Zum sechzehnten Mal kann man diesen Winter das einzige Eishotel Rumäniens besichtigen: Gebaut wird es jedes Jahr in den Wintermonaten am Gletschersee, der zwischen den beiden höchsten Bergen der Karpaten, Negoiu und Moldoveanu, im Fogarascher Gebirge liegt. Das schmucke Hotel auf 2034 Meter Höhe erstrahlt – nach einer einjährigen Corona-Pause im Winter 2021/22 – wieder in neuem Glanz. Auch im Jahr 2020 musste das Hotel wegen der Pandemie vorzeitig geschlossen werden. Aber in diesem Jahr ist alles anders. Der Hotelbetrieb hat Fahrt aufgenommen: Etwa 450 Übernachtungsgäste waren in dieser Saison bereits zu Gast im Eishotel.
Die Konstruktion des Hotels steht immer unter einem Motto: In diesem Jahr lautet es „Europäische Hauptstädte“. So sind die Eis-Schlafzimmer allesamt je nach einer europäischen Hauptstadt benannt. Einige Touristen suchen sich das Zimmer sogar nach ihrer eigenen Hauptstadt aus und übernachten in ihrem Wunschzimmer: „Wir wollten in diesem Jahr herausstreichen, dass das Eishotel hier in den Karpaten ein kleines Europa ist und Gäste aus ganz Europa hier zu Hause sein sollen“, sagt Arnold Klingeis, der Gründer des Eishotels.
In diesem Jahr war die Konstruktion des Hotels eine Herausforderung. In der Zeitspanne vom 28. November bis 22. Dezember wurde der Bau errichtet. Er gestaltete sich komplizierter als sonst, so Klingeis: Immer wieder musste „nachgebaut“ werden, weil sich der Winter im Dezember letzten Jahres nicht vollkommen einstellte und Teile des Hotels immer wieder wegschmolzen. Manchmal schneiden die Mitarbeiter deswegen zu günstigen Zeitpunkten Eisblöcke und legen einen Eis-Vorrat an, aus dem dann insbesondere die Möbel des Hotels designt werden: Ein Klavier, ein Kamin, Tische und Stühle werden aus diesen festen und selteneren Eisschichten gebaut. Die Eisblöcke zum Bau der Wände werden aus dem Gletschersee geschnitten. Etwa 20 Menschen bauen jedes Jahr über mehrere Wochen an dem Komplex. In diesem Jahr sind es weniger Eisskulpturen als sonst – einfach weil es auf dem Berg weniger Eis gibt. Da es zwischenzeitlich an Eis mangelte, musste das Team warten bis neues Eis nachfror – manchmal betrug die Wartezeit bis zu einer Woche. Die Schneemassen, die in diesem Jahr immer wieder dazukamen, erschwerten die Arbeit und das Schneiden des Eises in der Tiefe des Sees: So entstünden immer wieder Schichten aus Schneemassen und Wasser, unter denen sich das stabile Eis befände und das schwer zu bergen sei, so Klingeis. Auf den Bau der Eiskirche, die sonst auch Bestandteil des Projekts war, wurde aus diesen Gründen in diesem Jahr verzichtet.
Die Geschichte dahinter
Wie begann das alles eigentlich? Ein Hotel aus Eis mitten in den rumänischen Karpaten! Fragt man Arnold Klingeis, den Initiator dieses außergewöhnlichen Vorhabens, stand am Anfang, vor bald fast zwei Jahrzehnten, der Wunsch, den Bulea/Bâlea insgesamt wieder zu beleben, die Seilbahn im Winter besser auszulasten.
Es war Arnold Klingeis Großvater Anton Klingeis, der die Entwürfe und Schalungen in seiner Werkstatt zum ersten Eishotel für seinen Enkel entwarf. In den ersten Jahren koordinierte er den Bau des Hotels: „Mein Großvater hat an mein Projekt geglaubt. Zusammen haben wir das Projekt immer weiter entwickelt. Deswegen kann ich heute auch ab und an Baumeister sein.“ In dieser Saison war Arnold Klingeis als alleiniger Planer für die Konstruktion des Hotels zuständig.
Der Weg zum Gipfel – ein Abenteuer
Die Transfogarascher Hochstraße, über die man im Sommer mit dem Auto zu weitläufigen Bergtouren aufbrechen kann, versinkt in den Wintermonaten unter dichten Schneemassen, die die Straße kaum erkennen lassen. Der einzige Weg, im Winter nach oben zu gelangen, ist die Seilbahn, die von Norden, von der Talstation „Bâlea Cascadă“ aus etwa 3,6 Kilometer sanft nach oben fährt. In etwa 11 Minuten ist man am Ziel – je nach Wetterlage. Die Gondel ist Italienerin, die Wartungsfirma Österreicherin – schon von diesem Standpunkt betrachtet ist die Attraktion ein echt europäisches Unterfangen. Maximal 15 Personen dürfen auf einmal mitfahren. An diesem Morgen um etwa halb elf wartet eine noch kleine Schar an Touristen geduldig darauf, den Weg nach oben anzutreten. Nach und nach aber wird die Schlange der Besucher länger; die Halle füllt sich rasch.
