Die Omikron-Bedrohung

Kurzes Kompendium einer neuen Gefahr

Symbolbild: pixabay.com

Nun ist es also passiert: Seit Monaten warnen Wissenschaftler und WHO vor einer neuen SARS-CoV-2 Variante, die am wahrscheinlichsten dort entstehen könne, wo die wenigsten Menschen geimpft und viele – aus Armut oder wegen anderer Krankheiten – immungeschwächt sind. Am 9. November wurde in Südafrika der erste Fall der Variante entdeckt, die 17 Tage später von der WHO auf den Namen Omikron getauft und sofort als besorgniserregend eingestuft wurde. Wissenschaftler befürchten auf der Basis bisheriger Erkenntnisse, dass sich Omikron deutlich schneller ausbreiten könnte als die aus Indien stammende, hochinfektiöse Delta-Variante, die Europa in einer vierten Welle überschwemmt hat. Die Mutationen, die die neue Variante erlitten hat, legen den Verdacht nahe, dass Omikron die durch Krankheit oder Impfungen erworbene Immunität umgehen könnte. Noch unklar ist, ob die neue Variante auch schwerere Erkrankungen auslöst. Was haben wir zu erwarten?

Das Wissenschaftsmagazin „Nature“ erklärt: Omikron weist 32 Mutationen im Spike Protein auf – die größte bisher festgestellte  Zahl überhaupt, geballt an einem einzigen Ort! Mit anderen Worten: der Schlüssel, der dem Virus Einlass in die zu infizierende Zelle gewährt, das Spike Protein, sieht jetzt völlig anders aus. Dies bedeutet, dass unsere T-Zellen – eine spezielle Art weißer Blutkörperchen, die von vorhergehenden Covid-Infektionen oder Impfungen „gelernt“ haben, spezifische Antikörper gegen das Spike- Protein von SARS-CoV-2 zu bilden –  diesen neuen Schlüssel jetzt vielleicht nicht mehr erkennen! Zu der Frage, wie der Virus diese Super-Mutation erwerben konnte, kommen wir später... 

Omikron verbreitet sich viermal so schnell

Erst einmal die Fakten: „Nature“ berichtet weiter, Omikron wurde entdeckt, weil es einen starken Anstieg der Covid-Fälle in der südafrikanischen Provinz Gauteng gab, vor allem unter Schülern und jungen Leuten. Kurz nach der Entdeckung der neuen Variante stellten die Forscher dann fest, dass alle 77 Virusproben aus Gauteng, die zwischen dem 12. und 20. November sequenziert wurden, von dieser neuen Variante waren. Man vermutet daher, dass sie sich bereits weit über Gauteng hinaus  verbreitet hat. Wahrscheinlich zirkuliert sie schon in ganz Südafrika.

Inzwischen wurden Omikron-Fälle in Kanada, Australien, Israel, Hongkong, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Portugal, Belgien, Tschechien, Schottland und Portugal nachgewiesen. Eine weltweite Verbreitung ist wohl nicht mehr aufzuhalten, auch wenn einzelne Länder bereits Maßnahmen zur Einschränkung von Einreisen oder Quarantäne ergriffen haben. Israel und Japan haben die Grenzen für Nicht-Staatsbürger ganz geschlossen, bis mehr Klarheit über diese Bedrohung gewonnen sein wird.

Am 27. November berichtet „Biziday“: Besorgniserregend sei die Geschwindigkeit, mit der sich Omi-kron verbreite. In Südafrika habe sich die Anzahl der Covid-Fälle von letzten Dienstag auf Freitag verdreifacht – 90 Prozent davon sind Omikron! Wie man das so schnell bestimmen konnte, ist laut „Nature“ einer Besonderheit der Omikron-Variante gedankt: Man braucht keine kostspieligen Gensequenzierungen, um Omikron festzustellen, ihr Vorhandensein zeigt sich bereits im PCR-Test. Man weiß also theoretisch gleich bei der Diagnose Covid-19, ob es Omikron ist oder eine der bisherigen Varianten. Also sollte jedes Land schnell prüfen können, wieviele der Neuinfektionen auf die neue Variante entfallen.  

Ungewiss ist noch, ob die Schnelltests auch für Omikron noch funktionieren. 

Einer Analyse der „Financial Times“ zufolge, basierend auf Gisaid-Daten, verbreitet sich Omikron viermal so schnell wie die Delta Variante. Eine eindrucksvolle Grafik zeigt eine scharf ansteigende Kurve im Vergleich zu den Varianten Delta (Indien-Variante, Auslöser der vierten Welle in Europa) und Beta (bisherige Südafrika-Variante). Eindrucksvoll vermittelt die Grafik, dass Omikron nach weniger als 25 Tagen etwa so viele Fälle auslöst, wie die bisher als hochinfektiös bezeichnete Delta-Variante in 100 Tagen.

