Ein Gipfelkreuz am Schuldenberg

Rumäniens Politiker versuchen es mit denselben Tricksereien

„Erricht´ ein Gipfelkreuz am Schuldenberg und preise stolz dein Meisterwerk.” Die bitter-sarkastische Zeile der österreichischen Kultband EAV hätte den Soundtrack für den 23. Juni liefern können, an dem das Parlament in Bukarest den neuen Premierminister Ilie Bolojan mit 301 Ja-Stimmen in Amt und Würden hob – eine satte, aber täuschend solide Mehrheit, denn nur neun Abgeordnete wagten ein „Nein“ und der Rest schwieg feige in Enthaltung. Bei der EAV heißt es: „In einem Puff in Fischamend / Erklärt ein Herr vom Parlament / Nach zwei, drei Flaschen Pommery / Den Damen seine Gewerbe-Strategie / Wenn du nichts weißt, dann rede viel / Nur lass die Wahrheit tunlichst aus dem Spiel / Denn das Volk ist es gewöhnt / Dass man mit heißer Luft / Die Dinge schönt / Geht einem Land durch Zinseszinsen / Wie allen Anderen die Zukunft in die Binsen / Erricht’ ein Gipfelkreuz am Schuldenberg / Und preise stolz dein Meisterwerk.” Was es in Österreich gibt, gibt es auch hier: Puffs, Damen, Sekt, lügende Politiker, heiße Luft und Zinseszinsen. Und eine neue Regierung gibt es auch. Zugegeben, derart viel Zeit für deren Zusammenbildung haben sich hiesige Politiker im Vergleich zu ihren Wiener Kollegen nicht genommen.

Vertrauen verspielt, Solidarität verlangt

Die Vierer-Koalition aus PSD, PNL, USR und UDMR trägt den Stempel der „alten Parteien“. Wahlforscher wie Remus Ștefureac weisen seit Monaten da-rauf hin, dass „die großen Formationen kaum noch Zugkraft haben“ – viele Rumänen halten ihr Kreuz längst nicht mehr für diese Logos bereit. Genau diese Akteure verlangen nun Solidarität von unten, nachdem sie selbst Jahre lang am Staatssäckel naschten. Das Misstrauen ist entsprechend tief: Der Slogan von der „nationalen Verantwortung“ klingt auf den Märkten wie Hohn, in Dorfkneipen wie eine Drohung. 

Das Bolojan-Kabinett besitzt fünf Vizepremierminister: Marian Neacșu (PSD), Cătălin Predoiu (PNL), Ionuț Moșteanu (USR), Tánczos Barna (UDMR) sowie der parteilose Unternehmer Dragoș Anastasiu. Schon die bloße Menge an Stellvertretern wirft die Frage auf, ob diese Regierung den Mut hat, die von ihr selbst angekündigten Personal- und Ausgabenkürzungen durchzusetzen. Ein Staatsapparat, der sich erst aufbläht, um dann Schlankheits-Kuren zu verordnen, wirkt wie ein Diätratgeber, der beim Schreiben Sahnetorte löffelt.

Den beiden Prestigeressorts Außen- und Verteidigungspolitik stellt die USR zwei Neulinge vor: Oana Țoiu im Außen- und Ionuț Moșteanu im Verteidigungsministerium. Ihre biografischen Daten zeigen Kommunikationstalent, nicht aber diplomatische oder strategische Praxis. Dass gerade in turbulenten Zeiten Lehrjahre auf der Regierungsbank stattfinden, erhöht die Nervosität in NATO-Hauptquartieren ebenso wie in Brüssel und dürfte vielleicht nicht gerade das sein, was man erwartete. Nichtsahnende Neulinge, die auf einmal wichtige Ministerien leiten mussten, hat es ja immer wieder gegeben, weder }oiu noch Mo{teanu sind schlimmer als so mancher Minister, mit dem die PSD oder die PNL in den vergangenen Jahrzehnten angetanzt ist. Allerdings ist die internationale Lage deutlich bedrohender geworden, so dass man es doch mit anderen Figuren versuchen hätte müssen.

