„Willkommen in Vrancea!“ zirpen die Mädchen in schmucken Trachten zur Begrüßung der Reisegruppe des Vereins der Tourismus-Journalisten und -Schriftsteller (AJTR) in Dragosloveni: Eher selten verirren sich Besucher von der „rasenden“ Europastraße zwischen Rămnicu Sărat und Focșani in das Gedenkhaus des Dichters Alexandru Vlahuță. Und auch Focșani, einst geteilte Grenzstadt zwischen den Fürstentümern Walachei und Moldau, ist nicht unbedingt ein prioritätes Ziel. Wenn, dann lockt schon eher die Weinkultur. Doch nicht nur der Rebensaft hat Vrancea geprägt, sondern auch das Blut tausender Soldaten auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Und die glühende geistige Flamme seiner Dichter, Denker und Lenker...
Aus dem staubigen Kasten verblasster Erinnerungen holen wir sie auf unserer Reise ans Tageslicht: die großen und kleinen Geister, die das damals noch blutjunge Rumänien prägten, ein Fürstentum anfangs, das sich erstmal im Krieg bewähren musste, um als unabhängiges Königreich daraus hervorzugehen...
Wein, Lebens- und Dichtkunst
Als Oase und Blumeninsel im weiten Hügelland präsentiert sich das Gedenkhaus von Alexandru Vlahuță in Dragosloveni. Ob man ihn kennt oder nicht, das kleine Museum ist den Abstecher wert. Liebevoll eingerichtet zeigt es originale Möbel und Gegenstände des 1858 geborenen Rumänisch- und Lateinprofessors und Literaten, dessen Werk die Bekanntschaft mit Mihai Eminescu 1884 tief beeinflusst hat. Vlahuță, der für ausladende Treffen mit Freunden – Caragiale, Delavrancea und andere literarische Größen der Zwischenkriegszeit –, Rotwein und anregende Gespräche bis zum ersten Hahnenschrei bekannt war, verbrachte nur wenige Jahre hier: 1916 musste er vor der vorrückenden Front fliehen. Alles, was heute im Museum zu bestaunen ist, wurde auf den Pferdewagen geladen, Ziel: Bârlad. 1958, zum hundersten Geburtstag des Poeten, wurde das zweistöckige Gebäude mit dem weitläufigen Garten, das die Atmosphäre seiner Zeit reflektiert, als Museum eröffnet.
Von Schlachten und Helden
Von weinseligen Festen und Dichtkunst geht es ins Reich der Toten: Die Mausoleen in Mărășești, Mărăști und Soveja erinnern an die Helden Rumäniens im Ersten Weltkrieg. In Mărășești passieren wir auf dem Weg zum Eingang die Statuen legendärer Feldherren – und die von Unteroffizierin Ecaterina Teodoroiu, die im September 1917 bei Panciu als Anführerin eines Infanterie-Plutons heldenhaft ihr Leben ließ. Ein Hologramm im architektonisch beeindruckenden Inneren lässt auch die Geschichte von Mariuca Zaharia, dem Heldenmädchen aus Răzoare, aufleben: Aus dem Graben im Garten des Großvaters beobachtete sie, wie ein rumänischer Soldat von ihrem Nussbaum aus die Frontbewegungen rapportierte, die der Kamerad unten per Telefon weitergab. Als der Soldat vom Baum geschossen wurde, kletterte die Zwölfjährige hinauf und übernahm seine Rolle.
Die Schlacht von Mărășești im Juli und August 1917 dauerte 28 Tage, in denen die rumänische Armee über 27.400 Soldaten (Tote, Verletzte, Vermisste) – 16 Prozent der eingesetzten Truppen – verloren hat. Gemeinsam mit den Russen, die ähnliche Verluste erlitten, sollte die deutsche Offensive zurückgeschlagen werden. Den Gegner traf es mit 60.000-65.000 Verlusten am schlimmsten.
Im Zentrum des Mausoleums mit 154 individuellen und 9 Gemeinschaftskrypten, die die Gebeine von 5073 Soldaten beherbergen, liegt eine orthodoxe Kapelle mit dem Sarkophag von General Eremia Grigorescu. Ein Museum zeigt Exponate aus der Zeit des Kriegs: eine deutsch beschriftete Gasangriffs-Warnglocke und Gasmaske, Uniformen, Waffen, Kommuniques des Königs, Fotos und Zeitungsartikel.