Sind die Impfungen kompromittiert?

Zur Schlüsselfrage aber, ob Omikron die durch Krankheit oder Impfung erworbene Immunität umgehen kann, lässt sich bisher nur Folgendes sagen: Einige der Mutationen von Omikron stimmen mit den Mutationen überein, die dafür bekannt sind, die Immunantwort zu schwächen, sprich, die Impfungen teilweise zu kompromittieren. Auch deswegen wurde die neue Variante sofort als besorgniserregend eingestuft. Allerdings müssen die einzelnen Mutationen im Ensemble betrachtet werden: Theoretisch können sie sich in dieser Eigenschaft untereinander abschwächen oder verstärken. Über diese Wechselwirkung lässt sich noch keine Aussage treffen, auch deswegen, weil die Kombination neu ist.

Fest steht allerdings, dass ein so großes Ensemble an Mutationen das Spike-Protein signifikant verändert. Unabhängig von der Wirkung der einzelnen Mutationen oder deren Wechselwirkung untereinander, legt dies den Verdacht nahe, dass die von den bisherigen Impfungen produzierten Antikörper die Omikron-Variante vielleicht nicht erkennen. Dann wären die Impfungen wirkungslos.

„Nature“ berichtet, die beiden in Hong Kong identifizierten Infizierten seien mit Pfizer geimpft gewesen. Eine Person sei aus Südafrika eingereist, die andere habe sich während der Hotelquarantäne angesteckt. Wie lange die Impfung her ist und wie schwer die Infektion verlief wird nicht erwähnt.

Wie geht es weiter? 

Was nun – fängt jetzt alles von vorne an? Nicht ganz: Wissenschaftler rechnen seit Langem mit dem Auftreten solcher Varianten, insofern haben sich auch die Impfstoffhersteller vorbereitet. Am schnellsten lassen sich die mRNA-Vakzine anpassen – also Pfizer und Moderna. Einem Kommunique von Pfizer und BioNTech zufolge soll eine Anpassung an eine neue Variante sechs Wochen dauern. Weitere 100 Tage seien erforderlich, um die ersten Dosen in Umlauf zu bringen. Rund fünf Monate also... Moderna testet nach eigenen Aussagen bereits ein Vakzin gezielt gegen Omikron, macht aber keine zeitlichen Prognosen. 

Je infektiöser der Virus, desto schneller muss es gehen: Omikron provoziert zu einem neuen Wettlauf mit der Zeit. Wenn wir Glück haben, kommt ein Impfstoff bis April. Wäre es ein wenig später, kommt uns vielleicht, wie im letzten Jahr, die Sommerzeit zugute. Bis dahin aber, während der kalten Jahreszeit, könnte Omikron ungehindert wüten.
Kleiner Hoffnungsschimmer: Es bringt dem Virus keinen Vorteil, schwerere Krankheitsverläufe auszulösen, denn mit dem Tod seines Opfers endet auch seine Verbreitung. Theoretisch müsste er langfristig an einer Anpassung des Menschen „interessiert“ sein. Doch Evolution verläuft nicht zielgerichtet, sondern in experimentellen Sprüngen. Optimal wäre ein Sprung zu einer hochansteckenden, aber weniger krankmachenden Variante, die alle Vorgänger schnell verdrängt. Könnte Omikron eine solche sein? 

Ob Omikron mehr oder weniger schwerere Verläufe bewirkt, ist im Augenblick nicht bekannt. Laut WHO wurde bisher kein einziger Todesfall gemeldet. Die bisherigen Infizierten aus Südafrika seien überwiegend Männer, heißt es, ungefähr die Hälfte davon geimpft, unter 40 Jahren und mit eher leichten Symptomen.

Wasser auf die Mühlen der Impfgegner?

Militante Impfgegner werden jetzt triumphieren: Je mehr Menschen geimpft sind, desto schlimmer werden die Pandemie-Wellen. Welle 4 hat Welle 3 bei Weitem übertrumpft und die Vorhersagen für Welle 5 waren schon vor dem Bekanntwerden von Omikron denkbar schlecht: Erst vor Kurzem hat die WHO ihre Prognose von 200.000 Toten in Europa auf 700.000 für Welle 5 erhöht. Das verunsichert auch jene, die eigentlich keine Impfgegner sind. Ist das die Antwort des Virus an die zunehmende Immunität? Passt er sich der Gefahr an? 