Staatsfinanzen am Abgrund

Der Haushalt lief nach vier Monaten bereits 55,9 Milliarden Lei ins Minus (2,95% des BIP); Experten warnen, das Jahresdefizit könnte zweistellig werden, falls keine sofortigen Gegenmaßnahmen greifen. Ratingagenturen taxieren die Gefahr eines Abstiegs in die „Junk“-Kategorie auf 30 – 40 Prozent – ein Menetekel für Kreditkosten und Wechselkurs. Die ersten Skizzen des Regierungsprogramms lauten: vereinheitlichte Mehrwertsteuer, Streichung ermäßigter Sätze, Dividendensteuererhöhung von 8 auf 16 Prozent – kurz: leichter kassieren statt breiter sanieren. Schon jetzt darbt der Binnenkonsum unter hohen Zinsen; eine rasche Anhebung der ermäßigten 5- und 9-Prozent-MwSt.-Sätze auf 19 Prozent träfe Kultur, Gastronomie und Grundversorgung zugleich. Drohende Kaufkraftverluste könnten das zarte Wachstum abwürgen, bevor es beginnt. Und auch sonst glaubt kaum jemand den Versprechen des frischen Premierministers und den Parteivorsitzenden der Regierungskoalition: Man werde streichen, kürzen, abbauen. Den Wohlstand der Mittelklasse eher als die Privilegien eines Establishments, das mehrmals bewiesen hat, das es Reform nicht kann und vor allem nicht will. Die vor laufenden Kameras im Parlamentssaal erfolgte Umarmung zwischen Marcel Ciolacu und Ionuț Moșteanu spricht Bände. Man liebt sich, trotz allem. Man regiert zusammen. Man arbeitet zusammen. Man bereichert sich zusammen. Wochen und Monate kritisierte Moșteanu den PSD-Premierminister Ciolacu wegen allem Möglichen, der Nordis-Affäre in erster Linie. Am 23. Juni umarmten sich die beiden im Parlament. Es ist nicht so, dass man sich gestritten und nun vertragen hätte. Man hat sich schon immer gut verstanden.

Gemäß Koalitionsvertrag soll 2027 die PSD das Regierungssteuer übernehmen – ein zukünftiger Machtwechsel mitten in der Haushaltsoperation. Reformen, die drei Jahre Bestand haben müssen, drohen so zur Übergangswährung politischer Tauschgeschäfte zu verkommen. Schon heute sehen Beobachter eher einen Basar wechselseitiger Vetos als eine entschlossene Exekutive. Und die Wiederholung eines ganz schlechten Streifens, der Rotation an der Regierungsspitze zwischen PNL und PSD. Wie oft haben deren Spitzen seit November 2024 den Satz wiederholt, man habe die Botschaft der Wähler begriffen? Und was bekommt das Volk nun? Eine Rotation. An Dreistigkeit ist diese politische Klasse nur schwer zu überbieten.

Rumänien braucht strukturelle Modernisierung – im Steuerzugriff, in der Verwaltung, im Energiesektor. Doch wer die Glaubwürdigkeit verspielt hat, kann Opferrhetorik kaum verordnen. Ein Kabinett mit fünf Stellvertretern und unerprobten Schlüsselministern fordert nun von Lehrern, Landärzten und Pendlern, den Gürtel enger zu schnallen, ohne selbst am eigenen Speck zu sparen.

Scheitern die Einschnitte, friert Brüssel PNRR-Mittel ein, stufen Agenturen das Land herab, treiben Gläubiger die Zinskosten weiter nach oben – und das vermeintliche „Gipfelkreuz“ entpuppt sich als Grabstein der fiskalischen Vernunft. „Erricht´ ein Gipfelkreuz am Schuldenberg und preise stolz dein Meisterwerk.“ Die Geschichte wird urteilen, ob Ilie Bolojan es diesmal in Stein meißelt – oder ob sich nur abermals bekannte Gesichter vor bekannter Kulisse ablichten lassen. Im zweiten Szenario kommt die AUR oder ihre Nachfolgepartei 2028 auf 50 Prozent. Mindestens.