Das von Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Spanien betriebene Projekt „Tramontana Network III“ hat einen der drei Großen Preise für das Europäische Kulturerbe 2020 gewonnen.
Es verfolgt das zweifelsohne edle Ziel der Erforschung des materiellen und immateriellen Erbes europäischer Bergregionen, kann aber die zwei weiteren Projekte, die am 10. November von der internationalen Nichtregierungsorganisation „Europa Nostra“ mit zu Trägern des Großen Preises 2020 ausgerufen wurden, nicht überbieten: Dass die polnisch-spanische Ausstellung „Auschwitz. Not long ago. Not far away“ („Auschwitz. Nicht vor langer Zeit. Nicht weit weg“) den Sieg in der Wertung „Education, Training and Awareness-Raising“ („Bildung, Ausbildung und Sensibilisierung“) davonträgt, ist für Europas kulturelle Auseinandersetzung mit sich selbst bestimmt mindestens genauso wichtig wie die Bewahrung von montanem Natur- und Kulturerbe, nicht nur in den Alpen und Pyrenäen.
Und den Wettstreit um den Preis der Wertung „Conservation“ („Erhalt“) für sich entschieden hat die vor nunmehr drei Jahren abgeschlossene Restaurierung der Basilika Santa Maria di Collemaggio in der italienischen Provinzhauptstadt L’Aquila, was dem Projekt „Tramontana Network III“ an Bedeutung gleichfalls nicht nachsteht und zur Schließung einer Wunde beiträgt, die das Erdbeben in den Abruzzen vom 6. April 2009 gerissen hatte. Forschung (Wertung „Research“), Erhalt, Bildung, Ausbildung und Sensibilisierung – alte Tugenden, auf die Europa sich auch im 21. Jahrhundert stützen sollte.
Knappe vier Wochen nach der Großen Preisvergabe 2020 von Europa Nostra hat das pro-europäisch orientierte Wählerlager Rumäniens am Tag des politischen und nicht zuletzt auch kulturellen Lackmustests schlecht ausgesehen. Eine tief gespaltene Bevölkerung kann es gut gebrauchen, von außen Mut zugesprochen zu bekommen. Genau das ist am 10. November geschehen. Denn der Publikumspreis der Europa Nostra ging an den Verein „Ambulanța pentru Monumente“ des Architekten Eugen Vaida.
Was aktuell auf dem Bukarester Politparkett abgeht, tut dem Image Rumäniens keinen guten Dienst, war aber wohl nicht anders zu erwarten. Auch wenn der Name des neuen Premierministers und die nominelle Besetzung seines Kabinetts entgegen aller Prognosen schon zu Weihnachten feststehen sollten (zum Zeitpunkt des Erscheinen dieses Textes dürfte Gewissheit bestehen), dürfte die Frage nach der kulturpolitischen Selbstverwaltung Rumäniens weiterhin eher mit Unbehagen statt Zuversicht zu beantworten sein. Die Zeiten eines Andrei Ple{u oder Ion Caramitru im Kulturministerium liegen viel zu weit zurück, als dass man noch heute von ihrem Kredit zehren könnte – dieser ist schon längst verspielt worden.
Nicht von Architekten wie Eugen Vaida und Vereinen wie „Am-bulan]a pentru Monumente“, aber dafür von jenem Rumänien, das es bis heute noch immer nicht fertiggebracht hat, einen neuen Konzertsaal zu bauen oder die Große Synagoge von Konstanza/Constanța vor ihrem Verfall zu retten.
Eugen Vaida wohnt in Alzen/Alțîna im Harbachtal/Valea Hârtibaciului und ist Vorsitzender des 2012 gegründeten Vereins Monumentum. Der daraus hervorgegangene Tochterverein „Ambulanța pentru Monumente“ macht sich seit vier Jahren an Kulturgütern im gesamten Rumänien zu schaffen, die Dobrudscha ausgenommen.
Das Vereinslogo in den Farben Schwarz, Weiß und Rot stammt von Dan Perjovschi und zeigt auf denkbar einfache Art und Weise, worin der selbsternannte Auftrag des „Rettungswagens für Baudenkmäler“ besteht: in Feuerwehreinsätzen. Für Eugen Vaida spielt es keine Rolle, ob er und seine Mitstreitenden siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen, orthodoxen Kirchen aus dem 14. Jahrhundert oder alten Bahnhofsgebäuden, die nicht mehr an einer Bahnstrecke stehen, auf die Pelle rücken. Ein kranker Patient hat Anspruch auf Stütze. Rumänien aber vereint so viele Kranke auf seinem Terrain, dass ein Rettungswagen allein nicht allen aus der Patsche helfen kann.
