Die Pizza und die Wirtschaftskrise

Rumänien und die mögliche bevorstehende Finanzkrise

Foto: Facebook/Nicușor Dan

„Seit Jahren zahlen wir für eine mittelgroße Pizza und essen eine Family-Pizza. Jemand muss für diese Differenz aufkommen.“ So veranschaulichte Rumäniens Präsident Nicușor Dan, wie das Land in die aktuelle finanzielle Notlage gekommen ist. Scheinbar hat der Mathematiker eine Vorliebe für das italienische Gericht, da er es  nicht zum ersten Mal als Symbol benutzt, um eine Krise zu erklären. Mittels Pizza-Stücken hatte er vor einiger Zeit, damals noch als Bürgermeister von Rumäniens Hauptstadt, die Problematik des Bukarester Haushalts veranschaulicht. Nun scheinen aber die Finanzen des Landes kaum noch für eine Focaccia zu reichen. Von den Auflagen, die das einfache Teig-Gebäck in eine saftige Pizza verwandeln würden, soll man appetitgesteuert in nächster Zeit nur noch träumen, denn die Staatskasse gibt es nicht her. Sollten die überlebensnotwendigen EU-Förderungen eingefroren werden, was in diesem Augenblick als kaum vermeidbar scheint, steht Rumänien eine Krise bevor, in der man sich insgesamt nur noch von den Erinnerungen an das besagte Gericht ernähren wird.

Dem rumänischen Staat reicht aus finanzieller Perspektive das Wasser bis zum Hals. Jetzt nach den Wahlen haben es endlich auch alle Politiker zugegeben. Die in der Wahlkampagne versprochene Friede-Freude-Eierkuchen-Zeit hat sich, wie abzuwarten war, als eine Illusion entpuppt. Die 2024 versprochene Senkung des Haushaltsdefizits auf 5,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wurde dank unverantwortlicher Wahlgeschenke nicht nur nicht eingehalten, sondern besagtes Defizit ist auf 9,3 Prozent gestiegen. Das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit, über das die rumänische Regierung noch verfügt, ging den Bach hinunter. Daher sah sich die Europäische Kommission gezwungen, andere Saiten aufzuziehen und Klartext zu sprechen: Sollte Rumänien nicht mit glaubwürdigen, realistischen und umsetzbaren Wirtschaftsmaßnahmen aufwarten, folgt das so sehr gefürchtete Vertragsverletzungsverfahren, das Einfrieren der Auszahlung von EU-Förderungen. Außer den direkten Folgen für die schon in Durchführung befindlichen oder geplanten Investitionen und sowie für die damit verbundenen Wirtschaftskomponenten, würde dieses indirekt zu einer Einstufung Rumäniens als „für Investitionen nicht empfohlenes Land“ seitens der internationalen Rating-Agenturen führen, also zu einer Senkung der ausländischen Investitionen, was die Krise um ein Vielfaches vertiefen würde. Einmal dort gelandet, wäre das Durchbrechen der Spirale von Inflation und Verschuldung kaum noch zu meistern. Wie sich das Anfühlen kann, haben wir in den letzten 30 Jahren nicht nur einmal erleben dürfen. Haben aber Rumäniens Politiker den Mut zur Weitsicht, um in dieser zwölften Stunde die Katastrophe zu vermeiden?

Welche Krise?

