Kopfzerbrechen, wie jedes Mal am Wochenende: Wo soll man als Temeswarer mit Kleinkindern sein Wochenende verbringen? Bei noch lieblichen Herbsttemperaturen hatten wir ein neues Ziel aufgesucht, statt der schon in- und auswendig gekannten: Temeswarer Zoo oder Kinderpark. Für einen Spaziergang im Szegeder Tierpark oder einen Plantschnachmittag in einem der Aquaparks in Mako, Szeged oder Debrecen reichte diesmal die Zeit nicht, also versuchten wir es mit einem näheren Zielort: Etwa 20 Kilometer von Temeswar/Timişoara entfernt liegt der Dendrologische Garten Basosch/Bazoş.
Der Spalier am Eingang und die Alleen erinnern daran, dass dies kein wilder Wald, sondern ein liebevoll geplanter Park ist. Dieser ist dem Grafen Ludovic Ambrozy zu verdanken, der als Botschafter der K. u. K. Monarchie in den USA gewirkt und zig Bäume vom nordamerikanischen Kontinent, vorwiegend aus dem „Arnold Arboretum“ der Universität Harvard, ins heimatliche Banat gebracht hat - schön zusammengewürfelt in einem Park, der nach dem Zerfall der Donaumonarchie im Zuge der Agrarreform enteignet wurde: Ambrozy ließ das Schloss, das er im Park errichtet hatte, aus Wut zerstören. Jetzt steht nur noch der Wasserturm da, kahl und grau und oft fotografiert.
Heute gehört der Park dem Temeswarer Institut für Forschung und Ausgestaltung der Wälder: Ab und zu kommen Schulklassen nach Basosch, die Wald-Lektion im Freien bringt mehr als der trockene Stoff aus dem Lehrbuch. Sie beleben zwar die Szene - und doch scheint der Park nicht aus seinem Dornröschenschlaf entrissen...
Marienkäfer, Mücken und Menschen
Dass es um Temeswar herum an Marienkäfern wimmelt, hatten wir zwar schon von Landwirten gehört, doch die Ausmaße der Plage nicht verstehen können. Erst als Mona mit ihrer Familie auf uns zukam und sagte, sie hätten den Nachmittag in einer Lichtung wegen der fliegenden Glücksbringer unterbrochen, wird es bedenklich. Wir hatten uns gerade durch eine Mückenwolke durchgerungen. Mücken sind aber aus der Landschaft nur schwer wegzudenken, liegt der Park doch zwischen Bega und Temesch.
Für uns unglaublich ist hingegen die Ansammlung von Menschen, weil wir beim letzten Besuch hier, vor gut zwei Jahren, die Einzigen im Park waren. Der Park ist bei Temeswarern, die nach frischer Luft, Natur und Herbstfarben lechzen, wieder beliebt. Ballspiele, Spaziergänge, auch Radfahren unter den hundertjährigen Laub- und Nadelbäumen von allen Kontinenten - das alles erleben die Menschen um uns. Eine Mutter entspannt sich, legt sich unter eine alte Eiche auf die Erde, während ihr fünfjähriges Mädchen versucht, den knorrigen vielfotografierten Baum zu besteigen.
Drei Kinder im Vorschulalter spielen Ball, lachen mit vorderzahnlosen Mündern, ihre Eltern sammeln die Reste eines Picknicks im Freien von einem Holztisch in der Waldlichtung ein. Auch eine Invasion an Profi- sowie Amateurfotografen erlebt der Park, eine richtige Schau an Fotoapparaten. Ob Job oder Hobby, das Fotografieren scheint bei den Temeswarern sehr beliebt zu sein.
Die Fotografen, die an solchen Sonntagen arbeiten, haben es mit Brautpaaren zu tun. Eine Braut kommt uns in einem spanisch anmutenden Spitzenkleid entgegen, das sie leicht anhebt, damit es den Boden nicht streift - rote, ganz und gar nicht brauthafte Schuhe lugen darunter hervor. Der Bräutigam kommt ihr in einigen Metern Entfernung nach, sie hat es eilig, einen weiteren sonnigen Ort im Wald zu erreichen, der Fotograf ächzt unter seiner Kamera.
