Am Fronleichnamstag, dem 19. Juni, fand im Bukarester Athenäum ein Konzert mit zwei Werken aus der Zeit der Wiener Klassik statt. Dargeboten wurde das 2. Hornkonzert in Es-Dur (KV 417) von Wolfgang Amadeus Mozart sowie das Oratorium „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ von Joseph Haydn. Instrumentalsolist war der Solohornist der Philharmonie „George Enescu“ Ioan Gabriel Luca, Vokalsolisten die Sopranistin Irina Iordăchescu, die Altistin Geanina Munteanu, der Tenor Ionuţ Popescu und der Bass Răzvan Georgescu. Begleitet wurden diese vom Chor, dessen Einstudierung wie immer Iosif Ion Prunner besorgt hatte, beziehungsweise vom Orchester der Philharmonie „George Enescu“. Die musikalische Gesamtleitung lag in den Händen des deutschen Dirigenten und Musikhochschulprofessors Christoph Adt.
Mozart schrieb sein zweites Hornkonzert, wie alle seine Hornkonzerte und auch sein Hornquintett in Es-Dur (KV 407), für den österreichischen Hornisten Joseph Leutgeb (oder auch Leitgeb), der, obschon fast ein Vierteljahrhundert älter als das musikalische Wunderkind, oftmals zur Zielscheibe von Mozarts Spott und zum Opfer von dessen eigenwilligem Humor wurde. D
er deutsche Altphilologe, Altertumswissenschaftler und Mozart-Biograf Otto Jahn berichtet beispielsweise, der Komponist habe einmal alle Stimmen seiner Konzerte und Sinfonien in seinem Zimmer wild durcheinander geworfen und Leutgeb habe sie dann kriechend aufsammeln und wieder ordnen müssen. Und Leutgebs Bitte, Mozart möge doch ein Hornkonzert für ihn schreiben, sei der schalkhafte Komponist nur unter der Bedingung nachgekommen, dass der Hornist, während Mozart das Werk komponiere, hinter den ungeheizten Ofen krieche und dort kniend ausharre. So lautet denn auch die Widmung des Komponisten im Autograf seines zweiten Hornkonzerts, das, chronologisch betrachtet, eigentlich sein erstes Hornkonzert ist: „Wolfgang Amadé Mozart hat sich über den Leutgeb, Esel, Ochs und Narr erbarmt in Wien am 27. Mai 1783.“
Das unter jener merkwürdigen Kompositionsbedingung zustande gekommene fertige Resultat hat den Wiener Hornisten am Ende aber doch wieder hinter dem Ofen hervorgelockt und kann sich heute in allen Konzertsälen der Welt hören und sehen lassen, auch wenn man in vielen Passagen des Hornkonzertes KV 417 den Schalk in Mozarts Kompositionsgenie buchstäblich mit den Händen greifen zu können meint. Abgesehen davon ist das Konzert aber sehr dankbar für den Solisten, mit schönen Themen und bezaubernden Melodien (vor allem im Andante-Satz), aber auch mit hochvirtuosen Passagen, etwa im Rondo-Finalsatz, dessen wilde Jagd im Sechsachteltakt am Ende durch eine akzelerierte Coda noch gesteigert wird. Leider kam der Solist Ioan Gabriel Luca nach dem fulminanten Finale des Mozartschen Hornkonzertes dem Wunsch des Publikums nach einer Dreingabe nicht nach, vielleicht weil er als mitfühlendes Philharmoniemitglied und verständnisvoller Orchestermusiker die Arbeitszeit seiner Kollegen nicht unnötig verlängern wollte.
Nach der Pause wurde dann im Bukarester Athenäum Joseph Haydns Oratorium „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ für vier Gesangssolisten, Chor und Orchester aufgeführt. Das Werk, das Haydn im Auftrag des Bischofs von Cádiz im Jahre 1785 fertigstellte, erlebte im Verlaufe seiner weiteren Geschichte mehrere, auch Gattungsgrenzen überschreitende Modifikationen. Die ursprüngliche Orchesterfassung wurde 1787 durch eine Streichquartettfassung (op. 51) ergänzt, bestehend aus insgesamt neun Quartetten: aus einer Einleitung („L’introduzione“), sieben Sonaten und einem Erdbeben („Il terremoto“) am Schluss.
Darüber hinaus existiert noch eine Klavierfassung für „Clavicembalo o Forte Piano“, die zwar nicht von Haydn selbst stammt, aber von diesem als „sehr gut und mit besonderem Fleiß abgefasst“ gelobt wurde. Die zuletzt entstandene Vokal- oder Chorfassung, die 1796 im Wiener Palais Schwarzenberg uraufgeführt wurde, lag auch dem Konzert vom Fronleichnamstag zugrunde, wenngleich die Bukarester Aufführung auf einer englischen und nicht auf der deutschen Textfassung beruhte, die von dem österreichischen Diplomaten und Musikliebhaber niederländischer Herkunft Gottfried van Swieten angefertigt und dann im Jahre 1801 auch publiziert wurde.
Interessant an diesem Werk, das mit den großen Oratorien Haydns „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ zusammengesehen werden muss, ist der lebendige Kontrast zwischen Instrumentalmusik einerseits und Vokalmusik andererseits, wobei die Tutti-Passagen des Chores und die Solo-Passagen der Gesangssolisten ihrerseits wieder einen wechselvollen Kontrast zueinander bilden, zumal letztere durch Variationen in der Besetzung – alleine, im Duett oder im Quartett – einen zusätzlichen Reiz bieten. Volltönend-bombastische Monumentalmusik und lyrisch-behutsame Kammermusik vereinigen sich in diesem Werk zu einer spannungsvollen Form, deren Wirkung zu einem nicht geringen Teil gerade auf dem Wechsel zwischen gewaltigstem Fortissimo und zartestem Pianissimo beruht.
Um diesen Wechsel musikalisch erleben zu können, bedarf es jedoch einer Voraussetzung, die im Bukarester Athenäum freilich immer weniger gewährleistet scheint: nämlich absoluter Stille und Ruhe! Wenn feine Gesangssoli durch laute Handysignale übertönt werden, wenn aufzischende Mineralwasserflaschen den Stimmen der Solosänger Konkurrenz machen, ist eine Errungenschaft in Gefahr, die gegenwärtig auch im Reich der Kultur immer mehr verloren zu gehen droht: gemeinsame Konzentration auf ein Werk, kollektive Andacht, individuelle Sammlung und stille Hingabe.
Den Höhepunkt bildete in dieser Hinsicht die Anwesenheit eines Säuglings während der gesamten Aufführung des Haydnschen Oratoriums im Bukarester Athenäum, der sich mehrfach durch lang gedehnte Seufzer und kräftige Juchzer bemerkbar machte und seine Präsenz außerdem durch ein lautstarkes „Lalala“ während eines lyrischen Duetts zweier Gesangssolisten stimmlich eindrucksvoll unterstrich. Einem Wickelkind sind solche naturgemäßen Reaktionen freilich nicht zu verdenken. Man wird sich also im Bukarester Athenäum in Zukunft wohl zwischen Kinder- und Artenschutz zu entscheiden haben: Zwischen dem Schutz des Babys, das von seinen Eltern zu nächtlicher Stunde in der Öffentlichkeit mit kulturellen Inhalten vertraut gemacht wird, und dem Schutz einer aussterbenden Gattung, derjenigen solcher Zuhörer nämlich, die bei einem Konzertbesuch nur eines hören wollen – Musik und sonst gar nichts.