Nein – das Reservoir der Umgeimpften ist einfach immer noch groß genug für den Virus, um darin zu wüten. Die täglichen Fallzahlen zeigen deutlich, dass Geimpfte sich seltener infizieren, leichtere Verläufe haben und noch seltener sterben. Pech, dass es trotzdem auch ein paar Geimpfte trifft. Und ihre Anzahl steigt mit der allgemeinen Zunahme der Fälle. Einfache Arithmetik.

Bis wir wissen, was Omikron genau anstellt, gilt weiterhin: Schutzmaßnahmen einhalten und impfen, impfen, impfen!

Warnungen in den Wind geschlagen

Ist Omikron eine Überraschung? Mitnichten! Erinnern wir uns an die Warnung von WHO-Leiter Tedros Adhanom Ghebreyesus, dass genau in den Ländern, die eingeschränkten  Zugang zu Impfungen haben, die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen neuer Varianten am höchsten ist, die dann auch den Rest der Welt bedrohen. Genau dies ist nun passiert.

Die Impfrate in Südafrika und Botswana beträgt nur 20 bis 23 Prozent, wegen mangelnden Zugangs zur Impfung. Forscher vermuten, dass die neue Super-Variante in einem durch AIDS immungeschwächten Patienten entstehen konnte. Immunschwäche führt, sofern der Patient die Infektion überlebt, zu einer verlängerten Heilungsdauer, also einer längeren Verweildauer des Virus im Körper und damit mehr Vermehrungsrunden. Er hat damit mehr Chancen als üblich, zu mutieren – und außerdem die (selten vorkommende, aber gefürchtete) Möglichkeit, beim Zusammenbau der neuen Generation verse-hentlich ein Stück genetisches Material von anderen vorhandenen Viren (oder auch SARS-CoV-2 Varianten) zu erwischen. Das Resultat wäre eine Häufung von Mutationen an einer einzigen Stelle: eine Supermutation, ähnlich wie sie Omikron aufweist. Ein Szenario, das noch zu beweisen wäre, das aber nichts am Ergebnis ändert.

Skandalotherapie versus unerhörte Logik

Wir finden das jetzt erschreckend, kleben am Radio, fragen uns, ob es weitere Lockdowns geben wird, doch hoffentlich nicht zu Weihnachten...  Aber ist nicht viel erschreckender, dass die Wissenschaft erst vor Bedrohungen warnt, dann Antworten und sogar Lösungen parat hat, die trotzdem in den Wind geschlagen werden? Wenn das Weltverschwörungsgeschrei kein Ende nimmt, werden wir das ganze griechische Alphabet lernen müssen... Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Handvoll Machtgieriger unerkannt, global und vor allem einig (!) im Hintergrund die Fäden zieht, während der Virus weiter wütet? Oder ist das eine Form der Therapie, heilendes Protestgeschrei gegen unbewältigte Ängste? Die Lektion zu dieser kolossalen Ungereimtheit erteilt uns ein winziges Nicht-Lebewesen, das sich im Gegensatz zu unserer erhabenen menschlichen Spezies unerhört logisch verhält.


Zeitpfeil

9. November: Erster Fall von Omikron in Südafrika
26. November: Die WHO stuft Omikron als besorgniserregende Variante ein. Die 27 EU-Länder stoppen Flüge aus Südafrika, Botswana, Eswatini, Lesotho, Mosambik, Namibia und Simbabwe.
27. November: Großbritannien führt drei Wochen lang Quarantäne für alle Einreisenden ein, auch für Geimpfte. Kontaktpersonen müssen für 10 Tage in Autoisolation. Rumänien: alle Einreisenden aus Südafrika müssen 14 Tage in Quarantäne. Nicht-EU-Bürger, die in Südafrika waren, dürfen nicht einreisen. Israel schließt ab Mitternacht die Grenzen vollständig für 2 Wochen für alle Nicht-Staatsbürger oder jene ohne Wohnsitz. Quarantäne für alle Einreisenden, auch Geimpfte.  Italien meldet ersten Fall von Omikron. Ein Fall in Belgien. Deutschland meldet 2 Fälle: Einreisende aus Südafrika nach München
28.November: 16 Infizierte in den Niederlanden, Australien meldet Infektionsfall.
29. November: 13 Fälle in Portugal, 2 in Kanada, 6 in Schottland. Japan schließt die Grenzen für alle Nicht-Staatsbürger für 3 Wochen. 3 Fälle in Großbritannien.
2. Dezember: Inzwischen gibt es 70 Fälle von Omikron allein in Europa. Bisher noch kein Fall in Rumänien.