Wer Altes meistert, kann Spannendes vermitteln

Ein Tag mit einem Kinder- und Jugendchor aus Harghita

Schola Gregoriana Siculeniei bei der Vorprobe

Am schnellsten erreichen den großen Zielort die kleinsten Sänger.

Hin und weg ist man sofort beim Klang und Anblick der Schola Gregoriana Siculeni im Konzert. | Fotos: Klaus Philippi

Rindfleisch-Suppe, Hühnerschnitzel mit Kartoffeln, Kraut-Salat und bepuderter Käsekuchen aus der Mittagsküche der Gastwirtschaft „7 Tei“ liegen 21 Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern übersatt im Magen, als es von der kräftigen Tafel aufstehen heißt, um die hohe Burg im siebenbürgisch-sächsischen Michelsberg und rumänischen Cisnădioara zu ersteigen. Das Mahl war ritterlich bestellt, man saß auf schweren hölzernen Stühlen in geschlossener Runde um einen einzigen langen Tisch versammelt, doch nun ruft die Arbeit. Raus aus dem angenehm kühlen Speisesaal der Herberge „zu den sieben Linden“ und hinauf durch die Ringmauer der Michelsberger Burg in die Basilika hinein. Denn es ist mörderisch heiß am zweiten Juli-Sonntag, und erst unter dem Dach der über 800 Jahre alten Kirche steht einem der Sinn erneut nach Singen.

Unten auf den Stufen des Burgaufgangs im Waldschatten bildet die Schola Gregoriana Siculeni aus dem Kreis Harghita noch eine lange Reihe. Ihr aber enteilen jäh Spitzen und Verfolger-Gruppen, sobald sich der Wald lichtet und den Blick auf die Burgmauer freigibt. Hier ist sie ja auch endlich kein Panorama mehr, nein, sondern steinerne Wirklichkeit zum Betreten und Anfassen. Genau das Richtige nach bis zu fünf Stunden Fahrt im Reisebus und zusätzlichen 90 Minuten Ausharren vor Portionen, die es in sich haben. Wer es nicht schafft, ihnen beizukommen, hat sich von der Küche einen verschließbaren Pappbehälter geben lassen, um sich das Übergebliebene für die späten Stunden der Heimfahrt nach dem Konzert aufzuheben. Ja, Konzert! In zwölf Stationen und auf Lateinisch. Wie vor acht Jahrhunderten, als in der Michelsberger Burg nach Wünschen von Papst Gregor I. gesungen wurde – obwohl der über 600 Jahre zuvor gestorben war, gibt es noch heute Sängerinnen und Sänger, die sich gerne an seine Vorlieben halten. Vorlieben wie Speisekammern, denen Nachschub nie ausgeht.

Nicht nur in Rom und Italien findet man Erwachsene und Kinder, die sich am Gregorianischen orientieren. Ein Glück, dass auch und selbst im orthodoxen Rumänien die Möglichkeit gegeben ist, ihnen zuzuhören. Denn es könnte auch anders sein und war vor mehr als drei Jahrzehnten schon einmal, falls überhaupt, nur ganz schwierig zu organisieren: im kommunistischen Rumänien hätte Michelsberg einen auf gregorianischen Gesang spezialisierten Chor wohl kaum zu sich nach Hause in die Burg einladen dürfen, selbst wenn das Inland Heimat für ihn gewesen sein sollte. Auch im faschistischen Rumänien würde er Schwierigkeiten ausgelöst haben. Diktaturen sind nicht gut für Idealisten, die sich vom Mainstream absichtlich oder unabsichtlich unterscheiden. Ganz besonders in Kirchen, wo Menschen gerne zusammenkommen. Ványolós András, der Leiter der Schola Gregoriana Siculeni, hat sie bewusst erlebt, die Diktatur. Als Kind.

Erwachsene mit einer so streng prägenden biografischen Erfahrung laufen Gefahr, die Härte, unter der sie aufgewachsen sind, nächsten Generationen weiterzugeben. Und so geschieht es leider manchmal, dass eine Diktatur in den Köpfen älterer Menschen weiter den Ton vorgibt, obwohl sie politisch schon längst aufgehört hat. Ványolos András tritt nicht in diese Falle. Trotzdem er um bald 40 Jahre älter als die Jüngsten der Schola Gregoriana Siculeni ist. Aber er spricht freundlich zu allen 20 Mitsängerinnen und Mitsängern, ohne deren Beteiligung und Begeisterung er das eröffnende Konzert der Reihe  „Michelsberger Spaziergänge“ nicht gestalten könnte. Die meisten Mitglieder des Ensembles, das er vor zehn Jahren im Dorf Siculeni, ungarisch Madéfalva, gegründet hat, waren damals und sind auch heute Kinder und Teenager. Soll heißen, dass man in einem Team wie der Schola Gregoriana Siculeni gerne erwachsen werden kann, wenn man jahrelang mitmacht, und ihm am besten im Grundschul-Alter beitritt.

