Gemeinsames Gedenken an die Deportation vor 70 Jahren

Thomas Şindilariu und Octav Bjoza berichten über die Ereignisse 1945

Thomas Şindilariu und Octav Bjoza während der Pressekonferenz

Ada Teutsch war lange Jahre Vorsitzende des Kronstädter Verbandes der Russlanddeportierten. Im Bild zusammen mit Octav Bjoza.
Fotos: Hans Butmaloiu

Vor genau 70 Jahren, im Januar 1945, fand die Deportation der deutschen Minderheit aus Rumänien in die ehemalige Sowjetunion statt - zum Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg durch Hitler zerstörten Infrastruktur. Ein dramatisches Ereignis für die betroffenen Überlebenden - und Anlass für Gedenkveranstaltungen, wie sie auch in Kronstadt am 11. und 12. Januar - den Tagen der Deportation - stattgefunden haben.  Octav Bjoza, Vorsitzender des Verbandes der ehemaligen politischen Häftlinge, hat nicht nur die Verschleppung seiner Klassenkameraden, Nachbarn und Freunde  hautnah mitbekommen, sondern während eigener, späterer Haft- und Lagerjahre viele Russland-Flüchtlinge und Rückkehrer kennengelernt. Die Gelegenheit, diese Erinnerungen aufzurollen, ergab sich während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Historiker Thomas [indilariu, Vorsitzender des Ortsforums Kronstadt, und einem darauf folgenden Gespräch.

Octav Bjoza, geboren am 11. August 1938 in Jassy/Iaşi, zog mit seinen Eltern 1941 nach Kronstadt, wo er das „Andrei Şaguna”-Lyzeum besuchte. Die Deportation vom 11. Januar 1945 hatte er als jugendlicher Kronstädter miterlebt, nicht innerhalb der deutschen Gemeinde, aber inmitten gleichaltriger Schüler, von denen die meisten von der Deportation direkt betroffen waren.

„Es geschah überraschend, es ging um die Nachbarn, die Eltern unserer Freunde aus der Nachbarschaft, um Menschen, die wir kannten. Damals, als junger Knabe, habe ich nur den Schrecken auf den Gesichtern gesehen, doch später, während meiner Haft nach 1958, habe ich einige der Verschleppten kennengelernt, die nach ihrer Rückkehr aus dem Arbeitslager wegen erfundener Anschuldigungen und nach inszenierten Prozessen verurteilt worden waren. Auch ich habe die Misere der manchmal auch drei Wochen dauernden Fahrt bis in das Gebiet, dessen Namen gerade jetzt wieder in den Schlagzeilen ist, der Donbass und die Ukraine, mitbekommen.“

Deportation  aus der Kronstädter Honterusgemeinde

Während die Züge mit Viehwaggons in Richtung Grenze rollten, gab es schon die ersten Todesopfer, denn wie seinerseits Thomas [indilariu anhand offizieller Statistiken der Behörden demonstrierte, waren die am wenigsten widerstandsfähigenDeportierten die älteren Stadtbewohner, von denen einige einfach erfroren oder, weil sie krank waren, verstarben.

Octav Bjoza erinnert sich: „Ich habe selbst als Knabe solch ein Opfer gesehen, von den Aufsehern achtlos aus dem Waggon geworfen. Es war an einem Morgen auf der Fahrt von Kronstadt in Richtung Schäßburg, unweit der Fischteiche bei Rothbach, in einer Biegung, wo die Gleise nahe an der Straße verlaufen. Dabei waren die Insassen der Viehwaggons so eingepfercht, dass sie - genau wie wir später in den Häftlingsbaracken - nicht auf dem Boden liegen konnten, da einfach nicht genug Platz war. Sie lagen seitlich, was sehr ungemütlich war, doch den zweifelhaften Vorteil hatte, dass es um ein ganz wenig wärmer war, wegen der Körpernähe.“

Ebenfalls Thomas Şindilariu erklärte, dass spätere Nachforschungen und Überprüfungen die Zahl von 1785 deportierten Personen aus Kronstadt - genauer: der Honterusgemeinde - ergaben.

Fachkräfte für den Wiederaufbau

Ein beachtlicher Aderlass an Fachkräften, wie sich seinerseits Octav Bjoza erinnert: „Es waren die guten Fachkräfte, welche der Heimatfront unentbehrlich gewesen waren und die in den Werken Schlüsselstellungen belegten. Diese wurden an dem Tag, manchmal auch direkt von dem Arbeitsplatz, also ohne das sonst üblicherweise gestattete Gepäck und Proviant, zu der Sammelstelle geführt und deportiert. Solche Fachkräfte, das habe ich später erfahren, hatten ein vielleicht etwas leichteres Los als die, welche unter der Erde in den Kohlengruben schufteten. Sie wurden aus den Lagern ausgewählt, je nach Beruf und Ausbildung, und bauten die gesamte sowjetische Ton- und Rundfunkindustrie auf, ebenso wie die optische Industrie.