Die Fahrt nach oben gestaltet sich an diesem Morgen trüb; durch den Nebel kann man draußen nur wenig erkennen. „Gestern hatten wir den ganzen Tag klare Sicht und Sonnenschein – da hätten Sie hier sein sollen, sagt der Begleitmann der Gondel, der die Besucher sicher auf den Gipfel bringt, mit einem verschmitzten Lächeln. Normalerweise hat man von der Gondel aus eine spektakuläre Sicht auf die Transfogarascher Hochstraße.
Auf dem Berg angekommen, staunten nicht-berg-affine Touristinnen und Touristen nicht schlecht: Der Nebel ist so dicht, dass die Orientierung schwer fällt. Kommt man vom Weg ab, kann es sein, dass man bis zu den Knien im Schnee versinkt. Durch die Schneemassen, die das Sonnenlicht reflektieren, kann man nur mit einiger Anstrengung die Augen offen halten.
Höhlenartiger Charme, getaucht in buntes Licht
Neckisch lugt das Hotel links auf dem Weg zwischen den Schneemassen hervor, die sich heuer am Bulea türmen: Der Eingang zum Eishotel befindet sich einige Meter neben dem Ausgang der Gondel. Hat man diese paar Schritte im Nebel, der zuweilen auf dem Bulea aufzieht, geschafft, betritt man die kleine Eingangshalle, in der bereits die ersten Eisskulpturen zu sehen sind. Hier werden auch die Eintrittskarten verkauft. Ein zweites Eingangsiglu schließt sich an den Raum an – große Eisblöcke, in die der Berliner Fernsehturm und das Londoner Wahrzeichen, der Big Ben, eingraviert sind, veranschaulichen das diesjährige Hotel-Motto.
In diesem Jahr ist das Hotel labyrinthartig in Igluform gebaut: „Es ist kompakter, sicherer und einfacher, das Hotel auf diese Art und Weise zu konstruieren“, so Klingeis. „Vermutlich werden wir diese Form auch in Zukunft beibehalten. Sie ist wetterresistenter, beliebig form-, und erweiterbar und auch interessanter. So kommt man von einem Raum in den anderen und es gibt immer Neues zu entdecken. Man sieht nicht alles auf den ersten Blick.“ Aktuell besteht das Hotel aus zehn Iglus: Zwei Rezeptionsiglus, zwei Bariglus, ein Verteileriglu mit Restauranttischen, das in die Zimmer führt, und fünf Schlafiglus.
Hinter den Vorhängen verbergen sich die Zimmer, in denen die Betten aus Eis – mit Fellen und Decken versehen und dem dazugehörigen kunstvollen Eismobiliar auf neugierige Übernachtungsgäste warten. Im Eishotel kann auch gespeist werden: Mittags und abends stehen verschiedene Mehrgängemenüs mit Fleisch oder in vegetarischer Variante zur Auswahl. Übernachtungsgäste können in der Bâlea-Hütte, „Cabana Bâlea Lac“ ihr Frühstück einnehmen.
Die beiden Bars laden zum Verweilen ein: Hier kann man an Eistischen und Stühlen Getränke bestellen und die eigentlich gar nicht so kalte Stimmung genießen. Die beiden Tresen sind kunstvoll ausgestaltet; Gegenstände sind in die Eisblöcke eingearbeitet. Die Eisstühle werden mit einer Holzplatte, die unter den Sitzkissen angebracht sind, isoliert. Bunte Lichter verleihen den Räumen eine leuchtend-farbenfrohe Atmosphäre. Beim Verlassen des Hotels tanzt eine aufgekratzte Touristengruppe ausgelassen zur Musik in den beiden Bars.
Ausgelassen wild: Winterspaß ist garantiert
Am Nachmittag klart es endlich auf: Für etwa eine halbe Stunde kann man in der Sonne spazieren gehen, die Berge bewundern, den tiefblauen Himmel genießen. Besucher aller Generationen erfreuen sich an Winteraktivitäten im Schnee: Mit Gummiringen oder der Schneebanane kann man den Abhang hinunterbrausen. Bei klarem Wetter kann man ein Schneemobil mieten oder sich in einem Schlauchboot über den zugefrorenen See ziehen lassen.
So schnell wie es aufgeklart ist, so schnell zieht auch alsbald wieder Nebel auf. Schnell geht es am Ende eines eindrucksvollen Tages wieder zurück zur roten Gondel.
Die Atmosphäre am Bulea ist eine besondere; auch Arnold Klingeis verbringt hier viel Zeit: „Der Ort ist einfach unglaublich schön. Vor allem wenn es aufklart. Oder auch nachts bei klarem Sternenhimmel – diesen Anblick genieße ich sehr. Allein die Anreise nach oben ist ein Abenteuer. Mir ist es wichtig, dass meine Gäste den Besuch im Eishotel als ein Erlebnis wahrnehmen und dass immer mehr internationales Publikum zum Bulea zu Besuch kommt. Das ist gut für uns und auch gut für das Image von Rumänien. Ich wünsche mir, dass das Eishotel eine Attraktion in Rumänien ist, um die man im Winter nicht herum kommt.“ Eindeutiges Fazit eines Tagesausflugs im Januar: Eine Attraktion ist das Hotel jetzt schon. Spaß, Abenteuer und einzigartige Erlebnisse in schwindelerregender Höhe und gesunder Bergluft sind garantiert.