Der 1960 in Bukarest geborene Regisseur, Schauspieler und Drehbuchautor Nae Caranfil ist seit seinem Filmdebüt „È pericoloso sporgersi“ (Nicht hinauslehnen) aus dem Jahre 1993 nicht nur für seinen unnachahmlichen cineastischen Humor bekannt, bei dem herzhaftem Lachen immer ein Gran Bitterkeit beigemischt ist und bei dem Komödiantisches nicht selten ins Abgründige umschlägt. Der vielfach ausgezeichnete Filmdirektor ist vor allem auch dafür bekannt, dass er sich, wohlgemerkt auf humoristische Weise, Themen der rumänischen Vergangenheit und Gegenwart annimmt. In „Filantropica“ (Die Philanthropische) aus dem Jahr 2002 nimmt Caranfil das Bukarest des 21. Jahrhunderts und seine schillernde urbane Fauna aufs Korn, in „Restul e tăcere“ (Der Rest ist Schweigen) aus dem Jahre 2008 widmet er sich dem Rumänischen Unabhängigkeitskrieg und dessen erster cineastischer Repräsentation, einem Historienfilm aus dem Jahre 1911.
Auch in Nae Caranfils neuestem Opus „Closer to the Moon“ (Dem Monde näher), das vergangene Woche seine rumänische Filmpremiere erlebte, geht es um ein historisches Ereignis: Um den Bukarester Bankraub des Jahres 1959, bei dem die sogenannte Ioanid-Bande einen Geldtransport der Rumänischen Nationalbank überfiel und dabei eine hohe Geldsumme erbeutete. Auch in dieser schwarzen Komödie beschäftigt sich Nae Caranfil nicht nur mit dem bloßen historischen Faktum, dem spektakulärsten Banküberfall in der Geschichte des Kommunismus überhaupt, sondern zugleich mit dessen filmisch gespiegelter Version. Denn die Bankräuber des Jahres 1959 wurden nach ihrer Verhaftung noch im selben Jahr gezwungen, in einem Film mitzuspielen, in dem sie – nach der Art stalinistischer Schauprozesse – ihre Schuld öffentlich eingestanden und außerdem die wichtigsten Geschehensmomente des Raubüberfalls als Schauspieler ihrer selbst nachzustellen hatten. Der Film mit dem Titel „Reconstituirea“ (Die Rekonstruktion) wurde vom rumänischen Geheimdienst Securitate produziert und anschließend für den internen Dienstgebrauch lediglich ausgewählten Kadern zum Zwecke der Warnung und Belehrung vorgeführt.
Diese filmische Brechung der historischen Realität, die im Abspann mit dokumentarischen Filmausschnitten aus „Reconstituirea“ präsent ist, wird in Caranfils Film noch dadurch potenziert, dass der Bankraub selbst als Filmereignis getarnt erscheint. Die Akteure des realen Raubüberfalls geben vor, nur bei der Produktion eines Gangsterfilms mitzuwirken, während sie in Wahrheit tatsächlich einen Geldtransporter überfallen. Schnell erkennt man, dass diese mehrfache cineastische Brechung der Wirklichkeit, die Inszenierung eines Films im Film im Film, eine sprudelnde Quelle für jegliche Art von Humor darstellt, was durch das Feuerwerk an Pointen, das Nae Caranfil in „Closer to the Moon“ abbrennt und das ununterbrochen auf den Zuschauer herabregnet, bildkräftig unterstrichen wird.
Die solchermaßen ins Unwirkliche und Traumhafte tendierende Filmrealität wird nur noch durch folgende in Caranfils Streifen immer wieder gestellte und auch historisch relevante Frage überboten: Was trieb rumänische Intellektuelle, die sich als antifaschistische Widerstandskämpfer nationale Meriten erworben hatten und zudem wichtige Positionen im Gesellschaftssystem der Volksrepublik Rumänien bekleideten – Alexandru Ioanid war Oberst der Miliz und Schwiegersohn des damaligen Innenministers – dazu, ihr Leben für Geld aufs Spiel zu setzen, mit dem man sich im Kommunismus praktisch nichts kaufen konnte: keine Wohnung, keinen Grundbesitz, keine Reise ins (westliche) Ausland?
