ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher

Gefährliche Wahrheiten

Alex, Ratte und Paul sind unzertrennlich. Es ist fast eine Art von Liebe. Im Schulhof stehen sie dicht zusammen. In der Freizeit zaubern sie Farbe in den eintönigen Alltag: Regentage auf dem Bett. Musik und Wortspiele. Und niemals muss dann einer mit dem Fahrrad alleine nach Hause fahren. Ihre Nähe beweisen sie sich mit psychologischen Spielchen, die das Ziel haben, der absoluten Wahrheit unter die Haut zu kriechen. Lügen verboten. Wer nicht antworten will, geht und hat verloren. „Traust du dich, zu sagen, wen der hier Anwesenden du jetzt gerne küssen würdest?“ Wahrheit ist Nähe ist Liebe. Wer vor den anderen nichts verbirgt, bekennt sich zur Einheit in Dreiheit, Dreieinigkeit.

Bis eine andere Art von Liebe den Keil zwischen die Eingeschworenen treibt: Ratte verknallt sich und bricht offen aus dem Dreiergespann aus. Die anderen schmollen beleidigt. Ist Ratte eine Verräterin? Hat Paul das Gleichgewicht nicht schon unversehens längst gekippt? Seine heimliche Liebe für die eine statt der anderen, stand sie nicht schon immer bedrohlich hinter dem Balanceakt dieser bedingungslosen Freundschaft?

Auch Alex spielt ein Spiel mit der Liebe. Oder wird mit ihr gespielt? Wer hat das Feuer angezündet? Wann ist der Funke übergesprungen? Und wann haben es die anderen beiden gemerkt? Warum sagt ER manchmal „Alexandra“? Und warum klingt das auf einmal so schön? Warum muss sie die Flasche Sekt ganz alleine austrinken, um Mitternacht, am Steg im See, weil ER nicht kommt, wie eigentlich erwartet, auf der Klassenfahrt in Polen? Sich träumend unter dem Sternenhimmel zu betrinken, im Schwebezustand zwischen imaginiertem Glück und Weh, hat es sich gelohnt, die verbotene Flasche ihren besten Freunden zu klauen? Wollten sie nicht eigentlich zu dritt...?

Und dann sind sie auf einmal zu viert - und wieder wird ein Spiel gespielt, diesmal steht ER im Zentrum! Ein Spiel mit dem Feuer. Den brennenden Fragen von Paul kann Alex nicht mehr ausweichen. Grausam treibt er es auf die Spitze, um seine Ahnung in Selbstqual zu bestätigen. Und Ratte ist wieder die Spielverderberin zum Schein – und geht: verloren! Und Paul wird am nächsten Tag zum Opfer: Am unmöglichsten aller Orte erhält er in der Öffentlichkeit den lang ersehnten, doch völlig deplatzierten Kuss.... Und er weiß: der gilt nicht mal ihm. Handykameras blitzen. Das Bild geht in einer Lawine an Shares um die Welt. Löst wütende Empörung aus. Doch nicht hier, an diesem Ort! Diese Jugend von heute. Die Täterin ist jetzt ihr Opfer.

Und die Dreieinigkeit zerstrahlt wie ein zerfallender Atomkern. Explosionsartig streben die einzelnen Teilchen auseinander. Was sie einst band, treibt sie jetzt mit aller Wucht weg voneinander.

Was bleibt ist die Leere. Das Schweben im Vakuum. Vielleicht ist es gerade das, was die drei einen letzten, verzweifelten Versuch wagen lässt, das Verlorene wieder einzuholen. Geschehenes lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber man kann einer Handlung eine andere überstülpen, mit derselben Intensität, am selben Ort! Ob es gelingt?

„Ich habe heute nicht an DICH gedacht“, „ich lerne wieder zu atmen“, denkt Alexandra, als sie vor der Absperrung des Galgens stehen, wo unter drei Steinen drei Zettel liegen, auf denen Worte stehen, die sie nicht aussprechen, weil sie nur Bedeutung haben für das Leben, das erst noch kommt...

Mit aller Macht zieht einen Autorin Lena Gorelik hinein in dieses Geheimnis. Enthüllt das Heilige hinter einer banalen Fassade jugendlichen Alltags. Legt Seelen bloß - und hält dann wieder schützend ihre Hand darüber. Was sie mit den Haupthelden ihres Romans gemeinsam hat? Ihre Faszination für Worte. Zauberworte, die eine einmal entfesselte Realität unbarmherzig weiterspinnen.

„Mehr schwarz als lila“, Lena Gorelik, Rowohlt Verlag,  ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanți 32/Pavilion,
www.goethe.de/bukarest