Musik studiert und sehr gut mit Singstimmen zu arbeiten gelernt hat Chorleiter Ványolós András in Klausenburg/Cluj-Napoca. Er ist der einzige, der in Probe und Konzert seine Hände nicht in betender Haltung vor der Brust zusammenlegt, um allen anderen gestisch die Richtung des zauberhaften Singens anzeigen zu können. Die nämlich ändert sich dauernd, was Aufmerksamkeit erfordert. Gezielt kümmert sich der Chef auch um die Stimmen der Kinder und Jugendlichen; die technischen Singübungen zu Proben-Anfang sind nicht langweilige Formsache, sondern nötig, um den Körper jedes einzelnen Chormitglieds anschließend nicht mehr als unbedingt nötig zu verschleißen. Denn nur eine physisch gesunde ist eine gute Leistung. Das zwölfteilige Konzert in der romanischen Basilika der Michelsberger Burg beginnt mit einem „Hymnus“, auf den der „Introitus“, das „Kyrie“, das „Graduale“ und irgendwann später endlich auch das „Sanctus“ folgen, ehe der Bogen nach drei weiteren Stationen mit einem anderen Hymnus schließt. All das hat freiwillig mit Kirche zu tun. Und darf auch zum Schluss noch so frisch wie zum Beginn tönen. Deswegen der sorgfältige Umgang mit den Singstimmen.

Warum der Kinder- und Jugendchor unter Leitung von Ványolós Andras „Schola“ Gregoriana Siculeni heißt, wo das Singen in den Schulen Rumäniens langsam aus der Mode kommt? Die Antwort liegt in einer römisch-katholischen Tradition. Genauso wie unter Abschirmung der Öffentlichkeit lebende Klostergemeinschaften, die dem Vatikan unterstehen und bescheiden wie im Mittelalter leben, gibt es in Transsylvanien und Rumänien auch die Chance, sich einschließlich draußen in der Welt gern von ihnen anstecken zu lassen.

Weil Ványolós András freundlich zu den Mitgliedern der Schola Gregoriana Siculeni ist, sind sie es auch untereinander. Es ist nicht eben ruhig bei Tisch vor der Probe und dem übervollen Konzert in Michelsberg, doch hört man niemanden schimpfen oder dröhnend lachen. Es geht um die Schule eines ausgeglichenen Miteinanders, und sie klappt bestens.

Konversationsreif Rumänisch sprechen – das ist es, was eher einige Probleme bereitet. Chorleiter Ványolós András, seine Frau Orsolya und der Busfahrer können sich sehr gut auf Rumänisch unterhalten. Dass die Kinder „nicht mehr als gerade mal nur das lernen, was im schulischen Unterricht Pflicht ist“, kann man ihnen nicht verübeln. Nach Michelsberg gekommen sind sie wegen ihres gregorianischen Gesangs in lateinischer Sprache vor einer originalen Kulisse des 13. Jahrhunderts.

Außerdem begrüßt László-Zorán Kézdi, Pfarrer der evangelischen Kirche im Nachbarort Heltau/Cisnădie, sie eigens auch auf Ungarisch zum Konzert in der Michelsberger Burg. Nicht nur auf Deutsch und Rumänisch. Ein dreisprachiges Willkommen, wie es siebenbürgischer kaum gesprochen werden könnte, doch genau darum auch seine Zeit braucht. Nicht zu vergessen der Vortrag von Historiker Dr. Konrad Gündisch nach dem Konzert, der sich zieht. Trocken, trotz spannender Infos. Aber selbst zum Zeitpunkt, wo ihr Singen schon lange nicht mehr gefragt ist und sie nur noch sitzend auf das Ende warten muss, behält die Schola Gregoriana Siculeni ihre Geduld. Wovon sie in der Burg bedeutend mehr als mancher Zuhörer hat. Engelsgeduld, möchte man sagen. Und göttlich ihr Gesang.