Die große Nachricht, dass die „Ambulanța pentru Monumente“ den Publikumspreis für das Kulturerbe 2020 der NGO Europa Nostra gewonnen hat, bringt nicht nur Genugtuung mit sich. Was hätte Rumänien anders anstellen müssen, um international nicht durch Feuerwehreinsätze aufzufallen? Der Preis für Eugen Vaida und Team verstärkt die Bringschuld sämtlicher Teilgemeinschaften Rumäniens.
Noch im Sommer 2017 hatten Eugen Vaida und ein zehnköpfiges Freiwilligen-Team der „Ambulan]a pentru Monumente“ an der Renovierung von Dachgestühl und Dachhaut der evangelischen Kirche von Alzen mitgearbeitet. Für die technisch anspruchsvolle Arbeit vor Ort war eine Mannschaft unter der Leitung von Ernst Linzing aus Malmkrog/Mălâncrav angeheuert worden. Der Löwenanteil der erforderlichen Geldmittel stammte aus den Kassen der Münchner Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung und der Heimatortsgemeinschaft (HOG) emigrierter Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde A.B. in Alzen.
Nicht zu vergessen auch die Handschrift von Kuratorin Rosemarie Müller und das große Herz von Hans Tekeser, Geschäftsführer der Alzner Automotive GmbH.
Wer jemals das Dach über dem eigenen Kopf von Profis hat rücken oder komplett neu decken lassen, kennt bestimmt jene Faustregel, derzufolge ein sicher vor Wind und Wetter schützendes Dach ein Drittel des Werts der darunter stehenden Immobilie ausmacht. Vier Jahre vor der Ausbesserung des Dachs der evangelischen Kirche von Alzen war der Abschluss der Renovierung dreier Wehrtürme und der Burgmauer ringsum gefeiert worden, die ebenfalls Ernst Linzing und seine Malmkroger Mannschaft bewerkstelligt hatten.
Die nächste Aufgabe in Sachen Reparatur steht unmittelbar bevor. Wer aus dem Umkreis der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) wird diesmal am siebenbürgisch-sächsischen Kulturgut der erstmals 1291 urkundlich erwähnten Ortschaft Alzen Hand anlegen dürfen, nachdem der Einsturz der gotischen Gewölbedecke vom 4. November hohen Schaden verursacht hat? Werden Architekt Eugen Vaida und die preisgekrönte „Ambulanța pentru Monumente“ mitreden dürfen?
„Im Dezember folgen Parlamentswahlen, die vierte Wahlschlacht binnen 18 Monaten (…) Einiges von dem, was wir erleben – von hochschnellenden Infektionszahlen über Verwirrung bis hin zu Angst – ist irgendwelchen Regierenden geschuldet, die darauf warten, von ihrer eigenen Zukunft zu erfahren, ehe sie an die Zukunft der Bürger denken“, schreibt Herausgeber Cristian Lupșa in der Ausgabe Nr. 42 (Winter 2020/2021) der unabhängigen Zeitschrift „Decât o Revistă“ (freie Übersetzung d. Red.). Wer aktuell auf kulturpolitische Unterstützung seitens einer Regierung wartet, die sich selbst nur unter Ächzen und Stöhnen formieren kann, riskiert vor dem alles beherrschenden Kontext der Corona-Krise das eigene Vergessenwerden.
Hochkonjunktur haben in Rumänien deswegen die NGOs. Das sehnsüchtig erwartete Regierungskabinett wird in den kommenden vier Jahren in der Bringschuld stehen, sich den Schneid nicht von den bürgerlichen Vereinen abkaufen zu lassen. Die internationale NGO Europa Nostra hat die rumänische NGO „Ambulanța pentru Monumente“ ausgezeichnet.
Am Abend der Preisverleihung verlas Hermann Parzinger, Geschäftsführer von Europa Nostra, eine Nachricht von Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis, der sich auf ein Zitat beruft, das dem Gründervater der Europäischen Union, Jean Omer Marie Gabriel Monnet (1888-1979), zugeschrieben wird: „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen.“