Nae Caranfil hat dafür in seinem Film eine doppelte Antwort parat. Er begründet die Aktion in soziologischer Hinsicht durch den latenten Antisemitismus der rumänischen Machthaber, die den Einfluss der Juden – sämtliche Mitglieder der Ioanid-Bande waren jüdischer Abstammung – im rumänischen Staat sukzessive einzudämmen begannen. Und er fundiert die Aktion in psychologischer Hinsicht im ans Absurde grenzenden, fast dadaistisch zu nennenden Lebensgefühl der Bandenmitglieder, die in einem politischen Klima des Freiheitsentzugs besser den Tod als das Leben wählen.
Der Filmtitel spielt dabei auf einen sarkastisch-surrealistischen Vorschlag an, den der Bandenchef Max Rosenthal (alias Alexandru Ioanid) seinen Peinigern macht: Anstelle des Todes durch Erschießen solle man die Bandenmitglieder doch als erste Kosmonauten auf den Mond schießen, wo man unzweifelhaft zwar dasselbe Schicksal wie die unlängst im Weltall verstorbene Hündin Laika erleiden werde, aber immerhin vorher durch einschlägige Berichte von oben herab der Menschheit noch einen letzten Dienst erweisen könne.
Nae Caranfils Film besticht nicht nur durch seine national relevante und politisch bedeutsame Handlung, seinen strahlenden Humor und seine überbordende Situationskomik, sondern insbesondere auch durch seine exzellente Besetzung. Allen voran wäre, wenngleich nur in einer Nebenrolle präsent, David de Keyser zu nennen, welcher den alten Juden Moritz verkörpert, der beständig den Bolschewismus verflucht, an den Gott der Väter wie an die Freiheit glaubt und täglich „Voice of America“ hört. An zweiter Stelle wäre Mark Strong als Max Rosenthal zu nennen, der den einzigen Nachteil hat, Andy García zum Verwechseln ähnlich zu sehen, was durch die Maske leider noch unterstrichen wird.
Auch alle anderen männlichen Bandenmitglieder sowie das einzige weibliche Bandenmitglied namens Alice (Vera Fermiga) sind hervorragend besetzt. Desgleichen verdienen Allan Corduner als ständig betrunkener Filmregisseur Flaviu, Harry Lloyd als sein Kameraassistent Virgil sowie Anton Lesser als Securitate-Offizier Holban lobend hervorgehoben zu werden. Rumänische Schauspieler erscheinen in diesem in englischer Sprache gedrehten Film leider nur in Kleinst-, Kürzest- oder Statistenrollen, mit Ausnahme von Monica Bârlădeanu in der Nebenrolle als Max Rosenthals Gattin Sonia, ohne allerdings auch nur entfernt an das Niveau ihrer vornehmlich britischen Mitakteure heranzureichen.
Nae Caranfils Film überzeugt schließlich auch durch die historisch korrekte Inszenierung der Stadt Bukarest und der rumänischen Verhältnisse Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, selbst wenn die Hauptakteure des Films für die damalige Zeit viel zu wohlgenährt aussehen. Die Musikeinlagen mit rumänischen Schlagern und Trinkliedern bringen zudem echtes Lokalkolorit. Weniger gelungen ist dagegen das Porträt der neuen Führungsschicht des Arbeiter- und Bauernstaats, die die überlebte Bourgeoisie abzulösen sich anschickt. Was dem Film in der Sphäre der Handlung nicht gelingt, versucht er im Bereich der Sprache wettzumachen. Die verschiedenen Gesellschafts- und Kulturschichten werden durch sprachliche Differenzierung innerhalb des englischen Idioms durchaus gelungen zu unterscheiden gesucht.
Der Film „Closer to the Moon“ wird als multinationale Koproduktion im In- und Ausland gewiss großen Erfolg haben, nicht zuletzt auch wegen seiner Musik und seinem von Laurent Couson verantworteten exzellenten Sound-Design. Das Hauptverdienst gebührt freilich dem Regisseur und Drehbuchautor Nae Caranfil, dessen nächstes Filmprojekt wir schon jetzt gespannt erwarten.