Das keine zwei Stunden von Bukarest entfernte Bucegi-Gebirge bietet durch seine Nähe zur Kapitale ein ideales Tages- oder Wochenendziel für großstadtmüde Bukarester. Nicht nur die Schlösser Peleş und Pelişor, sondern vor allem eine beeindruckende und vielfältige Natur laden zu einem aktiven Kurzurlaub ein. So entfliehen wir dem Bukarester Trubel und fahren Samstag Morgen mit dem Regionalzug um 6:20 Uhr vom Nordbahnhof ins Prahova-Tal. Unsere Wanderung beginnt am Bahnhof Sinaia und führt über die Poiana Stânei ins Ialomiţa-Tal nach Padina und Buşteni. Auch ohne Wanderkarte ist sie leicht nachzuvollziehen.
Wir überwinden die ersten Höhenmeter auf der Treppe in die Stadt und orientieren uns an der blauen Wegmarkierung. Die Strada Octavian Goga führt am Dimitrie Ghica Park entlang bergauf, an dessen Ende wir links abbiegen und die Treppen zum 1695 gegründeten Kloster Sinaia hinaufsteigen. Den Klostermauern folgend gelangen wir zur schattigen Carmen Sylva Allee, die zum ersten Höhepunkt der Wanderung, Schloss Peleş, führt. Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde es für König Karl I. als Sommerresidenz erbaut. Wir durchqueren den Park, in dem inzwischen alle „Achtung Bären“-Schilder entfernt sind. Noch vor zwei Jahren prangten mehrere dieser martialisch gestalteten Poster am Eingang von Park und Wald, doch störten sie wohl das touristische Idyll. Von Bären oder anderem Getier ungestört steigen wir zwischen den Schlössern Peleş und Pelişor den zunächst noch gepflasterten, aber unmarkierten Weg nordwestlich in Richtung Gebirge.
Auch mal barfuß durchs Flussbett
Sobald sich der Wald hinter uns schließt, tauchen wir in eine andere Welt: Selten begegnen uns Menschen; die nur vom Gesang der Vögel unterbrochene Stille lässt uns das Gedränge und ständige Rauschen in den Straßen Bukarests vergessen. Nach dem Passieren der stillgelegten Cabana Vulp²rie treffen wir wieder auf unsere Markierung, den blauen Strich. Ihm folgend durch den schattigen Buchenwald steigen wir zwischen Colţul Roşu und Colţul Corbiului in Serpentinen zur Poiana Stânei auf 1270 Meter Höhe auf. Kurz vor der Poiana lädt eine steinern eingefasste Quelle vor der monumentalen Kulisse des Bergmassivs zur Rast ein. Fotopause!
Nach einer Stärkung besteigen wir diesmal nicht den blau markierten Weg zur Piatra Arsă, sondern halten uns links auf dem Fahrweg durch den Wald, der nach etwa einer dreiviertel Stunde zur Einsiedelei Sfânta Ana führt. Kurz danach stoßen wir auf die Straße zur Cota 1400, die wir aber schnell wieder verlassen und rechter Hand auf den Waldweg einbiegen. An der Cota 1400 angekommen, nutzen wir die Gondelbahn, um zur Station Cota 2000 hinaufzufahren und folgen hier vom nur wenige Meter entfernten Gipfel La Cetate an einer neuen Markierung (gelbes Kreuz/roter Strich). Beim etwa halbstündigen Abstieg sehen wir im Westen schon die Erhebungen Lăptici und Pietrosul, zwischen denen wir später hinab zur Cabana Padina steigen werden. Vorher aber biegen wir nach einer - mitten in der Natur ziemlich unpassend erscheinenden - Baustelle nach Norden ab und folgen dem sehr gut ausgeschilderten Weg (roter Strich) durch ein malerisches kleines Flusstal, in dem sich der Weg und der Fluss umeinander winden, so dass wir an etlichen Stellen die Schuhe ausziehen müssen, um baren Fußes das kalte Nass zu durchqueren.
Auf dem Sattel zwischen Lăptici und Pietrosul angekommen, überqueren wir den Fahrweg und steigen durch den Wald ins Ialomiţa-Tal. Die Fichten und Tannen beidseits des Weges sind märchenhaft mit Moos und Flechten behangen. Am Ende des Waldes überqueren wir eine Lichtung, die von durch Wildfraß zum Bonsai-Dasein gezwungenen Tannen gesäumt ist. Jetzt ist es nicht mehr weit nach Padina. Doch es gilt noch einmal, einen Fluss zu durchqueren. Also noch einmal die Wanderschuhe ausgezogen und eine kurze Kneippkur hinter sich gebracht.