Im Sommer 1945, als noch niemand ein Lebenszeichen von den Verschleppten hatte, rollte durch den Kronstädter Bahnhof ein Güterzug nach dem anderen, gekennzeichnet mit Farbe an den Seitenwänden: Es war Kriegsbeute aus dem eroberten Deutschland, abmontierte Werke und Fabriken aus Jena oder anderswo, für welche die Zwangsarbeiter in Riga oder Leningrad die Fundamente in den Hallen schon gebaut hatten. Solche Züge waren  so viele, dass die kürzere Strecke über Polen einfach nicht ausreichte, also wurden sie über Rumänien umgeleitet. Diese Züge habe ich damals gesehen.“  
   
Randopfer der Deportation

Seit Langem ist es bekannt, und sowohl Thomas [indilariu als auch Octav Bjoza erbrachten Beweise dafür, dass nicht nur die am Krieg nicht direkt beteiligte deutsche Minderheit unter der Deportation zu leiden hatte. Thomas Şindilariu: „Aus Kronstadt - als Ironie des Schicksals, kann man fast sagen - ist die gesamte antifaschistische Organisation auch deportiert worden, vollzählig! Es gab sogar den Versuch, diese Deportierten propagandistisch auszunutzen, indem behauptet wurde, sie wollten sich selbst an dem grandiosen Wiederaufbau beteiligen - und zwar aus freien Stücken. Ich bezweifle sehr, dass das den Tatsachen entsprach!“

Octav Bjoza: „Ich habe dazu selber einen Fall kennengelernt - einen  Jugendlichen, den ich später im Arbeitslager getroffen habe. Er befand sich in Reschitza, als in einem der Züge mit Deportierten ein Schwabe verstorben war. Da Aufsehern die Zahl nicht mehr stimmte, schnappten sie sich den Erstbesten, und das war eben dieser Jugendliche. Die Wachen stopften ihn in den Waggon zu den Schwaben, obwohl er schrie, dass er Rumäne ist. Er gelangte jedoch nicht in den Donbass, sondern nach Sibirien. Von dort gelang ihm die Flucht und in Güterzügen versteckt ist er nach und nach bis zu der Grenze der damals neu gegründeten Republik Moldau mit Rumänien gekommen. Nach Rumänien hat er sich eingeschlichen, doch fassten ihn die rumänischen Grenzer, prügelten ihn bis zur Bewusstlosigkeit, er kam vor ein Militärgericht und - Bruderstaat hin oder her - wurde wegen Spionage für die Sowjets zu Arbeitslager verurteilt. Dort habe ich ihn kennengelernt, als er schon mehr als sieben Jahre abgesessen hatte. Einen zweiten Fall, der beweist, wie wahllos manchmal vorgegangen wurde, kenne ich aus Tărlungeni, der Ortschaft neben Kronstadt, wo ein Bekannter, halb Ungar, genauso zufällig aufgegriffen wurde und im Donbass landete. Diese beiden waren Randopfer der Deportation.“

Rückkehrer und Flüchtlinge als Spione geahndet

1957 zog Octav Bjoza wieder nach Jassy, um Geologie zu studieren, und wurde im darauffolgenden Jahr, 1958, als Mitglied einer Gruppe, die sich „Garde der rumänischen Jugend“ nannte , verhaftet. Es folgten Untersuchungen, ein Prozess vor dem Militärgericht, Verurteilung und Haft: vier Jahre schwerer Kerker in so gut wie allen bekannten Gefängnissen des Landes.

Bis 1957 jedoch erlebte er direkt, was mit den Rückkehrern aus der Deportation geschah: „Es waren welche, die selbst ihr Los in die Hand genommen haben und zu Fuß und gelegentlich mit der Bahn aus Russland oder der russischen Besatzungszone, der Demokratischen Republik, zurückkamen. Diese überquerten die Grenzen gesetzwidrig und wurden damit erpresst und zu Spitzeln gemacht. Hier in Kronstadt gab es auch einige, auch mit ihrer Hilfe inszenierte dann die Securitate Prozesse, in denen behauptet wurde, in den Reihen der deutschen Minderheit gäbe es geheime faschistische Organisationen, die sich das Untergraben der sozialistischen Republik zum Ziel gesetzt hätten. Die Prozesse habe ich in Freiheit erlebt, den Prozess der Schwarzen Kirche und nicht nur, die Opfer habe ich im Gefängnis kennen gelernt, wo ich bis 1962 war.“