Schnaufend kriecht der Bus die steilen Serpentinen hinauf. Feigenbäume säumen die Straße bis ins Dorf. Oben angekommen, überwältigt ein Panoramablick: ringsum bewaldete Berghänge des Nationalparks Eisernes Tor, zu unseren Füßen reichen die Bäume bis zur Donau hinunter. Glitzernd mäandert der silberne Strom zwischen den beiden Ländern, Rumänien und Serbien. Das Ziel dieser Etappe der Journalistenreise auf den Spuren der Minderheiten im Donau-Defilee, organisiert vom Departement für Interethnische Beziehungen an der rumänischen Regierung (DRI), liegt am südlichsten Zipfel des Landkreises Mehedinţi: Sviniţa.
In dem Dorf der serbischen Minderheit leben bis heute fast nur Serben (Volkszählung 2004: 93,5 Prozent). Dies erklärt sich durch die relativ isolierte Lage: Der nächste Ort ist das fünf Kilometer entfernte, von der tschechischen Minderheit bewohnte Bergdorf Eibenthal. Die Sviniţer sprechen ein archaisches Serbisch mit makedonischem Einfluss - den ältesten slawischen Dialekt in Rumänien. Zwischen 1020 und 1040 eingewandert, pflegen sie den orthodoxen Glauben vom alten Ritus und haben sich eine Vielzahl an Traditionen bewahrt. Bekannt wurde Sviniţa jedoch wegen einer ganz anderen Attraktion: Feigen!
Fast wie im Garten Eden
Sie wachsen hier nicht nur in den Gärten, sondern dank des mediterranen Klimas auch in freier Natur. Die Türken sollen die Feige um 1500 mitgebracht haben. Weil sie von allen Obstsorten hier am besten gedeiht, kennt man in jedem Haushalt leckere Rezepte zum Einlegen der saftig-süßen Früchte. Sogar Schnaps läßt sich aus Feigen brennen! Die Feige ist für Sviniţa der Schlüssel zum touristischen Erfolg, erklärt Bürgermeister Nicolae Curic: „Wir sind landesweit die einzigen auf dem Markt mit Feigenprodukten!“ Schon halten wir alle ein Gläschen mit köstlichen weichen Feigen in süß-säuerlichem Sirup in der Hand. Und gleich noch eins mit aromatischem Feigenschnaps. Beide Produkte sind mittlerweile bei OSIM eingetragen und sollen als Brand für Sviniţa werben.
Doch landesweit bekannt wurde das serbische Dorf erst, seit man dort das Feigenfestival veranstaltet. Jeden letzten Sonntag im August werden dann vor dem Kulturhaus Stände aufgebaut, wo man nicht nur frische Früchte und Feigenprodukte verkosten, sondern auch einer Erntedemonstration in serbischer Nationaltracht beiwohnen kann.
Die eigene Tanzgruppe und aus benachbarten Regionen eingeladene sorgen für ein multikulturelles Spektakel, das Gäste aus Nachbardörfern und zunehmend auch aus ganz Rumänien, Serbien und Makedonien anzieht. Der Bürgermeister verrät seine nächsten Pläne: Bald soll den Dörflern eine kleine Fabrik zur Verarbeitung ihrer Früchte zur Verfügung stehen, der Überschuss kann in einer Kooperative verkauft werden. Die lokale Frauenorganisation plant, ein Buch mit traditionellen Feigenrezepten herauszugeben. „Unsere Produkte verkaufen sich gut, man muss nicht einmal auf dem Markt stehen“, freut sich Curic. „Das haben unsere Leute jetzt begriffen - viele begannen mit der Feigenzucht“. 300 ml Feigen in Sirup kosten ca. 15 Lei, der Schnaps etwa 22 Euro pro Liter. Ein kleiner Wermutstropfen: Wer mit dem Auto anreist, muss ihn zuhause trinken, denn direkt in Sviniţa gibt es keine Pensionen.
Versteinerte Kopffüßer und ein heiliger Vulkan
Für den kleinen Mangel entschädigt jedoch eine Vielfalt an Attraktionen, über die ein Tourismusbüro im Dorf informiert. Für die Wanderung von Svini]a zur mittelalterlichen Burg Trikule (türkisch: drei Türme) an der Donau muss man etwa fünf Stunden einplanen. Sie führt durch die Coiaca Borii - ein flechtenbewachsener Felshang mit der einzigen Population der Banater schwarzen Kiefer im ganzen Donau-Defilee. Vorbei geht es am sogenannten Amphitheater von Zelişte, einer kreisförmigen Felsformation mit Stufen, die an ein griechisches Theater erinnert. Von dort aus bietet sich ein Ausblick auf das Dorf und den Stausee Eisernes Tor, in dessen Fluten das alte Sviniţa 1968 versank. Viermal wurde das Dorf insgesamt umgesiedelt.