Beim letzten Abstieg durch ein lichtes Wäldchen sehen wir schon einige Häuser, die zum Padina-Komplex gehören, und staunen über den von Schafen und den Tieren des Waldes akkurat „getrimmten“ Rasen. An der Cabana Padina angekommen, begrüßen uns die Hunde des Hauses neugierig. Wir werden in der wunderschönen Holzhütte „Belvedere“ - mit Bad im Zimmer und Gemeinschaftsküche - einquartiert, die allerdings von zwei riesigen und recht hässlichen Bernhardinern beschützt wird.
Elefantenfriedhof, alte Mütterchen, Sphinx
Am nächsten Morgen beginnt die Wanderung auf dem mit blauem Kreuz markierten Weg nach Norden. Von hier aus ist ein kurzer Abstecher zum vor über 500 Jahren von einem Sohn Vlad Ţepeş‘ gründeten Kloster Peşterea Ialomiţei möglich, das direkt im Eingang der Höhle liegt. Vom Gesang der Mönche begleitet, der aus einer wenige hundert Meter entfernten kleineren Kirche erscholl, ging es an einigen Hotels und der Talstation der Gondelbahn vorbei, die wie bullige Fremdkörper auf den Wiesen stehen.
In der wärmer werdenden Morgensonne stiegen wir hinauf zum sogenannten Elefantenfriedhof, dem Cimitrul Elefanţilor. Immer wieder drehen wir uns um, um das beeindruckende Panorama zu genießen, in dem immer noch Schneefelder liegen und reizvolle Akzente bilden. Wir überqueren den Elefantenfriedhof und erreichen nach einiger Kletterei die Babele oder „alten Weiber“, wie die durch Winderosion geschliffenen Felsformarmationen in Anlehnung an eine Legende genannt werden.
Die Sphinx - ein ebenso entstandenes, beeindruckend großes Antlitz aus Stein - markiert mit 2200 Metern den höchsten Punkt der Wanderung. Leider findet sich nur eine kleine Informationstafel, die mehr Wert darauf legt, zu erklären, dass wir uns hier an einem wichtigen touristischen Ort befinden, zum Ursprung der Steinformationen aber nur drei Zeilen verliert. Dabei wäre die Entstehungsgeschichte der von der Kraft des Windes aus kreidezeitlichen Ablagerungen geformten Figuren schon ausführlichere Erläuterungen wert. Sie sind nicht nur geologisch interessant - auch etliche mythische Legenden, die sich auf die Zeit der Daker beziehen, ranken sich um diesen Ort. Eine schon fast ironische Reminiszenz daran bietet ein Graffito auf der Betonwand eines halb verfallenen Toilettenhäuschen: „Zalmoxis liebt dich“ steht da geschrieben. Ob er der Sanitärruine wohl das ewige Leben zu schenken vermag?
Atemberaubender Abstieg - eher für Profis
Geologie und Götter hinter uns lassend wenden wir uns Richtung Süden zur Gondelstation, von der es alle 15 Minuten talwärts geht. Gruppen mit kleinen Kindern und unerfahrenen Wanderern ist zu empfehlen, die Seilbahn zu nutzen, denn der Abstieg durch die Schlucht ist anspruchsvoll und langwierig. Die spektakuläre Schönheit der Schlucht lässt sich auch – freilich aus anderer Perspektive und gleichsam nur im kurzen Vorübergleiten - auch aus der Gondel bestaunen.
Wir aber wählen den Abstieg durch die Schlucht hinunter nach Buşteni und folgen weiterhin dem blauen Kreuz. An der letzten Einkehrmöglichkeit, der Cabana Caraiman, bietet sich ein atemberaubender Blick in die Schlucht und ein Ehrfurcht gebietender Einblick in den vor uns liegenden Weg.
Etwa drei Stunden lang klettern wir den zum Teil sehr steilen und von Schneefeldern bedeckten Pfad hinab. Links und rechts bieten die schroffen Felsen einen überwältigenden Anblick. Über eintausend Meter steigen wir hinunter und können währenddessen den Formenwandel der Tier- und Pflanzenwelt bestaunen. Sauste uns auf dem Gipfel nur der frische Wind um die Ohren, hören wir nun mit jedem Schritt nach unten mehr Vogelstimmen. Die felsige, nur aus Gras und ein, zwei Blütenpflanzen bestehende alpine Vegetation wird, je tiefer wir kommen, artenreicher. Zuerst durch Lärchen-, dann Mischwald gelangen wir schließlich in einem Laubwald an, in dem sich Schmetterlinge und Bienen tummeln.
Auf der Wiese vor der Talstation der Seilbahn treffen sich Buştener Familien beim Sonntags-Picknick. Wir gehen den letzten Kilometer durch das belebte Stadtzentrum Buştenis zum Bahnhof. Lange warten müssen wir nicht auf unseren Zug. Gemeinsam mit vielen weiteren Wochenendausflüglern steigen wir in die Waggons und sind am selben Abend zurück in der Hauptstadt.