Menschen und Länder miteinander verbinden

Interview mit Christian Ax, Fachberater für Deutsch in Temeswar

Bei einer Debatte mit Jugendlichen

Beim Seminar in Sathmar Fotos: privat

Im April diesen Jahres fand am Johann-Ettinger-Lyzeum in Sathmar/Satu Mare ein Fortbildungsseminar für 23  Deutschlehrerinnen- und lehrer statt, die im Nordwesten Rumäniens an der Durchführung der DSD-I- und DSD-II- Sprachdiplomprüfungen beteiligt sind. Geleitet wurde das Seminar von Christian Ax, dem neuen Fachberater für Deutsch in Temeswar. Über seine Person und seine ersten Eindrücke in Rumänien sprach ADZ-Redakteurin Gabriela Rist mit Christian Ax. 

Herr Ax, Sie sind seit dem vergangenen Jahr Fachberater in Temeswar. Haben Sie sich inzwischen in Rumänien eingelebt?

Ich glaube schon. Das erste halbe Jahr ist vergangen, und ich muss gestehen: Rumänien war zuvor gar nicht auf meiner persönlichen Landkarte.  Ich war vor Jahren mal kurz in Bukarest, aber das war‘s auch schon. Mittlerweile kenne ich die Schulen, mit denen ich zusammenarbeite, und Temeswar ist mir ebenfalls vertrauter geworden. Insofern: Ja, ich habe mich eingelebt.

Sie haben Deutsch und Russisch studiert - wie kam es zu dieser Kombination?

Deutsch war ein  Herzenswunsch von mir. Ich habe schon in der Schulzeit gerne gelesen und mich für die deutsche Literatur interessiert. Eine Fremdsprache sollte dazukommen, und der Tipp für Russisch kam von meinem Vater, der fast fünf Jahre in russischer Kriegsgefangenschaft war. Er hat seinem jüngsten Sohn, dem vierten von vier Kindern, das bin ich, diese Empfehlung gegeben. Er meinte: „Du hast ein Faible für Fremdsprachen – warum nicht Russisch?“  An der Universität Göttingen konnte man Russisch von Anfang an  studieren. Es war nicht  einfach, aber ich habe es nie bereut.

Sie haben lange im Ausland gearbeitet, insbesondere in Russland. Was hat Sie dazu bewogen?

Wenn man eine Fremdsprache spricht, ist es für mich nur natürlich, auch eine Zeit lang in dem Land zu leben, in dem sie gesprochen wird.  Ich habe nie verstanden, wie Lehrer beispielsweise  Englisch oder Französisch unterrichten können, ohne längere Zeit in einem entsprechendem Land verbracht zu haben. Ich war mehrere Jahre in der Ukraine, in Russland und auch eine Zeit lang in Kasachstan. Das war  bei mir so, dass es immer hin und her ging. Es war immer eine Mischung von Fernweh und Heimweh. Wenn ich im Ausland war, habe ich irgendwann Heimweh bekommen und wenn ich zu Hause war, habe ich irgendwann wieder Fernweh bekommen. 

Wie kam es schließlich zum Wechsel nach Rumänien?

Das war eher ein Zufall. Seit 2022 sind die deutsch-russischen Beziehungen durch den Krieg, den Russland in der Ukraine führt, auf einem Tiefpunkt. Alle deutschen Lehrkräfte in Russland – ich war bis 2023 dort – wurden  abgezogen. Ich hatte zwar noch einen Vertrag mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZFA) als Fachberater in Moskau, hätte aber auch in den deutschen Schuldienst zurückkehren können. Dann kam die Anfrage, ob ich die Stelle in Temeswar übernehmen wolle. Ich habe mich mit meiner Frau abgesprochen, darüber nachgedacht -  und schließlich zugesagt,  obwohl ich Rumänien kaum kannte. 

Wie blicken Sie auf Ihre Zeit in Russland zurück? 

