Goldgelbe Herbstblätter verteilen sich über den Rasen. Aus dem satten Grün ragen feuchte Gedenksteine auf: Hier ein rötlicher Block, die Madonna mit dem Kind, umgeben von orientalisch anmutenden Arabesken. Dort ein Granitkreuz mit versteinertem Ammoniten – ist der echt oder Teil des Designs? Kreuze ringsum, direkt in die Friedhofsmauer eingelassen. In der Mitte thront die Armenische Kirche, vom Morgennebel sanft verschleiert, wie eine Insel bittersüßen Schwermuts. Vorbei die Zeiten, als hier begüterte armenische Händler goldene Lüster spendeten...
Gheorgheni ist eine der Etappen der vom Departement für Interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung (DRI)im Oktober 2017 organisierten Journalistenreise auf den Spuren der Minderheiten im Szeklerland (siehe ADZ, 22.10.2017: „Im Reich des Sternenprinzen Csaba“). Die 18.000-Einwohner-Stadt in Harghita präsentiert sich grau in grau.
Armenische Geschichte
Knarrend öffnet sich die hölzerne Tür. Rechts eine Tafel mit seltsamen Schriftzeichen, „1733“ das einzig Lesbare - das Baujahr der katholischen Kirche der Armenier, die sich 1670 in Gheorgheni, seit 1609 im Rang eines Marktes auf dem Handelsweg zwischen Siebenbürgen und der Moldau , niedergelassen haben. Die armenische Schrift kann hier niemand mehr lesen, die Sprache wird nicht mehr gesprochen.
Die armenischen Einwanderer, die bereits im 14. Jh. als Händler eine gewisse Rolle in der Moldau spielten, brachten ihren eigenen Heiligen mit: Gregor den Erleuchter. Der Überlieferung nach war der verwaiste Sohn eines parthischen Aristokraten in Kappadokien von Christen erzogen worden. 301 gelang es ihm nach längerem Martyrium, König Tiridat III. von Armenien zu bekehren. Armenien wurde damit zum ersten christlichen Staat der Welt. Gregor der Erleuchter gilt als Begründer der Armenisch Apostolischen Kirche, die bis heute existiert und auch in Rumänien eine Reihe an Gotteshäusern und Klöstern unterhält.
Gheorgheni ist religiös von Katholiken geprägt (ca. 77 Prozent), ethnisch dominiert die ungarische Minderheit mit 84 Prozent. Touristisch gilt die Armenische Kirche heute als eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Weit weniger frequentiert, doch nicht minder interessant, ist die jüdische Synagoge. Das Besichtigungsangebot rundet der dendrologische Park Csiky ab, 1884 von Dr. Denes Csiky, einem armenischen Rechtsanwalt, gegründet. Ursprünglich 185 Spezies reich, ist die Artenvielfalt mittlerweile auf etwa 20 zurückgegangen. Um 1900 gab es massive Abholzungen, zwischen 1980 und 1993 ist der Park stark verwahrlost. Als Kuriosität gelten in dem als Naturpark geschützten, 16 Hektar großen Gelände zwei Mammutbäume (Sequoia) - die einzigen in Harghita.
Im Reich des Erleuchters
Aus allen Richtungen durchflutet buntes Licht den Raum. Fällt aus prachtvollen Vitralienfenstern ein, die Gregor den Erleuchter, König Stephan von Ungarn oder die hl. Anna darstellen. Erhellt kostbare Fresken, wird von vergoldeten Altären reflektiert. Als besondere Schmuckstücke gelten die Kanzel, mit sieben Kilogramm Blattgold und zauberhaften Figuren verziert, oder das Bild der Taufe von König Tiridat III., 1752 in Venedig geschaffen. Die prachtvollen Leuchter vom Ende des 19. Jahrhunderts zeugen vom einstigen Wohlstand der Armenier. Eine armenische Flagge, orange-blau-rot, steht neben dem Hauptaltar. Aus der Vorgängerkirche, 1637 auf dem alten Fremdenfriedhof errichtet, sind noch Taufbecken und Weihwasserbehälter erhalten. Plötzlich lassen gewaltige Orgeltöne das Kirchenschiff erbeben - der Pfarrer war unbemerkt zum Üben hereingekommen. Die gut erhaltene pneumatische Rieger-Orgel wurde 1901in Budapest erworben. 2004 wurde sie lediglich gereinigt und neu gestimmt.
