Am 21. Mai wurde im Nationalen Kunstmuseum Rumäniens eine Ausstellung eröffnet, die noch bis zum 25. September dieses Jahres in vier Sälen im Erdgeschoss des ehemaligen Königspalastes an der Bukarester Calea Victoriei besichtigt werden kann. Gezeigt werden Werke rumänischer Künstlerinnen und Künstler (Ölgemälde, Aquarelle, Radierungen und Zeichnungen) von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Außerdem sind in der Ausstellung kunstgewerbliche Gegenstände (Schmuck, Kleider, Waffen, Vasen etc.) aus verschiedenen Ländern des Orients zu sehen. Die Faszination, die vom Orient ausging, lässt sich in der europäischen Kunst schon seit dem 15. Jahrhundert, etwa in der venezianischen Malerei, nachweisen. Aber erst der Ausgang des 17. Jahrhunderts markiert den wirklichen Beginn der künstlerischen Verarbeitung des Orients, die dann in der Türkenmode des 18. Jahrhunderts in allen Künsten – man denke etwa an Mozarts Oper „Die Entführung aus dem Serail“ – einen ersten Höhepunkt erlebte.
Wie die Belagerung Wiens, der „Porta orientis“ Europas, im Jahre 1683 nicht ohne Einfluss auf die Kunst der Habsburgermonarchie blieb, so trugen auch im Falle Rumäniens die politischen Ereignisse, etwa der Krimkrieg (1853-1856) oder der als Rumänischer Unabhängigkeitskrieg bezeichnete Russisch-Osmanische Krieg (1877-1878), dazu bei, den Orient als Thema der Künste in Rumänien zu etablieren.
Die von Elena Olariu und Mariana Vida kuratierte Ausstellung, die in etwa die Jahre von 1850 bis 1950 umfasst, gliedert sich in zwei Sektionen, die zwei Phasen der künstlerischen Orient-Rezeption in Rumänien entsprechen. In der ersten Phase, die noch von der Vorherrschaft des Osmanischen Reiches gekennzeichnet ist, dominieren orientalische Motive wie Harems, Bäder, Diwane, Odalisken, Sklavenmärkte, die von Künstlern wie Theodor Aman, Ion Georgescu, Nicoale Grigorescu oder Carol Popp de Szathmáry malerisch umgesetzt wurden.
An dieser Stelle ist auch an die beiden großen Bukarester Szathmáry-Ausstellungen (Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Fotografien) zu erinnern, die 2012 im Nationalen Kunstmuseum und im Nationalmuseum Cotroceni zu sehen waren. Die zweite Phase der rumänischen Orient-Rezeption mit Werken von Ştefan Popescu, Iosif Iser, Nicolae Dărăscu, Nicolae Tonitza oder Samuel Mützner, die von den Eckdaten 1902 (1. Ausstellung der rumänischen Künstlergesellschaft „Tinerimea artistică“) und 1947 (Ausrufung der Volksrepublik Rumänien) gerahmt wird, setzt einerseits die Tradition des orientalischen Exotismus in der Kunst fort, widmet sich zugleich aber auch dem autochthonen Orientalismus, wie er aus Bildern spricht, die vor allem die Landschaften der rumänischen Dobrudscha und der heute zu Bulgarien gehörenden Süddobrudscha (rum. cadrilater) zum Gegenstand haben.
Im ersten der vier Ausstellungssäle finden sich Porträts von Woiwoden und Banen in orientalischer Tracht wie auch eine Darstellung des Herrschers über die Walachei Grigore IV. Ghica mit Schärpe, Dolch und Kaftan ganz im orientalischen Stil von Nicolae Grigorescu. Ein Ölgemälde von Theodor Aman aus dem Jahre 1863 zeigt auf einem Diwan lagernde Odalisken, die Tee und Kaffee trinken, Wasserpfeifen und orientalische Langpfeifen rauchen, sich in geschmückten Spiegeln betrachten, umgeben von reich verzierten Teppichen. Aquarelle von Carol Popp de Szathmáry haben muslimische Friedhöfe, Basare, Moscheen mit Minaretten zum Gegenstand, darunter befinden sich auch eine Ansicht der Beyazit-Moschee in Istanbul und ein Stadtpanorama mit Schiffen am Goldenen Horn. Eine Orientalin lauscht im Harem einer Lautenspielerin, in einem anderen Aquarell Szathmárys aus dem Jahre 1850 hört eine Frau einem Imam zu, der ihr aus dem Koran vorliest. Daneben sind in diesem Saal auch lange von Gold- und Silberfäden durchwirkte Seidengewänder zu betrachten sowie andere kunstgewerbliche Schmuckgegenstände (Gürtel, Ring, Spiegel, Kopfschmuck).
