Im Alten Testament wird den Ältesten im Volk befohlen, bei den Jüngeren im Volk die Erinnerung wachzuhalten an die Ereignisse, die für die Gemeinschaft entscheidend waren und sind. Nun: In diesen Tagen wurde wiederholt an den „Vertrag“ erinnert, der am 21. April 1992 „zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ abgeschlossen wurde. Das ist für uns ein sehr wichtiger Vertrag. Durch seine Artikel 15 und 16 wird die Zukunft der deutschen Minderheit Rumäniens zu einem festen Bestandteil dieses zwischenstaatlichen Vertrags. Darum ist es, meine ich, richtig, wenn wir uns heute den Wortlaut dieser beiden Artikel in Erinnerung rufen.
Da wir alle lesen können, kann ich die Zeit des Vorlesens einsparen. Ihr könnt und sollt den Text zu Hause (noch) einmal studieren. Ich möchte aber auf zwei Nuancen des Textes aufmerksam machen, die unsere eigene Tätigkeit, die Aufgaben der deutschen Gemeinschaften Rumäniens, betreffen:
Im Artikel 16/1 werden dem Staate Rumänien „die Schaffung günstiger Bedingungen“ auferlegt „für das Wirken deutschsprachiger Schulen und Kultureinrichtungen“. Diese Bestimmung setzt implizit voraus, dass wir deutschen Minderheitler dieses „Wirken“ sowohl selbst wollen als es auch selbst ausüben.
Im Absatz 2 des Artikels 16 vereinbaren die Vertragspartner Deutschland und Rumänien „konkrete Maßnahmen“, um die deutsche Minderheit „bei der Neugestaltung ihres gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens zu unterstützen“. Auch dieses setzt voraus, dass wir als deutsche Minderheit nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Eigenleben qua deutsche Minderheit gestalten wollen – und es auch gestalten. Es wird uns also eine kollektive, eine korporative Rolle an der Neugestaltung auch der Wirtschaft im Lande ausdrücklich zugemutet. Das sollten wir, meine ich, im Auge behalten.
Der Vertrag vom 21. April 1992 ist ein Vertrag zwischen zwei Staaten. Drei von uns, die heute hier sitzen, haben damals als Vertreter unseres Forums am Abschluss des Vertrags mitwirken können und und haben mitformuliert. Es lag uns dabei durchaus daran, gewisse Nuancen richtig zu pointieren.
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Nun sollten wir als Delegierte der deutschen Minderheit Rumäniens auch über den Tellerrand des Vertrags von 1992 hinausblicken. Darum erinnere ich an einige Voraussetzungen auch dieses Vertrages, die wir nicht vergessen dürfen:
1918: Die Karlsburger „Nationalversammlung aller Rumänen aus Siebenbürgen, dem Banat und Ungarn“ beschließt am 1. Dezember „die Vereinigung dieser Rumänen und aller von ihnen bewohnten Gebiete mit Rumänien“. Dabei verkündet sie „die volle nationale Freiheit für alle mitbewohnenden Völker (popoarele conlocuitoare). Jedes Volk wird den Unterricht, die Verwaltung und die Rechtspflege in seiner eigenen Sprache durch Personen aus seiner Mitte erhalten und jedes Volk wird das Recht der Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung erhalten im Verhältnis der Zahl seiner Volksangehörigen.“ Aufgrund dieser Erklärung erklärten sich damals auch die deutschen Gruppen der Bukowina, Siebenbürgens und des Banats für die Vereinigung mit Rumänien – ein Akt, der bei den Friedensverhandlungen in Trianon ins Gewicht fiel.
1919: Der Minderheiten-Schutzvertrag, Paris, am 9. Dezember, Artikel 11: „Rumänien erklärt sich damit einverstanden, dass den Gemeinschaften (communautés) der Szekler und der Sachsen in Siebenbürgen unter der Kontrolle des rumänischen Staates im Religions- und Schulwesen die örtliche Autonomie gewährt wird.“
1923: Die rumänische Verfassung vom 28. März übergeht die Zusagen der Karlsburger Nationalversammlung und des Pariser Minderheitenschutzvertrags sowohl in ihrem Wortlaut als auch in der Verfassungspraxis.
1940: Durch ein „Deutsch-rumänisches Protokoll“ vom 30. August und ein „Volksgruppengesetz“ vom 20. November verpflichtet sich Rumänien gegenüber dem Deutschen Reich, „die Stellung der deutschen Volksgruppe im Sinne der Karlsburger Beschlüsse zur Erhaltung ihres Deutschtums weiter auszubauen“. Darüber hinaus wird dekretiert, dass „die Deutsche Volksgruppe in Rumänien (mit Billigung des Führers des Nationallegionären Staates) zur Erhaltung und Festigung ihres nationalen Lebens Bestimmungen mit verpflichtendem Charakter für ihre Angehörigen (erlässt)“.
Mit diesen Vertragstexten von 1940, über die natürlich noch viel gesagt werden müsste, geschieht dreierlei: Erstens werden Zusagen eingelöst, die Rumänien 1918 und 1919 bei seiner Staatsgründung gemacht hatte und ganze 22 Jahre nicht eingelöst hatte. Das wäre als Fortschritt zu werten. Zweitens aber wurde über diese Zusagen hinausgegangen in einer Weise, die die Staatshoheit Rumäniens antastete und damit nationales Ärgernis provozierte; und drittens geschah dieses alles auf Druck, nämlich auf den des Deutschen Reiches, und stufte damit die Gemeinschaften der Deutschen Rumäniens in eine Art Vasallenverhältnis zu Deutschland ein, eine Position, die sie bis dahin niemals hatten und die auf die Dauer für sie politisch schädlich sein musste. Dass dieses Deutschland zudem (viertens) dasjenige Hitlers war, führte dann weiter zu den Katastrophen der Waffen-SS-Aushebung, der Verschleppung in die Sowjetunion, der Enteignung und der Entrechtung. Aber eben: Schon die Einstufung der Deutschen Rumäniens als Domäne staatlich-deutschen Einspruchs stellt politisch einen heikles, ein höchst sensibles Problem unserer Existenz dar, ein Problem, dessen sich außer den beiden betroffenen Staaten auch wir als politische Vertreter der Deutschen Rumäniens uns bewusst sein müssen.
Beim „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa“ vom 21. April 1992 war man sich dieser Empfindlichkeiten offensichtlich bewusst. Man merkt es bereits am langen Titel des Vertrags: „Freundschaftliche Zusammenarbeit“ und „Partnerschaft“, „Partnerschaft in Europa“. Deshalb lag uns Vertretern der deutschen Minderheit am 21. April 1992 auch an Nuancen der Vertragsbestimmungen. Und daher müssen wir auch in Zukunft darauf aufpassen, dass wir weder zu bloßen Objekten von Bukarest-Berliner Entscheidungen werden, wie das zu Zeiten des Auswanderungs-Schachers der Fall war, noch in die Isolation ungeschützter Existenz abrutschen. Denn wir wissen, dass wir sehr darauf angewiesen sind, sowohl von Bukarest als auch von Berlin her im Geiste der Partnerschaft freundschaftlich angesehen zu werden und dass wir uns als deutsche Gemeinschaften in Rumänien fähig erweisen müssen zur Zusammenarbeit in Europa – sowohl mit Bukarest als auch mit Berlin, aber auch mit Wien und selbst mit Brüssel.
Daran hatte ich heute zu erinnern.