„Wichtig ist, im Leben etwas zu machen, was einen erfüllt“

Ein Interview mit Dr. Christian Mustață von der Polytechnischen Universität Bukarest

Dr. Mustață unterrichtet auf Deutsch an der UPB. | Foto: privat

Die Polytechnische Universität Bukarest (UPB) geht auf eine Polytechnische Schule aus dem Jahr 1864 zurück und ist seit 1818 die bedeutendste technische Universität in Rumänien. Die über 30.000 Studierenden und etwa 3000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verteilen sich auf 15 Fakultäten – angeboten werden hier Studiengänge in klassischen Ingenieurswissenschaften ebenso wie etwa Raumfahrttechnik oder Biotechnologische Systemtechnik
Dr. Cristian Mustaț㲠ist Professor an der Fakultät für Ingenieurswissenschaft in Fremdsprachen, wo verschiedene Bachelor- und Masterstudiengänge auf Englisch, Französisch und Deutsch angeboten werden – er koordiniert die Masterprogramme in Deutscher Sprache und gab ADZ-Redakteurin Veronika Zwing einen Einblick.

Seit 1991 kann man an der Polytechnischen Universität Bukarest (UPB) verschiedene Studiengänge in deutscher Sprache studieren – wie kam es dazu, und wieso zu diesem Zeitpunkt?


Das steht vielleicht ein bisschen im Gegensatz zum Trend dieser Zeit, als leider viele Angehörige der deutschen Minderheit nach Deutschland umgezogen sind – aber dass die deutschsprachigen Studiengänge zu diesem Zeitpunkt gegründet wurden, liegt an der Revolution von 1989: Es gab schon lange davor eine Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt, seit den 1970ern – aber das war in der kommunistischen Zeit natürlich keine leichte Sache, Darmstadt war in der BRD, und wir hier in Rumänien hinter dem eisernen Vorhang… man war durch die politische Situation einfach sehr eingeschränkt.

Nach der Revolution hat sich aber vieles bewegt, die damaligen Direktoren beider Universitäten waren sehr engagiert, aber auch viele Professoren: Damals, in den 1990ern, war das nämlich noch so, dass die jeweils für eine Woche nach Bukarest gekommen sind und hier Blockunterricht gehalten haben. Die haben ja in Darmstadt gearbeitet, die konnten nicht zwei Stunden Unterricht in der Woche hier halten.

Ich war selbst Student damals – da kam für eine Woche der Professor für Marketing, dann gab’s eine Woche lang keinen anderen Unterricht, sondern jeden Tag Marketing – dann ist der zurück nach Darmstadt geflogen, und für die nächste Woche kam ein Professor etwa für Wirtschaftswissenschaften… Am Ende wurden die Prüfungen nach Deutschland geschickt und dort korrigiert. Ich weiß nicht, ob heute Professoren noch die Zeit, Energie und Lust hätten, das zu machen.

Und dann gab es noch einen dritten wichtigen Faktor: Das war der DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst, Anm. d. Red.), der uns finanziell unterstützt und vieles möglich gemacht hat – etwa, dass die Deutschen hierher fliegen konnten. Aber auch einfache Sachen, wie etwa Kopiergeräte – die Uni hatte ja nicht gerade viel Kapital damals, und die Deutschen haben viel investiert in diesen Wirtschaftsingenieurswesen-Studiengang. Bis heute finanziert der DAAD eine Lektorenstelle hier, die „deutschen Wind“ in die Sache bringt.
Also, es waren verschiedene Faktoren, und viele engagierte Menschen, die ermöglicht haben, dass wir jetzt hier an der UPB einen Studiengang nach deutschem Muster haben. 

Das heißt, dass auch die Lehrpläne gleich sind wie in Deutschland?

Ja, wir haben die Lehrpläne der TU Darmstadt übernommen – es war auch landesweit der erste Studiengang im Fach Wirtschaftsingenieurswesen, erst danach sind sehr schnell sehr viele in rumänischer Sprache im ganzen Land erschienen, aber wir waren die ersten und haben auch rumänische Partner beraten, was die Lehrpläne und Vorlesungskonzepte angeht. 

Wie sind Sie selbst dazu gekommen, auf Deutsch an der UPB zu studieren?