Die im zweiten Saal gezeigten Werke legen den Schwerpunkt auf die politische Geschichte. Schlachtengemälde von Theodor Aman (Kämpfe zwischen Türken und Bulgaren, Türken und Rumänen, Szenen aus dem Krimkrieg, Schlacht von Sewastopol) sind hier ausgestellt neben Aquarellen von Carol Popp de Szathmáry, die den Empfang des rumänischen Fürsten Karl I. und seiner Delegation im Dolmabahçe-Palast am Bosporus oder das Defilee der türkischen Armee anlässlich des Besuchs Karls I. in Russe zum Thema haben. Ein Ölgemälde von Nicolae Grigorescu zeigt türkische Kriegsgefangene, die an dem auf einem Pferd sitzenden rumänischen Herrscher vorbeiziehen. Auch in diesem Saal sind wieder kunstgewerbliche Gegenstände ausgestellt: ein Ring, Amulette aus Gold, ein Siegel, eine Langpfeife, eine Pistole, Tabaksdosen und ein Duftgefäß.
Der dritte Saal erweitert die auf den osmanischen Orient konzentrierte Perspektive um weitere geografische Aspekte. Ölgemälde von Samuel Mützner aus dem Jahre 1934 zeigen den Felsendom in Jerusalem und einen Markt in Jaffa, Aquarelle von Rodica Maniu Mützner aus dem Jahre 1930 bringen orientalische Gewölbe in Jerusalem und Damaskus künstlerisch zur Geltung, Ştefan Popescu lässt in Aquarellen aus dem Jahre 1929 marokkanische Motive erstehen, darunter eine Moschee in Rabat, ein Barbiergeschäft in Meknès und das Bab Ghmat genannte Stadttor von Marrakesch im typischen Rot. Max Arnold sucht in seinen Aquarellen Orientalisches in der Alhambra über Granada und in Kairo auf, während Iosif Iser dies in der heimatlichen Dobrudscha tut, wo fünf Türkinnen mit langen schwarzen Tschadors sich in einem Ambiente mit Minarett und kubistisch wirkenden Häusern ergehen. Besonders interessant ist Isers Ölgemälde „Tatarinnen“ aus dem Jahre 1921, wo eine verhüllte und eine barbusige Frau beieinander sitzen und gemeinsam die orientalistische Dichotomie von Verschlossenheit und Laszivität, von Abschottung und Attraktion versinnbildlichen.
In einer Radierung von Richard Canisius aus dem Jahre 1920 („Spinnende Türkin in Baltschik“) klingt das Thema Baltschik (rum. Balcic) an, das zu einem beherrschenden Ensemble von Bildmotiven der rumänischen Moderne wurde. Der von 1913 bis 1940 zu Rumänien und heute zu Bulgarien gehörende Hafenort am Schwarzen Meer, in dem die rumänische Königin Maria 1925 einen Palast errichten ließ, wo sich eine Künstlerkolonie, die „Schwarzmeerschule“ (Henri Focillon), um sie scharte, gilt als das Fenster des modernen Rumänien zum Orient oder, mit den Worten des Historikers Lucian Boia, als „das kleine Paradies Großrumäniens“. Es gibt wohl keinen bedeutenden rumänischen Künstler jener Jahre, der sich nicht eine Zeit lang in Baltschik aufgehalten oder zumindest ein Baltschik-Motiv im Bild festgehalten hätte.
So finden sich im vierten und letzten Ausstellungssaal Baltschik-Bilder von Jean Al. Steriadi, Francisc Şirato, Nicolae Dărăscu, Cecilia Cuţescu-Storck, Adam Bălţatu, Ion Theodorescu-Sion, Gheorghe Petraşcu, Micaela Eleutheriade und etlichen weiteren Malerinnen und Malern. Aber auch andere Orte wie Turtucaia, Mangalia oder Medgidia werden in der Bukarester Ausstellung im Sinne des autochthonen rumänischen Orientalismus gewürdigt. Nicht zu vergessen sind hier auch die Gemälde mit fernöstlichen Motiven von Samuel Mützner oder Lucia Demetriade-Bălăcescu, die insbesondere die japanische Kunst und Kultur in den Fokus nehmen. Hier in diesem Saal hängt auch das Titelbild der Ausstellung, das Ölgemälde „Türkin“ aus dem Jahre 1934 von Constantin Artachino, eine Studie für sein Gemälde „Szene aus der Dobrudscha“. Vom Körper der auf einem Stein sitzenden, in ein violett-weiß gestreiftes Gewand gehüllten Frau, sieht man nur einen winzigen Gesichtsausschnitt, die Nase und das linke geschlossene Auge, ein deutlicher Kontrast zu den orientalistischen Aktbildern „Odaliske“ oder „Morgen“ von Theodor Pallady im dritten Ausstellungssaal. Wem die kunstgewerblichen Gegenstände, die auch im letzten Ausstellungssaal präsentiert werden, nicht genug sind, der kann sich ins zehn Minuten entfernte Museum der Kunstsammlungen begeben und sich dort am Orientalismus etwa der Sammlung Marcu Beza oder der Sammlung Béatrice und Hrandt Avakian weiter berauschen.