Ich blicke  sehr positiv auf diese Zeit zurück. Das, was ich mache, hat mich in Russland auch an Schulen geführt und ich habe mit Lehrern und mit russischen Schülern dort zusammengearbeitet. Das war eine sehr vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit. Ich denke, das sehen meine russischen Kolleginnen und Kollegen genauso. Ich glaube, dass wir eine gute und wertvolle Arbeit leisten, denn unsere Arbeit verbindet Menschen und Länder –  das ist immer etwas Gutes. Persönlich bedauere ich das, dass ich meine Arbeit dort beenden musste, aber aus einer übergeordneten politischen Perspektive kann ich das natürlich verstehen.  Was ich vermisse, lässt sich vielleicht ganz einfach sagen. Es ist so, dass dadurch, dass ich die Sprache sehr gut beherrsche und meine Frau auch Russin ist –  ich mich dort zu Hause gefühlt habe. Das ist ein Gefühl, das mir in Rumänien noch abgeht. Das mache ich persönlich an der Sprache fest. Ich habe jetzt erst angefangen, Rumänisch zu lernen und habe auch nicht in dem Maße die Zeit, wie ich mir das wünschen würde, um die Sprache zu erlernen. Für mich gehört das aber dazu, zu einem Gefühl, sich irgendwo zu Hause zu fühlen, dass man die Sprache des Landes spricht, indem man sich aufhält.

Waren Sie positiv überrascht im Allgemeinen als Sie nach Rumänien kamen?

Doch schon. Es ist klar, jeder läuft  mit seinen gut gepflegten Vorurteilen durch die Gegend.  Wenn man ein Land nicht kennt, so wie das bei mir der Fall war, dann hat man natürlich auch gewisse Vorstellungen, die einen zum Teil einfach in die falsche Richtung führen. Also Straßenverhältnisse: Mir war klar, ich würde viel fahren müssen. Ich bin  jetzt auch hier in Sathmar unterwegs und die Strecke ist eine, wo man schon ein bisschen Zeit braucht. Aber das liegt nicht an den schlechten Straßen. Die Straßen sind gut. Das war für mich eine große Überraschung. Es war mir auch nicht klar, dass ich als Deutscher hier einen Lidl habe und ein Kaufland. Und schließlich, es war mir auch nicht klar, dass ich eigentlich die Sprache brauche, um mich zu Hause zu fühlen, aber ich brauche die Sprache eigentlich nicht, um mich verständlich zu machen, weil viele Leute Englisch sprechen und in Temeswar  sogar  viele Leute Deutsch. Also das waren  so die drei Hauptpunkte, wo ich sage, das war eine Überraschung.

Welche Unterschiede sehen Sie im Deutschunterricht zwischen Russland und Rumänien?

Ich unterrichte selbst nicht viel, da ich als Fachberater nicht einer einzelnen Schule zugeordnet bin, sondern über 20 Schulen in zehn Orten betreue. Ich betreue Schulen im Westen und Nordwesten Rumäniens, Temeswar,  Reschitza, Lugosch, Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare. Also alles, was im Banat ist und dann im Norden über Arad und Großwardein/Oradea bis Sathmar, Neustadt/Baia Mare und hoch nach Oberwischau/Vi{eu de Sus. Es ist ein relativ großes Gebiet, was da zu bereisen und zu bearbeiten ist. Der augenfälligste Unterschied ist, dass es in Rumänien Schulen gibt, die Deutsch als Muttersprache auf ihre Fahne geschrieben haben – auch wenn es kaum noch muttersprachliche Schüler gibt. Das war in Russland ganz anders. In Russland gibt es da einfach ein anderes System. Das deutsche Sprachdiplom, das ich hier vertrete,  ist etwas, woran ich mich auch immer noch gewöhnen muss, ist fast an jeder Schule anders aufgehängt. Das DSD ist hier an jeder Schule unterschiedlich eingebunden. Manche haben es gut ins Curriculum integriert, andere weniger. Manche Schulen erreichen nur das DSD I, andere auch das DSD II. Ich muss mich in diese unterschiedlichen Strukturen erst einarbeiten, um gezielt unterstützen zu können. 

