Cornelia Cojanu ist das Herz der Rumänischen Gesellschaft „Speran]a“. Stets mit einem Lächeln im Gesicht, stets optimistisch – so kennen alle die Frau, die sich seit 30 Jahren dafür einsetzt, dass es Menschen mit Behinderung in der rumänischen Gesellschaft leichter haben. Cornelia Cojanu, selbst Mutter eines Mädchens mit besonderen Bedürfnissen, fand kurz nach der Wende gemeinsam mit weiteren Eltern, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, die Kraft, auch anderen eine helfende Hand zu reichen. Zusammen gründeten sie die Rumänische Gesellschaft „Speran]a“, die sich für die Unterstützung von Familien, in denen hilfsbedürftige Kinder oder Jugendliche aufwachsen, stark macht. In diesem Jahr begeht die Wohltätigkeitsorganisation, auf deren Initiative unterschiedliche soziale Vorzeigeprojekte in Temeswar ins Leben gerufen wurden, ihr 30-jähriges Bestehen. Was „Speran]a“ in all diesen Jahren erreichen konnte und welche Sozialprojekte derzeit laufen, erfahren Sie aus einem Gespräch, das die ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu mit Cornelia Cojanu geführt hat.
Wann und wie wurde die Rumänische Gesellschaft „Speranța“ gegründet?
Wir feiern in diesem Jahr unser 30-jähriges Jubiläum. Gleich nach der Wende 1989, im Zuge der damaligen Veränderungen, beschlossen etwa 40 Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen, einen regierungsunabhängigen Verein zu gründen, um das Leben unserer Kinder und unser Leben grundsätzlich zu verändern. Die Gründungssitzung wurde am 24. April 1990 in Temeswar abgehalten, und zwar in der Corbului-Straße, wo sich das Krankenhaus für Neuropsychiatrie für Kinder und Jugendliche befindet. Wir wurden von den dortigen Fachleuten unterstützt, und uns zur Seite stand die Delegation vom Verein „Lebenshilfe“ aus Salzburg, Österreich, unter der Leitung von Hannes Schmidt, einem Banater, der seine Temeswarer Wurzeln nicht vergessen hat. Der erste Verwaltungsrat bestand aus folgenden Mitgliedern: Laila Onu – Vorsitzende, Corneliu Turcu – Stellvertreter, Horia Drăgoi – Stellvertreter, Nicu Nedelcu – Sekretär, Eva Fibișan, Stela Delciu und meiner Wenigkeit. Es war uns bewusst, dass sich die Chance ergeben hatte, das Leben unserer Kinder grundsätzlich zu verändern – wir ersehnten eine Mentalitätsänderung in der rumänischen Gesellschaft.
Welche Projekte hat „Speranța“ im Laufe der Zeit ins Leben gerufen?
Wir haben in den ersten zehn Jahren unseres Bestehens, nach 1990, verschiedene alternative Dienste nach westeuropäischem Muster ins Leben gerufen. Bis zur Wende gab es in Rumänien nur sogenannte Schul-Heime oder Krankenhaus-Heime für Kinder mit Behinderung. 1992 haben wir eine Tagesstätte für Kinder mit schweren Beeinträchtigungen ins Leben gerufen, „Podul Lung“, im selben Jahr auch ein Rehabilitationszentrum für Sondererziehung „Speranța“, dann die Tagesstätte für Erwachsene mit geistigen Behinderungen „Pentru Voi“ in Zusammenarbeit mit den Holländern vom FESTOG-Verein. Es folgte 1998 ein Kinderferienlager im Retezat-Gebirge, das mit Unterstützung der dänischen Familie Adi und Kim Holzer zustande kam. Eine Wohngemeinschaft für Jugendliche mit Behinderung wurde 1998 gegründet und im Jahr 2000 ein Respite-Care-Zentrum für Familien in Krisensituationen. Da aber keine Standards aus Bukarest für unser Respite-Care-Zentrum entwickelt wurden, mussten wir es 2016 schließen, obwohl es bei den Familien sehr gut angekommen war. Die anderen Zentren und Projekte bestehen auch heute noch, unabhängig voneinander.
Die Schließung des Respite-Care-Zentrums war also eine rein bürokratische Angelegenheit…
Genau. Wir konnten unsere Tätigkeit einfach nicht mehr entfalten. Wir hatten davor eine Zusammenarbeit mit dem Kommunalrat Temeswar, der uns zwischen 2004 und 2016 jährlich eine gewisse Geldsumme für die Personalkosten bereitgestellt hatte. Da keine Standards entwickelt wurden, konnten wir keine Lizenzierung dieser Dienstleistungen erhalten und somit auch keine Unterstützung mehr vom Kommunalhaushalt.
Wer sind die Mitglieder der Speranța-Gesellschaft und wie wird ihnen geholfen?