Etwa 120 Gläubige, darunter 15 bis 20 Jugendliche, erscheinen noch zu den Gottesdiensten, die in ungarischer Sprache abgehalten werden, erzählt der Kurator. Die meisten Touristen kommen aus Armenien oder aus Amerika und Ungarn – meist Nachfahren von Ausgewanderten, die ihre Wurzeln suchen. Die hiesigen Armenier haben ihre Traditionen verloren, mit Ausnahme von Kirchenliedern und Küche. Typische Berufe waren früher Handwerker, Jurist, Banker, Arzt und Händler.
Jüdisches Leben
Letztere stellten ein Problem für die jüdischen Zuwanderer dar, streng gläubige Chassidim aus Galizien, Polen und der Bukowina, die sich, Ende 19./Anfang 20. Jh. aus der Maramuresch und Nordsiebenbürgen kommend, in Gheorgheni niederließen. Denn zum einen war der Handel fest in armenischer Hand, zum anderen war der offizielle Markttag ausgerechnet am Samstag – dem jüdischen Schabbat, wo Arbeit streng untersagt ist. So etablierten sich die Juden im Zwischenhandel, im Holzgeschäft, waren am Aufbau mechanischer Mühlen und Fabriken beteiligt. Weil sich die jüdische Gemeinschaft streng in Reiche und Arme teilte, gab es auch zwei Gebetshäuser. Erst 1920 wurde die Synagoge gebaut, die alle vereinte. Zuhause wurde Jiddisch gesprochen, sonst Ungarisch. Es gab eine jüdische Schule mit vier Klassen, drei Rabbiner, eine koschere Schlachterei. Gheorgheni war multikulturell und multiethnisch: die Mehrzahl bildeten die Szekler, es gab Armenier, Juden, Sachsen, Schwaben, Rumänen und Roma.
Bis in die 30er Jahre gestaltete sich das Zusammenleben friedlich. Die Juden durften in ihrer Muttersprache Schule halten, allerdings gab es nicht genug Lehrer für die höheren Klassen, weswegen sie dann rumänische Schulen besuchten, wo die meisten Kinder jüdisch waren.
Ende der 40er Jahre kamen die ersten anti-jüdischen Gesetze aus Ungarn: Den Juden wurde der Schulbesuch untersagt, sie durften in christlichen Läden nicht mehr einkaufen und nicht angestellt werden. Gheorgheni wurde zum Pflicht-Domizil erklärt, obwohl sie dort der Lebensgrundlage beraubt waren. 1943 wurden erste Juden an die Front nach Transnistrien geschickt, wo viele als Kanonenfutter oder beim Aufspüren von Minen starben. 1944 kamen aus dem von Deutschland besetzten Ungarn weitere anti-jüdische Gesetze. Im Mai wurden alle Juden ins Ghetto von Neumarkt/Târgu Mureş deportiert. Drei Wochen später ging es nach Auschwitz, Birkenau oder Dachau...
Synagoge als Kulturhaus
In der Synagoge in eklektischem Stil erinnert eine Tafel: „Wir waren 986, übrig blieben 92“. 45 kehrten nach Gheorgheni zurück, doch ihre Häuser waren beschlagnahmt. Einige wanderten in die USA oder nach Palästina aus, die meisten in den 60-70er Jahren nach Israel. 798 Marmorplatten, 45-46 im großen Saal angebracht, erinnern an die Opfer. Weil die Deutschen das Archiv zerstört hatten, waren nicht alle Namen bekannt, so blieben einige Tafeln leer oder es fehlen Daten.
Der Baustil entspricht dem der Synagogen aus Polen. Im Inneren dominiert die Farbe Blau: himmelblauer Sternenhimmel, Sternzeichen auf kobaltblauem Grund, blau-goldene Arabesken. An den Wänden sind die 12 Ur-Stämme Israels dargestellt, von denen nur zwei geblieben sind, Aschkenasen und Sepharden. Die Juden aus Gheorgheni gehören zu ersteren.
Heute wird die Synagoge für kulturelle Events genutzt: Konzerte, Theater, Gedenkfeiern. Gottesdienste finden nur noch statt, wenn Gruppen aus Israel kommen, denn die jüdische Gemeinschaft in Gheorgheni ist längst zu klein geworden. So wird auch die Tora nicht mehr im Aron-Kodesch, dem heiligen Schrein, aufbewahrt. Touristen kommen vor allem aus Israel und Ungarn, meist sind es Nachfahren ausgewanderter Juden auf Spurensuche.