Ich war an der deutschen Schule in Bukarest, die jetzt Goethe-Kolleg heißt, und wollte eigentlich Medizin studieren. Deshalb habe ich diese Nachhilfestunden genommen, die brauchte man dafür. Aber dann kam im März der damalige DAAD-Lektor an meine Schule und hat Werbung gemacht für den Studiengang. Ich habe mich drei Tage lang intensiv in Entscheidungsfindung geübt… und dann meinen Eltern gesagt: Ihr müsst keine Nachhilfestunden mehr für mich bezahlen, Mathe und Physik kann ich auch so!
Mir hat das sehr gefallen, dass man hier an der UPB Aufgaben lösen musste, wo es darum ging, dass man die Logik verstehen musste, und nicht die Wörter auswendig lernen, wie das an der Schule war – da musste alles wortwörtlich sein, und wenn man ein Komma vergessen hat, dann war alles falsch... 

Wird heute noch aktiv Werbung an Schulen für die Studiengänge gemacht, oder kommen die Studierenden von selbst?

Wir machen schon Werbung – es gibt etwa einmal im Jahr das „Polifest“, da treffen sich alle Interessensgruppen, die Studierenden, die Lehrenden, die Administration… Und deutsche Firmen stellen sich als potentielle Arbeitgeber vor – die Veranstaltung richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler. Die können dabei auch Fragen stellen, das hat auch dieses Jahr online sehr gut funktioniert. Es geht darum zu zeigen, dass ein technisches Studium vielleicht schwieriger ist als andere Fächer, sich das aber lohnt. Auch wenn man am Anfang nur den Schweiß und die Arbeit sieht – am Ende sieht man die Früchte!
Schwierig ist aber, die Leute zu überzeugen, dass sich das Vorbereitungsjahr lohnt: Das wurde 1995 eingeführt, und heißt, dass die Studierenden ein Jahr lang die deutsche Sprache lernen, bevor sie das eigentliche Studium beginnen. Wenn sie den Test am Ende bestehen, können sie danach das technische Studium beginnen – die normale Aufnahmeprüfung für die Uni haben sie schon davor gemacht, ganz normal.
Vielen erscheint das eben als ein „verlorenes Jahr“, und auch das restliche Studium ist in einer Fremdsprache schon noch einmal schwieriger als in der Muttersprache. Wir versuchen, die Leute zu überzeugen, dass sich das lohnt – aber alle will man ja auch nicht überzeugen, sie müssen es ja auch selber wirklich wollen!
Ich biete ihnen eine helfende Hand an – aber ich bin keiner, der jemanden zu etwas drängt. Ich denke, dass es wichtig ist, im Leben etwas zu machen, was einen erfüllt – dafür müssen die jungen Leute die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, was sie tun wollen. Ich glaube, dass das den Unterschied ausmacht zwischen guter Arbeit, die man verantwortungsbewusst macht, und exzellenter Arbeit, wo man mit Seele dabei ist. Und wenn jemand verbittert ist, da quält man sich und andere…

Wie viele sind es ungefähr pro Jahr, die sich für einen deutschsprachigen Studiengang an der UPB entscheiden?

Am Anfang, da hatten wir im Vorbereitungsjahr zwei Gruppen mit je 20 Leuten, und dann im Studium Jahrgänge mit ungefähr 75 Leuten – das ist dann aber allmählich zurückgegangen, zuerst auf eine Gruppe im Vorbereitungsjahr, dann auf unter zehn Leute… 
Es spiegelt sich, dass es in jedem Jahrgang weniger Absolven-tinnen und Absolventen gibt, dann kommt noch die Sprache als Filter – Deutsch ist eben eine harte Nuss zu knacken, das ist nicht wie Englisch, das man aus Filmen und Musik ja schon recht gut kennt. Dieses Jahr, wo der Unterricht nur online stattfindet, ist es besonders hart, wir fürchten, dass bis zu 50 Prozent das Vorbereitungsjahr nicht beenden, sonst sind das zwischen zehn und zwanzig Prozent.
Und mit Deutschkenntnissen  kann man inzwischen auch recht einfach in Deutschland oder Österreich studieren, oder ein anderes Studium auf Deutsch hier in Rumänien absolvieren. 
Wir haben da gelitten mit den Zahlen, muss ich sagen – es scheint aber gerade ein Comeback zu geben: Jetzt haben wir ein Vorbereitungsjahr mit 21 eingeschriebenen Studierenden, nach mehreren Jahren unter zehn, bis zu drei Studierenden…

Nur drei Studierende in einem Kurs? Dafür konnten die dann am Ende wohl großartig Deutsch? 