Die Mitglieder der Speranța-Gesellschaft sind Familien mit Kindern oder Erwachsenen mit geistigen Beeinträchtigungen. Wir waren am Anfang 40 Familien, im Laufe der Jahre haben wir sogar rund eintausend Familien erreicht, die Zahl der Mitglieder ist aber auf 500 nach der Schließung des Respite-Care-Zentrums geschrumpft. Es sind Familien aus Temeswar und aus dem Kreis Temesch, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen. Es gibt monatlich unterschiedliche Informationsveranstaltungen mit verschiedenen Fachleuten, bei denen unsere Mitglieder zusammenkommen, um sich auszutauschen. Wir bieten Beratung im Bezug auf die Beschaffung von Dokumenten, Behördengänge, usw., aber helfen auch mit Sachspenden.
Wie finanziert sich die Gesellschaft?
Das ist eine sehr schwierige Angelegenheit. In Rumänien scheinen die Gehälter klein für die Mitarbeiter und groß für die Arbeitgeber, und wir wissen sehr wohl, wie viele Abgaben an den Staat jeden Monat fällig sind. Die Gelder kommen meistens von ausländischen Sponsoren, die meisten stehen uns seit Jahren zur Seite.
Die „Lebenshilfe“ Salzburg hat monatlich in all den Jahren seit unserer Gründung und bis heute das Gehalt eines bei uns angestellten Sozialhelfers getragen. In den Anfangsjahren wurden uns mehrere Mikrobusse für die Beförderung der Kinder zum Tageszentrum „Podul Lung“ gespendet, aber auch viele Sachspenden kamen im Banat an. Die „Lebenshilfe“ hat unsere Partnerschaft mit der Caritas-Schule Salzburg vermittelt, im Rahmen deren wertvolle Austausche zwischen unserem Personal und Schülergruppen aus den Abschlussklassen unter der Leitung von Frau Monika Bliem-Behn stattgefunden haben.
Seit 1991 bekommen wir Unterstützung von der Temeswar– Arbeitsgemeinschaft Hamburg, kurz TEMAH, geleitet von Diakon Manfred Ehm. Bis heute werden uns jährlich Lkw mit Sachspenden geschickt, teilweise wurden auch die Gehälter der Fachleute, die in der Sozialarbeit von „Speranța“ eingebunden sind, bezahlt. Durch die Gruppe „Berufspatenschaften“ bezahlen sie teilweise auch die Gehälter der Pfleger unserer geschützten Wohnung. Sie waren es, die das Appartement für geschütztes Wohnen der Stiftung „Casa Speranței“ erworben haben und sie waren auch Partner bei der Gründung dieser Stiftung. Sie haben das Projekt „Schülerpatenschaften“ ins Leben gerufen und unterstützen es weiterhin. Sie haben die Finanzierung der Weihnachtspakete für unsere Mitglieder durch die „Gyula Trebitsch“-Schule Tonndorf initiiert und weitere Finanzquellen gefunden, damit wir jede Menge Geschenkpakete bei unserem Weihnachtsfest verteilen können. In der Corona-Krise hat die TEMAH für unsere Mitglieder eine Soforthilfe möglich gemacht, mit Lebensmittelpaketen und Gutscheinen für bedürftige Familien.
Erwähnt werden müssen auch die Deutsch-Rumänische Gesellschaft Berlin, die Organisationen WACR und FESTOG aus Holland, sowie FUB aus Schweden. Dazu viele Privatpersonen, die uns geholfen haben und die ich jetzt leider nicht alle beim Namen nennen kann. Ich möchte aber die Familie Adi und Kim Holzer aus Dänemark erwähnen, die maßgeblich zum Bau und zum Unterhalt unseres sozialen Ferienhauses im Retezat-Gebirge beigetragen haben. Sie haben auch einen Bus gekauft, womit die Kinder aus benachteiligten Familien oder aus dem Projekt „Schülerpatenschaften“ ins Ferienlager befördert werden. Sie finanzieren das Gehalt der Ferienlager-Verwalterin und veranstalten erfolgreiche Fundraising-Aktionen in Dänemark für unser Ferienlager.
Mit der Zeit sind wir nicht nur ein Dienstleistungsanbieter geblieben, sondern haben auch verschiedene Aktionen zur sozialen Inklusion organisiert. Wir haben Fördermittel von der EU, vom Ökumenischen Verein der Kirchen in Rumänien, von der Nationalen Behörde für Menschen mit Behinderung, vom Zentrum für Gesundheitspolitiken und -dienstleistungen in Bukarest sowie vom Holländischen Kooperationsfonds für Mittel- und Osteuropa erhalten, wodurch wir zur schulischen und sozialen Inklusion von Menschen mit besonderen Bedürfnissen beigetragen haben.
In diesem Zusammenhang: Inwiefern hat sich die Mentalität der Rumänen diesen Menschen gegenüber verändert?
