Von Menschen besiedelt ist Orheiul Vechi (Alt-Orhei) wahrscheinlich schon seit etwa 30.000 Jahren. Die ältesten Siedlungsspuren der Cucuteni-Tripolje-Kultur werden auf etwa die zweite Hälfte des fünften Jahrtausends vor der Zeitenwende datiert. Sowohl für die Geten als auch die Goldene Horde und schließlich das mittelalterliche Moldau war es das wichtigste politisch-militärische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Region. Heute ist dieses historische Siedlungsgebiet, insbesondere aufgrund eines orthodoxen Höhlenklosters, der wohl bekannteste touristische Anziehungspunkt in der Republik Moldau – neben den unterirdischen Weinkellern von Milești Mici und Cricova. Von Menschen überlaufen ist der „Museumskomplex der mittelalterlichen Stadt Orhei“ – wie Orheiul Vechi von der moldauischen Tourismusbehörde bezeichnet wird – trotzdem nicht. Auch im Sommer lässt es sich einsam durch die spektakuläre Landschaft um die kleinen Ortschaften Trebujeni, Butuceni und Morovaia im Zentral-Moldawien streifen.
Die „Archäologische Landschaft von Orheiul Vechi“ – wie das Gebiet von der UNESCO genannt wird – umfasst die kaum mehr erkennbaren Geten-Festungen (6.000 bis 3.000) auf dem Butuceni-Hügel und der Mașcăuți-Höhe sowie die zunächst mongolisch-tatarische Stadt Schehr al-Jadid (1330 bis 1369) und daraufhin moldauische Festung Orhei (1370 bis 1540) auf dem Peștera-Hügel. Um die Hügel, welche im Norden von Trebujeni und im Süd-Osten von Morovaia begrenzt werden, windet sich durch zwei Täler in einer doppelten engen Schlaufe der Fluss Răut. Die an seinen Ufern mit Gras bewachsenen Hügel und Kalksteinfelsen erreichen eine Höhe von bis zu 180 Metern. Aufgrund der günstigen klimatischen Bedingungen, der geomorphologischen Vielfalt sowie der mineral- und wasserreichen Böden zeichnet sich Orheiul Vechi durch eine vielfältige und reiche Flora aus. Auch sind insgesamt 91 Vogelarten dokumentiert. Bereits seit 2007 ist Orheiul Vechi für die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes vorgesehen.
Die ungewöhnliche Formung der Landschaft ermöglichte schon im frühen Altertum den indo-europäischen Geten eine leichtere Verteidigung ihrer Festungen. Darüber hinaus machte den Ort auch die Verbindung über den Răut in das heute nördliche Moldawien und über den Dnjestr/Nistru in das Schwarze Meer schon früh zu einer günstig gelegenen Siedlung entlang der Handelsroute zwischen dem nordöstlichen Karpatenraum und dem Schwarzmeer-Becken. Das Gebiet mit seiner 3,5 Kilometer Ost-West- und 1,5 Kilometer Nord-Süd-Ausdehnung ist damit ein einzigartiger natürlicher und historischer Komplex, der Naturlandschaft und die Spuren antiker Zivilisation miteinander verbindet. Die archäologischen Überreste in der Landschaft zeigen sehr intensive demografische und kulturelle Eingriffe, wo Völker und Kulturen aus Regionen zwischen China und den Karpaten sowie Anatolien und dem Ostsee-Raum zusammengekommen sind.
„Die vielen religiösen Gebäude, die in der Landschaft freigelegt wurden – Schreine, Tempel und Klöster – zeigen die Abfolge und das Zusammenleben verschiedener Religionen: Heiden, Muslime, Christen; während die laizistischen Gebäude orientalische und karpaten-donauische Baustile kombinieren. Menschliche Siedlungen haben die Landschaft durch den Bau der großen Verteidigungsstrukturen und das Graben von über 200 Höhlen und Grotten ebenso wie die dramatische Abholzung der Wälder erheblich verändert“, schreiben die beiden Archäologen Gheorghe Postică und Valerii Kavruk. Sie konstatieren: Die archäologische Landschaft von Orheiul Vechi ist das gemeinsame Werk von Natur und Mensch.
Orheiul Vechi als regionales Zentrum
Im 13. Jahrhundert nach der Zeitenwende eroberten und verwüsteten Mongolen und Tataren die bestehenden frühmittelalterlichen Dörfer und gründeten in der Folge Schehr al-Jadid (Neue Stadt), welche sich in der Folge zum regionalen administrativen, wirtschaftlichen und militärischen Zentrum der Goldenen Horde entwickelte. Ihr Herrschaftsgebiet erstreckte sich in seiner größten Ausdehnung vom westlichen Sibirien bis an die Walachei und Bulgarien.