Zuletzt mussten die Bewohner dem Bau des Wasserkraftwerks weichen, eigenhändig ihre Häuser demolieren und aus den wiedergewonnenen Materialien neue bauen. Etwa 400 Haushalte waren betroffen, erzählt der Bürgermeister, der sich - damals ein Kind - nur noch vage erinnert: „Was besonders schwer war: Jeder hatte mit seinem eigenen Haus zu kämpfen, niemand konnte einem anderen helfen.“ Mit dem Bau des Staudamms entfiel auch das Schleppen der Schiffe mit Pferden oder Lokomotiven über die Donaustufe bei Sviniţa. Als Einkommensquelle blieb den Dorfbewohnern nur noch die Arbeit in lokalen Kohle- und Asbestminen, die jedoch 2007 alle geschlossen wurden.
Acht Stunden führt der vom Starişte- Tal ausgehende zweite Wanderweg auf die höchste Erhebung im Nationalpark, den Trescovaţ-Berg. Seinen Namen, der auf Serbisch „der Donnernde“ bedeutet, verdankt er seinem vulkanischen Ursprung. Dank dem milden Klima gab es hier vor fast 8000 Jahren eine erste sesshafte Kultur, die Ackerbau und Viehzucht betrieb. Die archäologische Stätte auf der serbischen Donauseite zeigt , dass die Bewohner von Lepenski Vir den Trescovaţ nicht nur als Gott verehrten, sondern auch als Kalender benutzten, nach dem landwirtschaftliche Aufgaben geplant wurden. Von ihrer Siedlung aus gesehen geht die Sonne zur Sommersonnenwende genau über dessen Plateau auf. Dem Wanderer bietet sich von dort aus ein herrlicher Blick über das gesamte Donau-Defilee bis weit nach Serbien.
Unweit von Sviniţa liegt ein ausgedehntes Fossilienreservat mit drei Tälern - Saraorski, Ţiganski und Vodiniciki. Im roten Kalkstein finden sich dort über 60 Spezies an versteinerten Ammoniten, Belemniten und anderen Kopffüßern aus der unteren Jura- und Kreidezeit. Amuns Schnecken - so nannte man in der Antike die versteinerten Schalen der riesigen Tintenfische, weil sowas ja wohl nur von den Göttern kommen konnte. Exemplare von bis zu zwei Metern Durchmesser kann man im Reservat von Sviniţa finden. Im botanischen Reservat begegnet man wilden Orchideen, einer endemischen Wickenart mit besonders großen Blüten, Steinnelken, rotem Seifenkraut und natürlich der allgegenwärtigen Feige. Wer Glück hat, bekommt eine Landschildkröte zu Gesicht. Oder den Schwanz einer scheuen Hornviper, die zwischen den Steinen verschwindet...
Wein oder Schwein? Und viele alte Mühlen!
Tradition hat in Sviniţa nicht nur die Kultivation von Feigen, sondern auch der Anbau von Wein und die Schweinezucht. Letzteres spiegelt sich im Namen des Dorfes wider: Ethymologisch lässt sich dieser auf die Wurzeln „vin“ (Wein) und „pivniţa“/ „viniţa“ (Weinkeller) - oder aber auf das serbische Wort „svina“ (Schwein) - zurückführen. Eine weitere Tradition sind die hölzernen Wassermühlen. Einige alte Exemplare, denen man auf Wanderwegen im Ţiganski und Vodenicik Tal, in Povalina, Stariştea, im Iuţului Tal oder in Elişova begegnet - sind in gutem Zustand und werden bis heute genutzt.
In der Schule von Sviniţa gibt es ein kleines Dorfmuseum mit typischen Gebrauchsgegenständen und Trachten. Dazu gehört der wollene Rucksack zum Tragen von Ernteprodukten (traistă), oder die Leleica, mit deren Hilfe man sich Kinder bei der Feldarbeit auf den Rücken band. Ferner trug man zur Arbeit eine spezielle Art von Opinci, die die 74-jährige Floarea Novac noch heute anfertigt. Damit kann man bestimmt bis zu den Tschechen nach Eibenthal laufen. Doch halt! Das ist schon eine neue Geschichte...