Es sei von gegenseitigem Vorteil, dass zwei Studenten der Bamberger Otto-Friedrich-Universität ihre Masterarbeit über die Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch schreiben, sagt Dietmar Gross. Der Forstdirektor i.R. und ehemalige Leiter des Forstamtes Lichtenfels (Oberfranken) ist gut mit Bamberg vernetzt, war er doch in den 90er Jahren Stadtratsmitglied von Bamberg. Heute ist er Mitglied des Kirchenvorstandes in Deutsch-Weißkirch, die Gemeinde, aus der seine Ehefrau Gerhild stammt und in der er nun seit über zehn Jahren lebt. Zum einen habe das Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte ein interessantes Forschungsthema für zwei ihrer Studenten ausfindig machen können; zum anderen kann die evangelische Kirchengemeinde aus diesem kleinen im Repser Ländchen gelegenen Dorf davon konkret profitieren und zwar als Dokumentation für eventuelle Restaurierungsarbeiten an der Kirchenburg. So war es naheliegend, dass Gross sich für das Zustandekommen und die organisatorischen Details dieser Arbeit einsetzte.
„Bauforschung und Gefügeanalyse am Dachtragwerk der Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch“ ist der Titel der Masterarbeit, die Marius Moldovan und Cedric Siffermann unter Betreuung von Dr. Ing. Dipl.-Holzwirt Thomas Eißing (Uni Bamberg) und Prof. Dr. Olaf Huth (Hochschule Coburg) vorbereiten. Vor einem Jahr hatten Studierende und Professoren aus Bamberg und Coburg eine gemeinsam mit der „Stiftung Kirchenburgen“ vorbereitete Exkursion zu mehreren siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen durchgeführt, unter ihnen auch jene in Deutsch-Weißkirch. Mit dabei war Marius Moldovan (32), Student im letzten Semester des Studienganges Denkmalpflege. Der aus Temeswar stammende studierte Informatiker entschied sich, wie auch sein deutscher Studienkollege Cedric Siffermann (29), für die Erforschung des Dachstuhls einer der bekanntesten Kirchenburgen Siebenbürgens. Das setzt eine detaillierte Vermessung der Kirche mit Fokus auf deren Dachstuhl voraus aufgrund deren verformungsgerechte Pläne erstellt werden.
Der Antrag für die Forschungen in der Kirchenburg wurde von der Leitung der evangelischen Kirche A.B. in Rumänien bewilligt und begrüßt. „Durch die Untersuchung des historischen Dachstuhls, Erstellung eines geordneten Befundkatalogs und die Erkenntnisse der Forschung können wichtige Hinweise und bautechnische Informationen gesichert und zugänglich gemacht werden, aber auch bei zukünftigen Sanierungsmaßnahmen entsprechend helfen“, heißt es in der Antwort seitens der Landeskirche. Obwohl die Kirchenburg Deutsch-Weißkirch seit 1999 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht, als Baudenkmal der Kategorie A eingestuft ist und jährlich eine hohe Besucherzahl verzeichnet (rund 40.000 im Jahr 2019) stand sie nicht auf der Liste des EU-Förderprogramms für 18 siebenbürgisch-sächsische Kirchenburgen. Das heißt nicht, dass da nach der Wende von 1989 keine Renovierungsarbeiten stattfanden. Dank der Mihai-Eminescu-Stiftung aber auch über die Weltbank standen Geldmittel zur Verfügung, die für Außenarbeiten genutzt wurden, oder für die Gründung eines Museums zur Dorf- und Burggeschichte. Der aktive sechsköpfige Kirchenrat bemüht sich seit Jahren, die Einnahmen der Kirchenburgbesucher in den Erhalt der Bausubstanz zu investieren. So wurde ein Info-Zentrum im ehemaligen Burgwärterhaus eingerichtet, die Innentreppen des Haupturms und des Glockenturms gesichert und erneuert, ein Ausstellungsraum in der Ostbastei angelegt und das Pfarrhaus teilrenoviert. Mit Genehmigung der Kronstädter Denkmalschutzbehörde wurden auch Notreparaturen durchgeführt. So wurden das Kirchendach und die Dächer fast aller Türme und Basteien mit neuen Latten versehen und erneuert, wobei alte, aber gut brauchbare Dachziegeln verwendet wurden, von denen auch ein Reservevorrat besorgt werden konnte.