Was denken Sie über die deutschen Schulen in Rumänien und  deren Zukunft?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Viele Lehrer sagen mir: „Wir sind eine Schule mit Deutsch als Muttersprache.“ Aber die Schüler haben Deutsch nicht als Muttersprache. Daraus wird oft gefolgert, dass bestimmte Niveaus schwer erreichbar sind.  Ich antworte dann: Entscheidend ist nicht die Muttersprache. Das erleichtert natürlich vieles, wenn es so ist, aber es ist in erster Linie abhängig davon, wie viele Stunden Deutsch die in der Woche haben. Wenn Deutsch als zweite Fremdsprache von zwei auf eine Stunde reduziert wird, wird das Niveau zwangsläufig sinken. Eine Stunde pro Woche reicht nicht aus, um Niveau A2 oder B1 zu erreichen. Ansonsten, wir haben das Glück, dass wir als Fachberater mit Schulen zusammenarbeiten, die sich mehr oder weniger auf die deutsche Sprache spezialisiert haben, ohne dass es Spezialschulen für Deutsch wären. Wir befinden uns ja im Augenblick auch an einer solchen hier in Sathmar. Wenn ich sehe, mit welchem Engagement die Deutschlehrer hier arbeiten und sich an der Lehrerfortbildung und anderen Maßnahmen, die wir anbieten, beteiligen, sind die Perspektiven gut. 

Wie ist die Zusammenarbeit mit den Lehrkräften und Schulleitungen vor Ort?

Sie beginnt gerade erst. Also ich bin jetzt ein halbes Jahr da und ein halbes Jahr ist schon viel Zeit. Einerseits ist das auch nicht ganz unrichtig, wir haben ja auch schon Prüfungen zusammen gehabt und haben auch in Prüfungen schon zusammengearbeitet. Auf der anderen Seite, weiß nicht, ob es verwundert oder nicht, die Basis für das, was ich mache, ist Vertrauen. Wenn wir deutschen entsandten Lehrkräfte hier in Rumänien mit Ortslehrkräften zusammenarbeiten, dann müssen wir in der Arbeit einander vertrauen. Vertrauen kriegt man im besten Fall geschenkt, aber in der Regel muss man es sich erarbeiten und dafür ist ein halbes Jahr noch nicht so viel. Wir sind aber auf einem guten Weg. Ich bin da zuversichtlich.

Gibt es Verbesserungsmöglichkeiten?

Je mehr das deutsche Sprachdiplom, das wir vertreten, verankert im Curriculum des Gastlandes ist, desto besser ist es. Das ist eine Faustregel. Wenn wir die Zusammenarbeit in so eine Richtung entwickeln, dann bin ich froh. Das ist aber nicht immer so. Ich verstehe natürlich auch, dass es einen Lehrplan gibt und dass die Schüler sehr viel Zeit investieren müssen, um den Erfordernissen gerecht zu werden, denen sie an einer rumänischen Schule gerecht werden müssen. Das DSD ist für die Schüler in der Regel immer noch etwas, was zusätzlich oben drauf kommt. Und was zusätzlich oben drauf kommt, das ist häufig am Nachmittag. Wenn junge Menschen am Nachmittag ihr Leben leben wollen, dann müssen sie zu Hause die Hausaufgaben machen und sie möchten auch noch ein bisschen Freizeit haben und ihre sportlichen Aktivitäten oder sonstigen Aktivitäten erledigen. Wenn es dann heißt, jetzt ist aber DSD-Unterricht, dann weiß ich: Das ist immer zusätzliche Arbeit und es ist in der Regel nicht einfach, die Schüler dafür zu gewinnen und klar zu machen, dass sie das in der Zukunft gut gebrauchen können.

In Rumänien wird darüber diskutiert, ob Schüler und Eltern Lehrer bewerten sollten. Was halten Sie davon?  