2006 verabschiedete die UNO-Generalversammlung das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010 ratifizierte dies auch Rumänien. Leider ist die Inklusion dieser Menschen eher eine Utopie. Im rumänischen Bildungsgesetz ist z.B. festgehalten, dass behinderte Kinder in den normalen Unterricht integriert werden sollten. Dies geschieht aber nur äußerst selten. Es gibt Druck seitens der Lehrer und Eltern der normalen Kinder – sie wollen das behinderte Kind einfach wegschieben. Die Lehrer müssten Heilerziehungspfleger an ihrer Seite haben, aber es mangelt an Fachkräften. Im Lyzeum oder an der Uni gibt es Sonderplätze für junge Menschen mit Beeinträchtigungen, aber diese sind eher für Menschen mit Bewegungsstörungen gedacht. Die berufliche Inklusion ist noch schwieriger. Vor allem Menschen mit geistigen Behinderungen schaffen es kaum, einen Arbeitsplatz in Rumänien zu finden.
Das Projekt „Schülerpatenschaften“ des TEMAH-Vereins ist für die schulische Inklusion der Kinder mit besonderen Bedürfnissen, aber auch für die Geschwister dieser Kinder gedacht. Wie entfaltet sich dieses Projekt?
Das Projekt „Schülerpatenschaften“ wurde aus einer ziemlich traurigen Realität heraus geboren: Die Kinder mit besonderen Bedürfnissen werden nur sehr schwer an Schulen angenommen und die Geschwister dieser Kinder werden von ihren Eltern oftmals vernachlässigt, denn die Familie ist einfach überfordert. Wir konnten beobachten, dass es viele Situationen gibt, in denen die Mütter mit ihren Kindern allein bleiben. Die „Paten“ aus Deutschland schicken zweimal im Jahr Geldsummen für diese Kinder, unsere Sozialhelfer und die Eltern begleiten dann die Kinder beim Einkaufen der Schulsachen. Die Gelder stammen von Mitgliedern und vielen Freunden von TEMAH, einzelnen Klassen oder Lehrerinnen und Lehrern der „Gyula Trebitsch“-Schule Tonndorf, die für die Kinder eine „Schülerpatenschaft“ übernommen haben. Sie helfen einem Kind, sie kennen dessen Biographie, tauschen Informationen und Fotos aus, und manche „Paten“ schicken zum Geburtstag des Kindes und zu Weihnachten auch Pakete.
Außerdem wird jedes Jahr ein Wettbewerb zu verschiedenen Themen organisiert, infolgedessen die Kinder mit Gutscheinen belohnt werden. Die deutschen Partner bezahlen für die Unterbringung der Kinder in unserem Ferienlager. Bis zu 50 Kinder werden durch das „Schülerpatenschaften“-Projekt unterstützt. Das Projekt koordiniert in Hamburg Frau Irmgard Nielssen, die mehrere Sprachen spricht und uns sogar auf Rumänisch anschreibt.
Im Laufe der verstrichenen 30 Jahre hat „Speranța“ mehrere Projekte ins Leben gerufen, viele davon bestehen auch heute. Wie sieht die Zukunft aus?
Auf unsere Initiative hin wurden Unterstützungsstiftungen für verschiedene Sozialzentren in Temeswar gegründet, um die administrative und finanzielle Unabhängigkeit dieser Einrichtungen zu sichern. Temeswar ist dank unseres Engagements in den ersten zehn Jahren nach der rumänischen Revolution zur Stadt mit den meisten Alternativdienstleistungen für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen in Rumänien geworden. Neben dem Tageszentrum „Podul Lung“, das ich bereits erwähnt habe, wurde 1992 zusammen mit FESTOG die „Pentru Voi“-Stiftung zur Unterstützung der beeinträchtigten Erwachsenen gegründet (Leiterin: Laila Onu). Die „Speranța“-Stiftung (Fundația de abilitare Speranța) wurde 1992 ins Leben gerufen und unterstützt Kinder mit sonderpädagogischen Anforderungen und ihre Familien. Die Stiftung bietet vielfältige Projekte in der Koordination der Geschäftsführerin Leti]ia Baba an. Auch in Zukunft wollen wir die bewährten Aktivitäten für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und ihre Familien weiterführen. Wir planen die Einrichtung eines Unterstützungsdienstes für Menschen mit Beeinträchtigungen, wodurch diese Menschen bei dem Erhalt der finanziellen Hilfe von den Lokalbehörden unterstützt werden.
Die Rumänische Gesellschaft „Speranța“ wurde 1990 als sehr kleine Flamme geboren und ist zu einem Feuer gewachsen, das Mentalitäten und Vorurteile niederbrennen, Barrieren und Herzen schmelzen lassen und Dienstleistungen anbieten möchte, um allen Menschen eine Chance auf ein normales Leben zu bieten. Wir wünschen uns eine barrierefreie, inklusive Gesellschaft.