Naja – einerseits hatten die zwar quasi Privatunterricht, aber: Für ein motivierendes Studienumfeld braucht es größere Zahlen, damit eine Gruppendynamik entstehen kann – da motiviert man sich gegenseitig, also die Studierenden untereinander. 
Man merkt das auch oft in Gruppen, wie die Stärkeren die Schwächeren mitziehen, und außerdem geht es beim Studium ja auch um das soziale Leben, darum, neue Freundschaften zu schließen – das fällt dann weg. Also, die Atmosphäre war nicht so großartig, es war auch für die Unterrichtenden nicht einfach, die Studierenden durch das Jahr zu motivieren. Einer von ihnen ist außerdem nach Deutschland gegangen während des Jahres, dann waren es nur noch zwei… 

Gehen viele nach Abschluss des Studiums nach Deutschland? Ingenieurswissenschaften auf Deutsch zu studieren ist ja geradezu ein Sprungbrett zur Auswanderung – und Rumänien hat ohnehin ein massives Problem mit der Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen.

Ich würde sagen, dass mehr als drei Viertel nach dem Studium in Rumänien bleiben – aus einem einfachen Grund: Die Wirtschaft braucht viele Leute mit dieser Ausbildung, wir haben wenige Studierende. Das heißt, sie können sich von Anfang an zwischen zwei, drei, vier gut bezahlten Jobs entscheiden. Und nicht nur das Einstiegsgehalt ist gut, meist steigert es sich in den ersten Jahren schnell – kaum jemand ist nach drei Jahren noch in der Position, in der er oder sie angefangen hat. 
Und weil sie Wahlmöglichkeiten haben, können sie auch andere Kriterien beachten – ist die Atmosphäre gut in der Firma, finde ich inhaltlich interessant, was gemacht wird? Also, für die Unternehmen ist das nicht so gut, die könnten fünfmal mehr Leute einstellen als wir ausbilden, aber für die Absolventen ist das natürlich sehr gut.
Natürlich wären die Löhne in Deutschland etwas höher – aber im Verhältnis zu den Lebenskosten macht es für die meisten finanziell wenig Sinn, auszuwandern. Und die meisten von unseren Absolventen verdienen nicht nur überdurchschnittlich, sie sind auch sehr zufrieden – auch, weil sie in deutschen oder internationalen Firmen mit neuen, spannenden Technologien arbeiten. 

Haben Sie Kontakt mit Alumni, dass Sie deren Situation so gut kennen?

Ich habe für das Vorbereitungsjahr Alumni eingeladen, den Studierenden zu erzählen – von ihrer beruflichen Laufbahn, was wichtig war, worauf man achten sollte, wie es ihnen jetzt geht... Das war für die Studierenden sehr inspirierend, weil es sehr persönliche Perspektiven waren, und weil sich gezeigt hat, wie viele unterschiedliche Dinge man mit dem Studium später anfangen kann. 

Wie sieht die Kooperation der UPB mit Firmen hier aus?

Das sind vor allem zwei Punkte: Einerseits haben wir immer wieder Vortragende aus Unternehmen – das ist gut für den Unterricht, wenn jemand kommt und erzählt, wie in der Praxis aussieht, was ich in der Theorie erkläre. 
Und dann natürlich die Praktika: Unsere Studierenden müssen im dritten Jahr ein Pflichtpraktikum absolvieren, im Ausmaß von 320 Stunden. Letztes Jahr haben wir es wegen der Pandemie auf 180 Stunden gekürzt – wir können sie ja nicht zu etwas verpflichten, was unmöglich ist. 
Dieses Jahr ist das Praktikum wieder normal, und alle haben einen Praktikumsplatz gefunden – normalerweise insistiere ich bei den Firmen, dass das auch bezahlt wird, aber dieses Jahr waren wir nur froh, dass es überhaupt Plätze gab… Für die Studierenden ist das nicht nur wichtig, weil sie viel lernen dabei, sondern auch, weil die Firmen, wenn alles gut gelaufen ist, am Ende meist ein Job-Angebot machen. 

Vielen Dank für das Interview!