„Es regnet in unser Haus“, schrieb Larisa Cîmpeanu am 4. Juni auf Facebook. Ein kurzes Video zeigt, wie es durch das zerstörte Dach regelrecht strömt. Eine Stützmauer der Traian-Moșoiu-Straße, wo die Rückseite des Hauses der Familie Cîmpeanu, bei Nummer 32 A, steht, ist vom ansteigenden Verkehr und den starken Regenfällen „über unser Haus gestürzt“, erzählt sie. Cîmpeanu lebt mit der Angst, dass heftiger Regen ihr neun Monate altes Baby und ihre Familie eines Tages unter Trümmern begraben könnte. Viele ihrer Nachbarn im historischen Wohnviertel Obere Șchei, das für seinen Ausblick, die wunderschöne Natur und die Ruhe bekannt und begehrt ist, sind von den starken Regenfällen der letzten Wochen betroffen, ihre Häuser sind überschwemmt, die einst ruhigen Straßen stehen voller Geröll, Schlamm und Schutt.
In den letzten Jahren wurden die Bewohner der Oberen Vorstadt Zeugen einer traurigen Realität: Immobilienentwickler haben auf den grünen Hügeln und Hängen kreuz und quer gewühlt, herzlos und oft ohne Genehmigung Bäume gefällt, um moderne Wohnanlagen zu bauen, gleich in der Nähe der kleinen Häuser, die schon immer dort standen. Sie versprechen Wohnungen mitten im Grün, mit schöner Aussicht und Ruhe, doch ist infolge ihrer Arbeiten nicht mehr viel übrig von den versprochenen Traumhäusern.
Ungestört drängen Bagger, Bulldozer, Kipplaster und Betonmischer durch die schmalen Gässchen des einst ruhigen Viertels und eilen auf die Hänge, die sie zerstören. Ihr Anblick ist schon gang und gäbe. Am anziehend gestalteten Anger/Piața Unirii, wo Touristen die älteste rumänische Schule und die Kirche Sf. Nicolae besuchen, ist garantiert nicht der Ort, wo solche Fahrzeuge verkehren und zudem das schöne Kopfsteinpflaster zermalmen sollen.
Von deren Last ist die Struktur vieler alter Häuser angegriffen, Risse entstehen in den Wänden, Stützmauern geben nach. Und ohne die nötigen Gegenmaßnahmen zu treffen, werden die kahlen Hügel vom Wasser regelrecht bergab geschwemmt.
Zahlreiche Wohnblocks mit mehreren Stockwerken stehen am Ende der einst ruhigen După-Iniște-Straße, wo früher die Tiere weideten. Auch auf Straßen wie Cetinii, Stejerișului, Piatra Mare, Sandgasse/Str. Nisipului, Dealul Spirii u. a. stehen moderne Betonblocks, die wie Science-Fiction-Bauten in der Landschaft thronen. Auf dem Schulerau-Weg ragt ein Komplex von mehreren Blockwohnungen aus dem Hügel. Die Appartements stehen seit Jahren leer. Es spricht sich herum, dass die Blocks langsam, aber sicher abrutschen.
Empört sind die Bürger auch über das Bauprojekt „American Dream“, das auf der sogenannten „Coasta Vacii“ erbaut werden sollte und das im Vorjahr für sehr viel Aufregung gesorgt hat, nachdem der Hügel brutal zerfranst wurde, obendrein ohne Genehmigungen. Rund 1000 Familien sollten hier wohnen. Gegen den Bauunternehmer wurde eine Strafanzeige erstattet und die Arbeiten mussten eingestellt werden, doch gibt es Anzeichen, dass dort weiterhin gebaut wird.
Viele andere Bauprojekte für Wohnblocks auf den Hügeln und Hängen der Oberen Vorstadt warten darauf, umgesetzt zu werden. Dabei sind beim Bau der schon errichteten Blocks kaum Maßnahmen getroffen worden bezüglich der Infrastruktur: die Kanalisation ist überfordert, was bei jedem ernsthaften Regenfall ersichtlich wird.
Auch sieht es schlecht um die alten Gas- und Wasserleitungen des Viertels aus, die von so vielen neuen Haushalten überfordert sind, sodass sich Bewohner wegen zu kleinen Drucks beklagen. Auch der Verkehr ist in den schmalen Straßen total überlastet. Die versprochenen, aber nicht gebauten unterirdischen Parkplätze zwingen die neuen Bewohner dazu, ihre Autos auf den engen Straßen zu parken, was den Verkehr manchmal lahmlegt. Die Einheimischen machen sich Sorgen, dass Feuerwehrautos oder Krankenwagen sie im Notfall nicht erreichen können.
„Wir zerstören das Stadtbild bewusst, indem wir chaotisch bauen, nach dem Prinzip, dass jeder auf seiner Fläche macht, was er will. Doch bedeutet Urbanismus eben, dass man macht was man will, solange man in Einklang mit dem öffentlichen Interesse ist“, erklärt Architekt Gruia Hilohi. „Man kann Regelungen einführen, die nur niedrige, individuelle Bauten dort zulassen“, meint Architektin Marina Iliescu, im Einklang mit den vorhandenen Häusern, die bis zum Vorjahr, maximal zwei Etagen haben durften.
Kronstadt hat seit vergangenem Jahr keinen gültigen Bebauungsplan (PUZ) und keinen Flächennutzungsplan (PUG). Diese zu erneuern oder neu zu gestalten, sei ein langer, komplizierter Prozess, sagen die Vertreter des Bürgermeisteramts. Somit wird nach Lust und Laune gebaut, denn mit 1100 bis zu 1300 Euro pro Quadratmeter einer Blockwohnung finden die Immobilienentwickler garantiert ein besseres Geschäft als den Verkauf eines Hauses. „Wir sind Opfer. Auch wir als Behörden, auch sie, als Bürger. Wir haben alles Mögliche getan und alle Maßnahmen getroffen, die nötig waren“, sagt George Scripcaru, Bürgermeister von Kronstadt. Doch scheint das lange nicht genug zu sein, um die sich abzeichnende Katastrophe zu stoppen.
Daher haben Bewohner der Oberen Vorstadt Straßenverbände und mehrere Vereine gegründet, die sich nun zum Verein „Pro Schei“ zusammenschließen und der vom Bürgermeisteramt verlangt, jegliche Baugenehmigung für Blockwohnungen im alten Viertel zu stoppen, bis ein neuer Bebauungsplan eingeführt wird. Gefordert wird auch das Abtragen der Immobilien, welche die Normen und das Spezifikum der Gegend nicht einhalten, sowie der Wiederaufbau und die Bepflanzung der Hügel. Auch wurden Petitionen in dieser Hinsicht ans Bürgermeisteramt gesendet. Die Leuten scheinen die Schnauze voll zu haben.
Die Bürger und die Behörden müssen schnell und nachhaltig handeln, selbst wenn das Spezifikum der Gegend schon angegriffen ist, sonst droht das wunderschöne touristische Viertel Obere Vorstadt eine Favela wie in Rio de Janeiro zu werden, wo Hügel der Stadt komplett mit Blockwohnungen zugebaut sind und wo Menschen sehr geringen Wohnraum zur Verfügung haben.