Auf den Schäßburger Kulturtagen, die von Freitag, den 30. Mai bis Sonntag, den 1. Juni stattfanden, wurde auch in diesem Jahr ein facettenreiches Kulturprogramm mit thematischen Vorträgen, Ausstellungen und Beiträgen von Jugendlichen geboten. Das gemeinsame Feiern und Gedenken fand auf dem Vorplatz des Venezianischen Hauses im Herzen der Stadt und im Rathaus statt und zog drei Tage lang Besucherinnen und Besucher von nah und fern an.
Vor über zwei Jahrzehnten begann das Forum in Schäßburg mit den ersten Schäßburger Kulturtagen – seitdem sind sie aus dem Kulturkalender der Stadt nicht mehr wegzudenken. In den ersten Jahren seien es zunächst Themen gewesen, die besonders die Siebenbürger Sachsen interessierten, und die Veranstaltung sei ausschließlich in deutscher Sprache durchgeführt worden, so der Vorsitzende des Schäßburger Forums, Stefan Gorczyca, in seiner Eröffnungsrede am Freitagnachmittag. „Doch längst haben sich die Kulturtage zu einer Veranstaltung gewandelt, die auch die rumänisch sprechende Mehrheitsbevölkerung anspricht, da die interessanten Beiträge nun schon seit Jahren übersetzt werden. Die Themen werden bewusst so ausgewählt, dass sie von Interesse für viele sind.“
Zum Auftakt des Programms spielte die Bläsergruppe des Deutschen Forums Schäßburg unter der Leitung von Theo Halmen vom Balkon des Stundturms. Nach den Eröffnungsreden gestaltete die Kindertanzgruppe „Burgspatzen“ unter der Leitung von Martha Szambothy und Waltraut Schuster mit mehreren Tänzen die feierliche Eröffnung. Gemeinsam mit den Burgspatzen hatte auch die Jugendtanzgruppe des Schäßburger Forums ihren Auftritt vor zahlreichen Interessierten, die sich auf dem Platz versammelt hatten.
Mit einem eingängigen Eröffnungsvortrag von Crista und Viorel Rusu „Ursachen und Auswirkungen der Überschwemmungen in der Geschichte Schäßburgs“ begann das Programm im Rathaus: Dabei kamen die klimatischen Bedingungen, die Lage Schäßburgs an der Großen Kokel, aber auch die Brücken in der Stadt, deren Standorte teilweise seit dem 17. und 18. Jahrhundert gleich geblieben sind, zur Sprache. Brücken wie die „Wenchbrücke“ oder die „Baiergässerbrücke“ besaßen Klapptore, die bei Hochwasser geöffnet werden konnten. Heute lassen sich erste Hinweise auf Überschwemmungen bereits im 16. Jahrhundert finden – insgesamt können laut den historischen Forschungen der Rusus 24 große Überschwemmungen in Schäßburg gezählt werden. Seit dem letzten großen Hochwasser im Jahr 1975 ist die Stadt verschont geblieben: Dies sei unter anderem durch die Errichtung von Rückhaltebecken, Erddämmen und Betonmauern möglich geworden, so Crista Rusu.
Am Abend folgte die Eröffnung der Ausstellung „Schäßburg im Zeichen der Flutkatastrophen“, die von Peter Ambrosius kuratiert worden war: Zu sehen war eine allgemeine Gesamtschau über die Kokel, über die Brücken und Wehre sowie Fotografien von den Hochwasserkatastrophen aus den Jahren 1913, 1932, 1970 und 1975. Zeitungsberichte aus dem Neuen Weg sowie Bücher, Zeitschriften und Broschüren zum Thema konnten eingesehen werden. Auch ein kurzer Film war zu sehen, gedreht von einem deutschen Touristen, der sich 1975 zufällig in Schäßburg befand. „Lassen wir die Bilder sprechen“, lud Peter Ambrosius die Besucherinnen und Besucher ein.
