Jelinek und Herta Müller. Aber auch langjährige Botschafterin der deutschen Literatur in Rumänien, Diplomatin zwischen zwei Kulturen. Vor allem aber Liebende und Geliebte: in Worte, Gedanken und Fantasiereisen, auf die sie ihre Leser und Fans stets virtuos entführt. „Auch mit 100 werde ich noch verliebt sein...“, flüstert sie kichernd, nach ihrem Geheimnis befragt – offenbar ihr Erfolgsgeheimnis. 

So war es nur eine Frage der Zeit, dass diese Liebe erwidert – und auch offiziell beurkundet wurde: Am 30. September überreichte der deutsche Botschafter Werner Hans Lauk stellvertretend für Bundespräsident Joachim Gauck der rumänischen Literatin das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Begründet wird die Ehrung durch ihre Rolle als linguistische, kulturelle und literarische Vermittlerin und ihr unermüdliches Engagement zur Verbreitung der deutschen Literatur in Rumänien. Ein nachhaltiger Beitrag zur Förderung der Beziehung zwischen den beiden Ländern, wie der Botschafter in seiner Laudatio betont.  Mit vier Jahren begann Nora Iugas Beziehung zur deutschen Sprache und Kultur, erinnert er an die Stationen ihres Lebens: Kindergarten in Deutschland, dank des Künstlerberufs der Eltern, deutsche Schule in Hermannstadt/Sibiu, dann ein Studium der Germanistik. Nach einem Jahr als Lehrerin wurde sie aus politischen Gründen entlassen, es folgte eine Tätigkeit als Bibliografin in der staatlichen Zentralbibliothek, als Redakteurin im „Neuen Weg“ (heute ADZ) und als Übersetzerin, nachdem sie 1977 für acht Jahre Veröffentlichungsverbot erhielt. Für ihre „interkulturellen Transpositionen“ – Übersetzungen, die vor allem den Sinn originalgetreu wiedergeben – erhielt Nora Iuga 2007 den Friedrich Gundolf-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Doch auch mit eigenen Werken hat sie sich einen Namen gemacht: 1968 erschien ihr erster Gedichtband, 1970 der zweite, gefolgt von einem späten Romandebüt mit dem Titel „Sexagenara {i tân²rul“ (2010,  „Die Sechzigjährige und der junge Mann“). Sie rief den Literaturkreis „Gellu Naum“ ins Leben, ist Mitglied im PEN-Club und im Rumänischen Schriftstellerverband, zeitweilig auch in dessen Leitung. 2010 richtete sie sich mit dem Blog „Die blaue Giraffe“ gezielt an das junge, internetaffine Publikum, um dieses an Poesie heranzuführen und für Literatur zu begeistern. An Dankesreden müsste sie gewöhnt sein... sollte man meinen. Doch die Dichterin ziert sich gekonnt, Worte des Dankes seien „unbequem wie ein Korsett“, und kokettiert: „Vorlesen oder frei sprechen?“. Scheinbar unentschlossen dreht und wendet sie das Blatt, liest dann doch – und unterhält gerade mit ihrer wohlinszenierten Verzögerungstaktik. Dankesreden? Die erinnern an vegetationslose Wüste: „Ich danke dem Präsidenten, der Jury, dem Lektor, dem Rektor, den Sponsoren, natürlich, Mutter und Vater, dem lieben Gott, dem heiligen Geist, der heiligen Familie undsoweiter!“ leiert sie spöttisch herunter. Lieber wolle sie unverblümt und offen sprechen, „denn nur, wenn du dich zeigst, wie du bist, wirst du gesehen.“ Und wie ist Nora Iuga? Wie die leuchtende, stachelige Kaktusblüte in ihrer oben zitierten Wüste. Ihren Dank gibt es nicht ohne Spitzen: „einem kontroversen Deutschland und seinem Volk, gleichermaßen geliebt wie umstritten, manchmal bewundert bis zur Vergötterung, dann wieder furchteinflößend wie der Engel von Rilke“.