Wort zum Sonntag: Epigonen in Bedrängnis

Der zehnte Sonntag nach Trinitatis ist in den evangelisch-lutherischen Kirchen dem Gedenken an Israel und die heilige Stadt Jerusalem gewidmet sowie auch der Verbundenheit der Kirche mit dem auserwählten Volk Gottes durch die Person des Messias Jesus Christus. Den Spruch Jesu: „Das Heil kommt von den Juden“ sollten wir nicht nur auf ihn, der als Jude der Welt das Heil gebracht hat, beziehen, sondern auf die gesamte Präsenz des von Gott geliebten Volkes in der Geschichte. Das heißt, auch heute können die Juden ein Heilsbrunnen für die anderen Völker werden, wenn sie sich ihrer Erwählung und Gottgeliebtheit bewusst sind und diese auch öffentlich bekennen, so wie Gott sich zu ihnen bekennt. Liebe verlangt Gegenseitigkeit.

Dass eine Liebesbeziehung für andere auch ein Ärgernis sein kann, wissen wir nur zu gut: Der Liebling des Chefs ist beim Rest der Kollegenschaft meistens verhasst. Klassisches Beispiel dafür sind Josef und seine elf Brüder, die ihn wegen der Bevorzugung durch ihren Vater Jakob so sehr hassten, dass sie ihn am liebsten umgebracht hätten. Auf diesem Hintergrund ist der immer wieder aufflammende Antisemitismus durchaus erklärbar. In den heiligen Schriften spart Gott nämlich nicht an Liebeserklärungen zum Volk Israel und nicht an Aufforderungen, durch ihre Erleuchtung der ganzen Welt ein Licht zu sein. Welche stolze Nation, die andere Götter verehrt oder gar keinen Gott haben will, wird das nicht als Übergriffigkeit empfinden?

Aber so ist Gott nun mal: fordernd und besitzergreifend. Er will, dass allen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Dazu bedient er sich der Juden als Boten und Zeugen, und seit seiner Menschwerdung auch der bekehrten und getauften Männer und Frauen aus allen Völkern. Durch den Propheten Sacharja (Kap. 8,20-23) erfahren wir, dass die Reaktion der Heiden auf Gottes Wirken nicht immer Mord und Totschlag an Propheten und Missionaren sein muss, sondern durchaus auch eine positive sein kann. Wir lesen, dass die Ungläubigen allen Stolz beiseite lassen und hereilen zu dem Volk und dem Ort, wo Gott zu finden ist und sagen: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist.
Immanuel, das heißt übersetzt : Gott mit uns. So greift Matthäus 1,23 die Prophezeiung des Jesaja auf und sieht sie in Jesus erfüllt. Gott mit uns. Das gilt nun für Christen wie für Juden. In unseren Tagen erleben wir es, dass Juden wie auch Christen es vermeiden, sich als Lieblinge Gottes, als seine Hausgenossen zu erkennen zu geben. Stattdessen möchten sie zusammen mit den Heiden heidnisch leben, heidnisch genießen, heidnisch sich bekämpfen. Aber das geht nicht, denn die Heiden wissen nur zu gut, dass wir Gottes Eigentum sind und wenn wir es verbergen, werden sie es uns vorhalten: Wir hören, dass Gott mit euch ist. Schon ist die Zeit da, wo Gottlose uns zu Gott treiben, wo die Steine reden, weil die Prediger schweigen.

Oft hört man, die Kirche mit ihren Lehren sei nicht mehr aktuell, auch sei der heutige Staat Israel zu unterscheiden vom biblischen Israel. Und wer sagt das? Nicht etwa Heiden, sondern geistentleerte und feige Verwalter dieser beiden göttlichen Institutionen, die sich nicht mehr trauen, das Licht der Wahrheit zu verkündigen. Aber die Außenstehenden lassen sich nicht täuschen: die Frevler bekämpfen weiter die Kirche und bekämpfen Israel, während die nach Gott Suchenden hoffnungsvoll auf Kirche und Israel blicken. So werden deren Epigonen von zwei Seiten bedrängt: Die einen drohen, sie zu vernichten, die anderen suchen bei ihnen die Rettung. Keiner nimmt dabei ihre Abtrünnigkeit zur Kenntnis. Was für ein Trauerspiel. Amen.