Überall hört man die Posaunen der bevorstehenden Apokalypse tönen. In der Gesellschaft scheinen diese aber auf taube Ohren zu stoßen. Schaut man sich die Konsumwut der Rumänen an, fällt es schwer, an eine bevorstehende Krise zu glauben. Das Bankwesen verbucht rekordverdächtige Profite, die Tourismusbranche scheint vor lauter Urlaubsanfragen für Angebote im In- und Ausland aus allen Nähten zu platzen, die Großhandelsketten sind voller Menschen, die überfüllte Körbe vor sich herschieben, überall wird gebaut, die Terrassen der Restaurants und Kneipen bersten vor Kundschaft, die meisten Musikfestivals des Sommers sind schon längst ausverkauft. Der Währungskurs scheint wieder die Sicherheit einer anhaltenden Stabilität zu vermitteln. Wer soll da noch hinhören, wenn gerufen wird: „Endzeit in Sicht“. Die Gelassenheit, mit der sich die rumänische politische Elite Zeit nimmt, um einen Wirtschaftsplan vorzulegen, reflektiert alles andere als den Druck akuten Handlungsbedarfs. Und trotzdem sind die Zeichen klar und unmissverständlich. Wenn nicht jetzt gehandelt wird, wird es in Kürze viel zu spät sein und viele werden sich wundern, wieso sie wieder einmal nackt im Wind stehen.

Sparmaßnahmen oder Solidarität?

Der Ansatz des neugewählten Präsidenten Nicușor Dan, die pro-europäischen Parteien an einen Tisch zu laden, damit erst ein Regierungsprogramm erarbeitet wird und erst von diesem ausgehend über eine Allianz und über die Verteilung von Ämtern innerhalb der Regierung zu verhandeln, schien der richtige zu sein. Nur hat man den Eindruck, dass er die Rechnung ohne die von ihm erwünschten Partner gemacht hat. Nach der kurzlebigen Einheit, die in Folge der Präsidentschaftswahlen zu herrschen schien, verschanzte man sich am Verhandlungstisch in die altbekannten Positionen und befindet sich nun in einer Patt-Situation, die jede Option offen hält und zugleich alles unmöglich macht.

Konkretes dringt aus den Verhandlungen zwischen den eher unwilligen Koalitionspartnern nicht an die Öffentlichkeit. Natürlich sorgen diese aber dafür, dass in ihrem politischen Verhandlungsspiel so manches durchsickert, was die Opponenten als unverantwortlich darstellen soll. Und so sieht sich Dan immer wieder gezwungen, zu erklären, dass noch alle Optionen auf dem Tisch liegen und kein Schritt weiter gemacht werden kann, bis nicht Einheit herrscht.

Aber was schlagen nun die Verhandlungspartner konkret vor? Jenseits der abstrusen Vorschlägen eines Claudiu Năsui – z. B. Auflösung aller Forschungsinstitute oder noch besser die Auflösung des staatlichen Bildungssystem durch die Vergabe von Bildungsvoucher, anhand derer man sich private Schulen leisten könnte –, die eigentlich nichts zur Sache beitragen, sind die Vorhaben meistens konkret, auch wenn nicht unbedingt vertretbar oder realistisch. Einerseits die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21 Prozent. Die einfachste Lösung, die aber, jenseits der schon zu verspürenden Teuerungen, erneut die Schuldenlast auf Bürger und Wirtschaft abschiebt und eine verstärkte Senkung der Kaufkraft mit sich bringt. Ein weiterer Vorschlag betrifft die Einführung einer Solidaritätsgebühr für Großverdiener und die Einführung einer differenzierten Einkommenssteuer. Wie die beiden aber aussehen sollen und welche Einkommen davon betroffen werden ist mehr als unklar. Informationen aus inoffiziellen Quellen lassen aber befürchten, dass das Durchschnittseinkommen als Rechnungsbasis dient, was wiederum auf eine Verteilung der Schulden auf den größten Teil der Bevölkerung schließen lässt. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass eine differenzierte Einkommenssteuer eher niedrigere Einnahmen für den Staatshaushalt bedeutet, da sich viele Rumänen entscheiden werden, alternative Wege zu finden, um diese zu umgehen. Und darin beherrschen unsere Mitbürger die Kür.

