Der Name dieses Sonntags, des 1. Juni, leitet sich von der lateinischen Antiphon ab: „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe! Sei mir gnädig und erhöre mich!“ (Psalm 27, 7). „Exaudi“ bedeutet also „Höre“ – ein passendes Motto für die Reflexion über das Hören und Gehört-Werden in der Gegenwart Gottes.
Dieser Sonntag weist schon deutlich auf Pfingsten hin, indem er die wartende Haltung der Gemeinde betont und damit die Abhängigkeit vom Heilswirken Gottes hervorhebt. In dieser Erwartung dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott unsere Gebete hört.
Als Predigtwort für diesen Sonntag hören wir folgende Verse aus dem Brief an die Epheser 3, 14-17.
„Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.“
Diese Worte aus dem Epheserbrief erinnern uns an ein inniges Gespräch mit Gott. „Ich beuge meine Knie“ – eine Haltung, die in unserer Zeit oft vergessen wird. Wer tut das heute noch? In der Vergangenheit war es selbstverständlich, vor einem Herrscher zu knien – dies zeugt von Respekt und Ehrfurcht.
In der heutigen Zeit ist die Anrede „Herr Präsident“ eine Form des Respekts, die wir auch in der Kirche erleben. Doch wie viel mehr sollten wir unserem Schöpfer Respekt zollen, der über Himmel und Erde herrscht! Der Beter des 90. Psalms erinnert uns daran, wie klein wir sind im Angesicht Gottes: „Denn tausend Jahre sind vor Dir wie der Tag, der gestern vergangen ist und wie eine Nachtwache.“ (Psalm 90, 4).
Wenn wir von Gott als unserem Vater sprechen, ist es wichtig, das Bild eines liebenden Vaters zu verstehen. Martin Luther beschreibt Gott als einen Vater, der uns liebt. Wenn wir „Vater unser“ beten, erkennen wir, dass Gott uns wie ein liebevoller Vater behandelt. Der Epheserbrief spricht von der Notwendigkeit, dass Christus durch den Glauben in unseren Herzen wohnt. Glaube und Liebe sind die zentralen Werte, die Gott von uns erwartet. Unsere Liebe zu Gott und zu unseren Nächsten ist ein unerschütterliches Fundament.
Eine Novelle von Gottfried Keller erzählt von einem jungen Paar. Unweit des fiktiven Ortes Seldwylas in der Schweiz pflügen zwei reiche Bauern ihre Felder. Dabei eignen sie sich Furche um Furche den Acker eines Armen an. Im Streit um diesen Besitz werden sie zu erbitterten Feinden, geraten in die Hände von Seldwyler Advokaten und ruinieren in jahrelangen Prozessen ihre Höfe.
Ihr Hass zerstört auch das Leben ihrer Kinder: Sali und Vrenchen lieben sich ohne Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Sie beschließen, zusammen einen einzigen schönen Tag zu verbringen und sich dann zu trennen. Doch am Ende dieses Tages können sie nicht mehr voneinander lassen und nehmen sich gemeinsam das Leben. Keller thematisiert die zerstörerische Kraft des Hasses und die Aufopferungsbereitschaft der Liebe. Liebe ist etwas Besonderes. „Liebe ist eine Himmelsmacht“. Wir sehnen uns alle mehr oder weniger nach Liebe.
Diese Liebe zu allen Menschen, das ist die Liebe Gottes. Liebe ist ein Geschenk. Man kann sie nicht kaufen. Und so ist es auch mit dem Glauben.
Wie soll ich an Gott glauben? Ich sehe ihn ja nicht. Glaube ist wie Liebe - ein Geschenk. Dieser Glaube an Gott und Christus ist so stark, dass der kleine Junge von vor 2000 Jahren auch heute Nachfolger in aller Welt hat.
Unser Predigtwort schließt mit den Worten: „Dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ Dies fordert uns auf, in Ehrfurcht und Dankbarkeit zu reagieren – indem wir unsere Knie vor dem liebenden Vater beugen. Lasst uns nun gemeinsam in dieser Haltung der Anbetung leben.