Es gibt Argumente dafür und dagegen. Ich glaube, dass manch-mal Eltern und Schüler die pädagogische Arbeit doch nicht so gut beurteilen können, wie sie das eigentlich müssten, um ein gutes Urteil über diese Arbeit abgeben zu müssen. Ich weiß aus meiner Erfahrung als Lehrer und auch als Koordinator an einem deutschen Gymnasium, dass Reaktionen von Eltern und von Schülern manchmal doch sehr emotionale Reaktionen sind und Werturteile, die gesprochen werden, auch aufgrund von Emotionen gesprochen werden. Das ist menschlich, aber es führt nicht zu einer objektiven Bewertung. Es wird ständig bewertet an der Schule. Auch Eltern und Schüler bewerten die Arbeit der Lehrer in unterschiedlicher Form. In Deutschland z.B. durch Wahl. Wenn ich als Schüler die Möglichkeit habe, in der Oberstufe drei Kurse zu wählen, dann weiß jeder sofort, warum der eine Lehrer 60 Anwahlen hat und der andere Lehrer hat nur fünf. Jeder versteht, was der Hintergrund davon ist. Und wenn man das noch auf so einer offiziellen Ebene macht, dann ist es noch eine Bewertung mehr. Und mit der Bewertung muss ja auch umgegangen werden. In Deutschland haben wir ein System von verbeamteten Lehrern in den alten Bundesländern und Angestelltenlehrern in den neuen Bundesländern. Wie geht man mit einer Bewertung um, wenn ein Lehrer eine schlechte Bewertung bekommt?  Wird er entlassen? Also das ist schwierig und deswegen bin ich eher ein bisschen skeptisch.

Was denken Sie über Mediennutzung und Online-Unterricht?

Durch die Pandemie haben wir in einem Maße Erfahrung mit Online-Unterricht gemacht, die fast ein bisschen über das hinausging, was wir uns eigentlich wünschten. Ich kann es für Russland und für Deutschland beurteilen. Aus dieser Zeit stammen viele Dinge, die überhaupt die Fähigkeit von Online-Unterricht an Schulen angeht, die gut sind und die man auch nutzen kann und die auch vor der Pandemie schon wichtig gewesen wären, um die sich aber nie jemand gekümmert hat, weil es nicht nötig war. Plötzlich waren wir vor diese Situation gestellt und vieles ist passiert, was gut war. Online-Unterricht kann viel – aber Interaktion funktioniert in Präsenz einfach besser. Ich nehme mal ein Beispiel hier in Rumänien. Wir haben einen Wettbewerb, der heißt Jugend debattiert. Den haben wir zum Teil als Online-Wettbewerb und zum Teil als Präsenzwettbewerb. Und das ist ein Wettbewerb, der ganz essentiell davon lebt, dass die Menschen einander begegnen. Eine Debatte lebt vom Austausch von Menschen, die sich in einem Raum befinden und miteinander interagieren. 

Welche Eindrücke haben Sie über diese Schule hier und die Lehrkräfte?

Sehr gute. Also wenn ich mal einen etwas kriegerischen Begriff benutzen darf, es gibt zwei Schulen in meinem Bereich, die ich als Flaggschiffe bezeichnen würde. Ein Flaggschiff ist das Schiff, das mit vollen Segeln voransegelt sozusagen. Und da ist die Ettinger-Schule eine von zwei Schulen in meinem Bereich, die Flaggschiffe sind. Also in jeder positiven Art meine ich das. Das betrifft auch die Kollegen, die ich kennenlernen durfte hier. Dass mein erstes Seminar, was ich jetzt außerhalb von Temeswar mache, hier in Sathmar an dieser Schule stattfindet, ist kein Zufall. 

Sehen Sie eine Möglichkeit dafür, dass das Ettinger-Lyzeum in Sathmar einen deutschen Gastlehrer bekommt?

Das ist ein Herzenswunsch von mir und wir hatten auch jemanden, der hier arbeiten wollte, aber leider ist die Kollegin in Deutschland aus persönlichen Gründen abgesprungen. Ich bin mit der ZFA eng in Kontakt, was diese Frage angeht. Wir sind jetzt wieder am Anfang von unserem Gespräch angelangt. Warum? Weil das, was für mich galt, nämlich dass Rumänien nicht auf meiner persönlichen Landkarte war, auch für viele andere Lehrer in Deutschland gilt. Deswegen bewerben sich viele bei der ZFA, aber Sathmar ist dann eher zweite oder dritte Wahl. Die Leute wissen ja auch nicht, worauf sie sich einlassen, denn sie kennen die Stadt nicht. Also es ist nicht einfach, aber wir arbeiten daran!