„Es spielt sich an den Schnittstellen ab“

Eine Ausstellung und ein Theaterstück berühren Rumäniens und Deutschlands Beziehung zueinander

Nicole Colin, Daniel Wetzel, Helgard Haug, Dr. Joachim Umlauf (v.l.n.r.) und im Hintergrund zu Ausstellungs-Zwecken ein altes Festnetz-Telefon mit Drehscheibe für die Nummernwahl, wie es in Rumänien deutlich länger als in der BRD gebraucht wurde Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Ost- und Westeuropa sind keine geografisch abgeschlossenen Räume“, eröffnete Donnerstagmittag, am 19. Juni, in der „Cer Deschis“-Galerie Dr. Joachim Umlauf, der Direktor des Goethe-Instituts Bukarest, das Podiumsgespräch über die Mittwoch zuvor genau hier präsentierte künstlerische Installation „Reflections on East-West Perspectives“ und ganz besonders ihre Ausgestaltung durch die Produktion „Futur4“ des Berliner Rimini-Protokolls, die Freitag sowie Samstag danach als Gastspiel beim Internationalen Theaterfestival Sibiu/Hermannstadt (FITS) Applaus ernten sollte. Um eine „Differenzierung der Narrative“, wie Dr. Umlauf betont, geht es selbstverständlich auch Helgard Haug und Daniel Wetzel, dem Tandem hinter der Idee und dem Text des Bühnengeschehens von „Futur4“. „Wir verstehen Theater als Forschung“ und „suchen für den Stoff das richtige Medium“, schickte Helgard Haug voraus, um von Daniel Wetzel ergänzt zu werden, der stolz davon erzählte, dass „wir das Theater durch die Hintertüre wiederentdeckt haben“. Zwar sollte es noch eine rein gefühlsmäßig sehr lange halbe Stunde dauern, bis Protagonistin und Hauptdarstellerin Ursula Gärtner für die eigentliche Sache des Theaterstücks zum Mikrofon griff und das Skript lobte, doch schaltete sich planmäßig zunächst ebenso Nicole Colin als Initiatorin und wissenschaftliche Koordinatorin des EU-geförderten Projekts NARDIV (United in Narrative Diversity?) in die Diskussion ein, und bei allen vier bisher genannten Gästen in der „Cer Deschis“-Galerie stand es um das Ausdrucks-Bedürfnis beträchtlich. „Wer steht auf der Bühne, wenn wir keine beruflichen Schauspieler einladen?“, lautet die Frage, die das Rimini-Protokoll grundsätzlich beschäftigt.

„Ein Drama aus dem Regal ziehen, um es mit Profi-Schauspielern zu inszenieren“ steht für Helgard Haug und Daniel Wetzel nicht zur Debatte. Das „Entdecken der Siebenbürger Sachsen“ wäre für sie im spannendsten Sinne des Wortes „seltsam“ gewesen, und ihre erste konzeptionelle Setzung hätte darin bestanden, „es jemanden erzählen zu lassen, der es in erster Generation nicht selber erlebt hat“. Gemeint ist das zwischenstaatlich verhandelte Auswandern von Siebenbürger Sachsen aus dem kommunistischen Rumänien der Nachkriegszeit in die Bundesrepublik Deutschland (BRD) vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. Und deshalb kommt der Jugend im Schauspiel „Futur4“ des Rimini-Protokolls eine gewichtige Rolle zu, in die Darstellerin Xenia Klinge auch und gerade als geschickte Nutzerin künstlicher Intelligenz schlüpft. Auch persönlich würde sie die KI „nicht so kritisch“ sehen, behauptete Xenia Klinge in der „Cer Deschis“-Galerie. Ursula Gärtner endlich, von Beruf her Trauma-Therapeutin, empfindet den Text von „Futur4“ als „großes Geschenk“, da er „meine Geschichte in guten Sätzen verdaut“. Aber „hier bin ich aufgeregter als anderswo“, und neugierig war Ursula Gärtner auch darauf, ob und wie die Zuschauer beim FITS darauf reagieren würden, dass „Futur4“ auch „die Kollaboration mit dem Dritten Reich“ behandelt. Den Stoff der kommunistischen Epoche Rumäniens im Kontakt zur BRD traktiert sehr ausführlich Roxana Lăpădat als Forscherin, die mehrere Tausend Seiten Dokumente in sechs Archiven gelesen und manches davon in die noch bis Sonntag geöffnete Expo „Reflections on East-West Perspectives“ in der „Cer Deschis“-Galerie (Schmidtgasse/Str. Faurului 18) Hermannstadts hat einfließen lassen. Was Dr. Joachim Umlauf bezüglich des Stücks „Futur4“ sagt, gilt auch für die Ausstellung: „Es spielt sich an den Schnittstellen ab.“