Die Eiche grüßt
Zuerst begrüßt uns Quercus robur L., die europäische Eiche, der diplomatische Gesandte und Hüter des Parks. Hoch und höher: Um seine Majestät zu bewundern, muss man den Kopf weit nach hinten strecken und gen Himmel schauen. Auch viele Jugendliche sind im Park, spazieren in Gruppen, lachen und entdecken. Zwei ältere Frauen betreten das Territorium der Bäume, neugierig auf die Natur, aber neugieriger auf die Luft. Chaenomeles superba nickt uns Dank des leichten Luftzuges zu, der japanische Quittenbaum ist der Botschafter seiner Heimat, hat sich aber perfekt in die Landschaft eingelebt. Herbst ist es hier, am Anfang des Parks, nur auf der Erde, die mit braunen Backpapierblättern bespickt ist. Eine zweite Braut, etwas molliger, aber liebevoller als die erste, umfängt ihren Bräutigam, hebt dann ebenfalls das Kleid an, das ja nicht staubig werden soll, zeigt der Welt ihre schwarzen Turnschuhe. Und dann, fast unglaublich: eine etwa zwölfjährige Balletttänzerin, im Tüllkleid, in Begleitung des Vaters mit Fotoapparat und der Mutter mit Flächenreflektor. In der Nacht tanzt wahrscheinlich Puck in Basosch. Ein drittes Brautpaar und ein viertes: Der alte Park sprüht vor Romantik.
Mammutspaß am Basteln
Ambrozy hat aus Amerika den Quercus rubra mitgebracht, die amerikanische Eiche. Die Diddl-Maus hatte vorhin im Auto auf der CD gesungen: „In America ist alles groß, man!“ Groß sind auch die Eicheln, die meine Kinder unter der amerikanischen Eiche finden. Filip ist im Stöckchenalter, Danny noch im Bastelalter. Mammut-Eicheln zum Mammut-Spaß am Basteln. Und etwas weiter: ein paar frisch geplatzte Kastanien, noch schimmert ihr Braun wie frisch gemalt.
Ein Schmetterling setzt sich auf Filips Kappe, Danny will ihn fotografieren. Der Falter würde es sich ja vielleicht gefallen lassen, aber nicht der kleine Bruder. Babys schlafen gut an der Parkluft, im Kinderwagen oder eng an Mama oder Papa gedrückt in der Bauchtrage: Das Grün um und über uns berieselt alle Spaziergänger mit Sauerstoff, es ist, als ob mehr als nur 20 Kilometer zwischen uns und dem Smog der Großstadt liegen.
In der nächsten Waldlichtung hat sich der Herbst auch hochgemausert: Die gelben Blätter einer Wildrebe umranken die dunkelgrünen eines Baumes, schaffen zum Fotografieren wertvolle Kontraste. In allen Rotnuancen leuchten Blätter einer Ranke. Ellenlange Lampions eines chinesischen Viertels hängen von zehn Meter hohen Bäumen, die noch sattes Grün vorweisen.
Die diplomatische Baumschule
Wir kommen zur diplomatischen Baumschule: In einer Waldlichtung haben Konsuln und Honorarkonsuln aus Temeswar je ein Bäumchen aus der eigenen Heimat gepflanzt, eine Hommage an Ambrozy. Einige sind mittlerweilen schon verwelkt, aber dem Pinus sylvestris L. des deutschen Konsuls sowie dem Pinus nigra des österreichischen Honorarkonsuls geht es gut. Auch die Yucca-Pflanze aus dem entfernten Peru gedeiht prächtig, genau wie in unserem Garten. Nebendran, die Lichtung beherrschend, ein mächtiges Eichenbaumexemplar mit wunderschönem Namen im Rumänischen: „cer“ – der Quercus cerris L., eine Zerreiche. Nur der Himmel ist mächtiger.
Tiefer im Wäldchen drin. Es regnet Nadeln unter einer schon verwelkten Fichte. Man hört ihr Fallen, es klingt wie Regentropfen. Fotoapparate richten sich gen Natur: große, noch größere. Zwischen den Bäumen posiert die Ballerina. Der Parrotia persica, der Eisenbaum aus dem Kaukasus, ist hier zu Hause. Und der Juglans nigra – der Schwarznussbaum. Die Mücken sind hungrig, hungriger als zuvor, denn hier ist es schattiger. Die Sonnenstrahlen fallen nun quer ein. Es ist erst 18 Uhr, aber immerhin Spätherbst, obwohl wir von Septembertemperaturen wohlig eingewiegt werden.
Abschiedszeit. Zeit, den Park den Märchengestalten zu überlassen.