Risse im Hauptturm, Feuchtigkeit im Kirchenschiff aber auch eine fachmännische Restauration der alten Holzmalereien an den Emporen sowie der vorreformatorischen Wandmalereien oder die Möglichkeit, weitere Türme der Wehranlage für Besucher zugänglich zu machen, sind gute Gründe, an Sanierungsarbeiten zu denken, die mit Hilfe der Landeskirche und mit Unterstützung der „Stiftung Kirchenburgen“ aber vielleicht auch durch Aufnahme ins neue EU-Förderprogramm finanziert werden können. Die Ergebnisse der Forschungen, die Marius Moldovan und Cedric Siffermann durchführen, bieten dazu eine Grundlage, zum Beispiel für die Erstellung eines statischen Gutachtens. Auch werden bei dieser Gelegenheit, selbst wenn es nicht direkt zum Thema der Masterarbeit gehört, Sensoren aufgestellt, um die Luftfeuchtigkeit im Kirchenraum und im Museum zu messen. „So werden wir besser Bescheid wissen, wie wir richtig lüften sollen“, freut sich Dietmar Gross.
Mehrere Wochen nehmen die Vermessungsarbeiten in Anspruch. Moldovan und Siffermann wohnen im Dorf, im Predigerhaus. Die Kosten fürs Quartier trägt die Kirchengemeinde. Sie finden den Alltag im abgelegenen, nun weniger von Touristen besuchten Dorf wohl als eine einmalige Abwechslung zum Bamberger Studentenleben. Zwar hat die Pandemie auch Deutsch-Weißkirch nicht verschont, aber mit Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen fühlt man sich da nicht in Gefahr. Mit aufgesetzter Gesichtsschutzmaske betreten wir die Kirche und gelangen über enge, steile Treppen zum Dachstuhl. Stromkabel und Glühbirne bieten das nötige Licht, um die Ausmaße der Holzkonstruktion, die das Dach trägt, besser zu erkennen. In der Fachsprache handelt es sich um Latten, Sparren, Rähmen, Ständer, Streben, Kehlbalken und so weiter. Interessant ist auch die Art und Weise, wie die Holzverbindungen zustande kommen, wobei nur selten Holznägel verwendet wurden.
Die Vermessungen mit dem Tachymeter ausgehend von den Dutzenden von Vermessungspunkten sind nur ein Teil der Arbeit der beiden Studenten. Sie suchen und identifizieren Befunde, die ihnen später helfen werden, eine relative Chronologie der Baumaßnahmen aufzustellen. Wichtig sind dabei die Abbundzeichen – Symbole, die verwendet wurden, um die zusammengehörenden Holzteile zu kennzeichnen. Mit der Taschenlampe weisen die beiden auf einige solcher eingeritzten Zeichen. Drei verschiedene Zeichensysteme konnten sie finden: Buchstaben, dreieckige Aussparungen, römische Ziffern. Nicht immer stimmt jedoch die Reihenfolge, so dass noch einige offene Fragen zu klären sind. Hilfreich dabei werden die Ergebnisse der den-drochronologischen Proben sein die ein genaueres Alter des Holzteils angeben. Weitere Befunde sind Löcher und Holzaussparungen, ausgetauschte Balken, Spuren alter Dachhaut. Wurde der Dachstuhl Mitte des 18. Jahrhunderts, als das Wehrgeschoss über der Kirche abgetragen wurde, komplett neu aufgebaut? Im Exposé der Masterarbeit werden unter anderem auch einige bautechnische Besonderheiten ge-nannt:„Die Ergebnisse sollen dann in Bezug zu den in der Literatur ermittelten Bauphasen gesetzt werden und die heterogene Verwendung von Abbundzeichen erklären, sowie beantworten, warum eine doppelte Dach- bzw. Deckenbalkenlage bei der Konstruktion des Dachwerks und der mit Ziegelsteinen belegten Flachdecke zur Anwendung kam und ob die Aussparungen der unteren Balkenlage im Chorbereich mit dem abgerissenen Wehrgeschoss in Verbindung gebracht werden können. Hypothesen zur Baugeschichte sollen durch virtuelle Rekonstruktionen des Wehrgeschosses und des Gewölbes anschaulich dargestellt werden. Des Weiteren soll gezeigt werden, wie die Baufolge bzw. wie der Aufstellvorgang des Dachwerks verlief.“ Die Besichtigung weiterer Kirchenburgen, um Vergleiche mit jener in Deutsch-Weißkirch ziehen zu können, sowie das Studium von Dokumenten aus Archiven und der Fachliteratur gehören ebenfalls zur Vorbereitung der Masterarbeit. Es ist eine Herausforderung, die die beiden Bamberger Studenten ins ferne Siebenbürgen brachte, die sie aber meistern werden. Dass ihre Arbeit für ihr Forschungsobjekt und für die Deutsch- Weißkircher auch konkrete Auswirkungen auf zukünftige Restaurierungsarbeiten haben könnte, dürfte sie nur zusätzlich motivieren.