Es fehlen nicht die absurden Vorschläge: die Einführung einer Gebühr für jede Banküberweisung. Wie unrealistisch eine derartige Maßnahme ist, kann man leicht nachweisen: Nachdem die Bevölkerung mit gewisser Mühe überzeugt wurde, die Bankkarten auch für etwas anderes zu nutzen als nur die monatliche Barabhebung des überwiesenen Lohns, soll nun ein Leu für jede Überweisung bezahlt werden. Man kann die Hand ins Feuer legen, dass innerhalb kürzester Zeit Barzahlungen die Überhand gewinnen werden oder aber dass auf alternative Onlinezahlungsmittel zurückgegriffen wird, die jedem Bürger mittels Handy zur Verfügung stehen und die nicht der Aufsicht des rumänischen Staates unterliegen.

Wovon anscheinend nicht gesprochen wird

Natürlich liegen zwei Lösungen auf der Hand, doch scheinbar will niemand die politische Verantwortung dafür übernehmen.

Einerseits eine Entpolitisierung und zeitgleiche Professionalisierung der rumänischen Finanzbehörde (ANAF). Laut Wirtschaftsexperten kassiert der rumänische Staat pro Jahr um neun Milliarden Euro weniger aus der Mehrwertsteuer, als ihm zustehen würde. Alle Maßnahmen, die eine Erhöhung der Mehrwertsteuer einbeziehen, werden weiterhin zu Lasten derer fallen, die jetzt schon entsprechend der gesetzlichen Vorgaben handeln. Wer sich hingegen  diesen entzogen hat, wird auf keinen Fall in derartigen Maßnahmen eine Motivation finden, anders zu agieren. Im europäischen Vergleich bildet Rumänien im Bereich der Eintreibung der Mehrwertsteuer das Schlusslicht. Der europäische Durchschnitt zeigt einen Wert der Hinterziehung der Zahlung der Mehrwertsteuer von ungefähr sechs Prozent. In Rumänien liegt dieser bei gigantischen 30,6 Prozent! Ein Umdenken in der Funktionsweise der ANAF könnte mit Sicherheit zu einer höheren Bereitschaft seitens vieler Unternehmen führen, sich den gesetzlichen Vorgaben zu fügen. Solang aber diese Behörde weiterhin gegenüber diesen Unternehmen als Jagdhund und nicht als Dienstleister auftreten wird, besteht wenig Hoffnung auf Veränderung. Zugleich scheinen politische und wirtschaftliche Interessen mancher Kreise eine reale Änderung der besagten Funktionsweise zu blockieren.

Ein weiterer Ansatz, der sowohl von Nicușor Dan wie auch von dem von ihm als Premier erwünschten Ilie Bolojan vertreten wird, betrifft eine effizientere Führung des Staates durch Verschlankung desselben. Dafür haben sich die beiden mehr als einmal klar geäußert.

Der Bereich scheint sowohl für die alteingesessenen Parteien, die hier einen großen Teil ihrer Wählerschaft wissen, wie auch für die Vertreter des Staatsapparates ein rotes Tuch zu sein. Zwar fallen Parolen über einen effizienteren Staatsapparat, Digitalisierung desselben, Umgestaltung und Zusammenlegung von Einrichtungen, die den gleichen oder einen fast identischen Aufgabenbereich haben, doch wirklich Hand anlegen scheint niemand zu wollen. Auch wenn sie noch weit entfernt sind, bestimmen die Gedanken an die nächsten Wahlen das Gebaren der Parteien.

Würde man an diesem Punkt einen Schlussstrich ziehen, müsste man die Flinte ins Korn werfen und das Weite suchen. Trotzdem haben unter Umständen Rumäniens Politiker gezeigt, dass, wenn das Messer schon am Knochen liegt, ihnen die angebrachte Handlungsweise nicht fremd ist. Sie wissen anscheinend doch vom richtigen Wie und Was, aber versuchen nach Möglichkeit dieses hinauszuschieben. Denn vielleicht fällt doch noch die eine oder andere Pizza vom Himmel.