Einen besonderen Platz in der Ausstellung nahm der Schäßburger Otto Lurtz ein, der während der Hochwasserkatastrophe im Jahr 1970 mit seinem Boot über 50 Menschenleben rettete. Seinen eigenen Vater konnte er durch einen unglücklichen Zufall nicht mehr retten. Für seinen beispiellosen Mut wurde ihm wurde 2005 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Schäßburg verliehen.
Erinnerungen an die Überschwemmungen in Form eines Presserückblicks und einen kurzen historischen Abriss über die Geschehnisse zu den Überschwemmungsjahren von 1970 (Mai und Juni) und 1975 (Juli) gab Hannelore Baier, die 10 Jahre lang für den „Neuen Weg“ schrieb. Dabei ging sie unter anderem auf das ein, worüber in kommunistischer Zeit nicht berichtet werden durfte: „Nicht erwähnen durfte man damals – was in Retrospektiven erwähnt wird – die humanitäre Katastrophe, das Leiden der Betroffenen, die Traumata und die Riesenverluste für Wirtschaft und Landwirtschaft.“
Der Schülerbeitrag unter der Leitung des Schäßburger Jugendreferenten Kevin Wagner arbeitete die Erinnerungen zweier alteingesessener Schäßburgerinnen, Roswitta Arz und Erika Petre, an die Überschwemmungen von 1970 und 1975 heraus. Drei Schülerinnen und Schüler führten Interviews mit den beiden Zeitzeuginnen und zeichneten diese als Film auf: Durch die persönlichen Erlebnisse erhielt das Publikum eine erweiterte Perspektive auf das Thema.
Diplom-Ingenieur Georg Hügel referierte am Samstag zu bereits ausgeführten Schutzmaßnahmen vor Überschwemmungen und dazugehörigen Systematisierungsarbeiten in Schäßburg: „Die Klimaänderungen sind auch ein besorgniserregender Faktor, die zu immer extremeren Niederschlägen führen, die Hochwasser generieren können. Wie alle Naturphänomene ist auch Hochwasser nicht vorhersehbar, aber das nächste große Hochwasser kommt bestimmt“, schloss Hügel seinen Vortrag.
Abgerundet wurde der zweite Tag des Kulturprogramms mit einer Buchvorstellung: Der Roman „Rubla, Ort ohne Schatten“, der zunächst auf Rumänisch unter dem Titel „Rubla, locul fără umbră“ erschienen war, wurde im Beisein von Autorin Mariana Gorczyca vorgestellt. Das Buch liegt nun in der deutschen Übersetzung von Beatrice Ungar vor, die Passagen auf Deutsch aus dem Buch vortrug.
Der Roman beschreibt das Schicksal des Dorfes Rubla im Bărăgan und der Verschleppten, die im Bărăgan, einem steppenartigen Gebiet zwischen Bukarest und der Donau wohnhaft werden mussten – denn im Jahr 1951 wurden etwa 40.000 Menschen verschiedener Ethnien, darunter deutscher, rumänischer, serbischer, türkischer und mazedonischer Herkunft, aus dem Banat in die Bărăgan-Steppe verschleppt. Die Verschleppung fällt in die Zeit des kommunistischen Rumäniens unter Gheorghe Gheorghiu-Dej und ist auf die Spannungen zwischen Jugoslawien und Rumänien zurückzuführen, derentwegen die rumänische Führung potenzielle „Feinde des Systems“ unschädlich machen wollte. Die Deportation endete erst im Jahr 1956.
Am Sonntagmorgen hielt Stadtpfarrer Bruno Fröhlich den Gottesdienst – anschließend folgte ein gemeinsames Gedenken an Otto Lurtz, dem viele Schäßburgerinnen und Schäßburger ihr Leben verdanken. Mit der Einweihung der neuen Kokelbrücke, die nunmehr den Namen „Otto Lurtz“ trägt, und einem Tanzauftritt der Tanzgruppen aus Sächsisch-Regen/Reghin, Hermannstadt/Sibiu, Mühlbach/Sebeș und Schäßburg/Sighișoara klangen die Kulturtage 2025 aus.