Mit der Auflösung beziehungsweise Spaltung der Goldenen Horde zogen sich Mongolen und Tataren am Ende des 14. Jahrhunderts auch aus Bessarabien zurück. In der Folge entstand unter Stefan dem Großen mit Orhei eine bedeutende moldauische Festung, die allerdings auf türkischen Druck im 15. Jahrhundert wieder zurückgebaut werden musste. Das Osmanische Reich dominierte in dieser Zeit große Gebiete zwischen Armenien und Ungarn. Die nun ländliche Siedlung auf dem Peștera-Hügel wurde schließlich im 18. Jahrhundert zugunsten der umliegenden Dörfer komplett aufgegeben. Vermutlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstand das noch heute existierende Höhlenkloster Peștera auf dem Butuceni-Hügel.
Die Höhlenkloster von Orheiul Vechi
Das Peștera-Höhlenkloster ist heute der wohl bekannteste touristische Anziehungspunkt für Orheiul Vechi. Die 460 Quadratmeter große Anlage befindet sich leicht östlich der weithin sichtbaren orthodoxen Marienkirche und besteht aus einem ehemaligen Grottensystem, Einsiedlerzellen sowie einem Klosterzentrum, die etwa 40 Meter über dem Răut in die Felswand geschlagen sind. Ab 1816 funktionierte die Anlage auch als Pfarrkirche für Butuceni. Zu diesem Zweck wurde 1822 vom Dorf aus ein Durchgang zu ihr gegraben. Zuvor erfolgte der Zugang über steile Wege in der Felswand. Oben auf dem Hügel deutet ein Steinkreuz aus dem 17. oder 18. Jahrhundert sowie ein Glockenturm von 1822 auf das Höhlenkloster hin. Ab 1904 wurde die Kirche dann nur noch zu hohen Feiertagen geöffnet und 1946 ganz geschlossen. Seit 1996 wird es von einer orthodoxen Klostergemeinde allerdings wieder genutzt. In der Felswand befinden sich außerdem 72 von Menschen gefertigte und 63 natürliche Höhlen sowie 9 Höhlen, die auf Spuren menschlicher Aktivität schließen lassen. Die ältesten Höhlen wurden wahrscheinlich im 15. Jahrhundert in den Kalkstein geschlagen und dienten den Mönchen als Schutzräume. In einigen deuten die Grundrisse zudem auf eine Nutzung als Gebetsstätte hin. Des Weiteren sind in die Höhlenwände religiöse Texte und Symbole eingraviert, die frühesten stammen aus dem Mittelalter. Weitere rund 120 Karstgrotten befinden sich im zentralen und östlichen Teil der Felswand.
Etwa 1,5 Kilometer östlich des Peștera-Klosters liegt dann auch ein weiteres Höhlenkloster. Bei dem Bosie-Pârcălab-Höhlenkloster handelt es sich allerdings um einen relativ archaischen Komplex, der aus einer Felsenkirche und neun Klosterzellen besteht und sich lediglich 25 Meter über dem Fluss befindet, von welchem er auch zugänglich ist.
Anreise, Übernachtung, Sehenswürdigkeiten
Von der Stadtgrenze der bessarabischen Hauptstadt Kischinew/Chișinău liegt Orheiul Vechi keine 50 Kilometer entfernt. Dabei sind die ersten 30 Kilometer über die modernisierte und zweispurig ausgebaute Schnellstraße zurückzulegen, die restlichen 20 Kilometer führen über eine intakte Landstraße. Als Ausgangspunkt für Wanderungen durch das über fünf Quadrat-Kilometer umfassende Gebiet sowie zur Besichtigung des Peștera-Höhlenklosters empfiehlt sich das Dorf Butuceni. Hier besteht auch die Möglichkeit, in modernisierten rustikalen Gasthäusern zu übernachten. Weitere Übernachtungsmöglichkeiten finden sich in Trebujeni, was in Luftlinie etwa einen Kilometer nördlich von Butuceni liegt. Morovaia wiederum ist am besten über die hinter Brănești folgende Abfahrt nach Mașcăuți zu erreichen. Sowohl von Mașcăuți als auch von Trebujeni gibt es eine Busverbindung in die Rajon-Hauptstadt Orhei. Eine Wanderung vom Parkplatz am Rande von Butuceni über den Hügel nach Trebujeni und zurück über die Landstraße – vorbei an den Ruinen des tatarischen Bades und der moldauischen Festung – hat eine Länge von etwa zehn Kilometern. Von Osten aus eröffnet sich dabei ein beeindruckender Ausblick über den zentralen Peștera-Hügel, wo sich auch letzte Überreste einer Moschee, einer christlichen Kirche sowie einer Karawanserei finden lassen.