An die Schlacht von Mărăști im selben Zeitraum – nur dass dort die rumänische und russische Armee eine Offensive gegen die deutschen Streitkräfte führten –, erinnert ein Mausoleum, das zwei Stockwerke in die Tiefe führt. Im ersten Untergeschoss zeigt es eine Ausstellung über General Arthur Văitoianu, im zweiten die Sarkophage der Generäle .
An die Opfer aus dem Tal Valea Șușiței erinnert das Mausoleum von Soveja, in dessen Krypten 528 rumänische Helden, aber auch Russen, Deutsche, Österreicher und Ungarn sowie die Gebeine von 1612 unidentifizierten Soldaten ruhen. Den Besuch schwermütig stimmender Gedenkstätten versüßt dort ein ökozertifizierter Honigladen gleich gegenüber der Gedenkstätte. In dem urigen Holzhaus stürmen Besucher den Tresen, verkosten Wald- oder Himbeer- oder Akazienhonig, gesammelt in fast unberührter Natur, klettern reich beladen in den Bus.
Der weise Bauer von Câmpurile
Nächster Halt: das Gedenkhaus von Ion Roată (1806-1882) in Câmpurile. Zwei Zimmer, eine einzige Fensterfront. Ein niedriger Tisch mit Stühlchen und die typischen bunten Webteppiche, die man als Bettüberwurf wie Wandbehang verwendete, ein schlichter Ofen, gestampfte Erde als Boden. So lebte der „weise Bauer aus Câmpurile“, wie man ihn nannte. Als flammender Unterstützer der Vereinigung der Fürstentümer Walachei und Moldau hatte er am 5. Februar 1859 in Focșani am Treffen mit Alexandru Ioan Cuza teilgenommen, der als gewählter Fürst an der Spitze des neuen Landes stehen sollte. Zunächst wurde Jassy/Iași als Hauptstadt auserkoren, 1862 verlagerte Cuza diese nach Bukarest. Er und sein Ministerpräsident Mihail Kogălniceanu begannen, das Land zu modernisieren und den Bodenbesitz zu reorganisieren, wobei sich Ion Roată für die Interessen der Bauern stark machte. Anschließend kehrt er in sein Heimatdorf zurück, setzt sich für die Gemeinde und die Gründung einer Schule ein und führt sein einfaches Leben als Bauer fort. Bis er 1878 von seinem Freund Kogălniceanu nach Focșani gerufen wird, um die größte Auszeichnung des Landes, den Stern Rumäniens, entgegenzunehmen.
Inzwischen hatte Cuza mit seinen Maßnahmen den Unwillen der einheimischen Kirchenfürsten und des Adels auf sich gezogen. Widerstand gegen ihn kommt aber auch aus Russland und dem Osmanischen Reich. 1866 dringen Soldaten in seinen Palast ein, er wird zur Abdankung gezwungen. Nach einer Volksabstimmung wird Karl von Hohenzollern-Sigmaringen als Fürst des noch jungen Rumäniens auserkoren. Im Rumänischen Unabhängigkeitskrieg kämpfte das Land an russischer Seite gegen das Osmanische Reich – danach wurde es 1878 als unabhängig anerkannt und erhielt die zuvor osmanische Dobrudscha zugeschlagen. Mit der Umwandlung des Fürstentums in ein Königreich 1881 wird aus Fürst Karl der erste rumänische König: Carol I.
Der kulturliebende Major aus Focșani
Aus eben diesem Unabhängigkeitskrieg kehrt der aus Foc{ani stammende Major Gheorghe Pastia (1848-1929) vieldekoriert in seine Heimatstadt zurück. Obwohl Sohn eines Großgrundbesitzers, galt seine ganze Liebe der Kultur. 1886 gibt er seine militärische Karriere auf und spendet sein gesamtes Vermögen für den Bau des Volksathenäums und der Oper – einzige Bedingung: diese sollen seinen Namen tragen. Pastia wird Subpräfekt von Rămnicu-Sărat, Senator und 1911 sogar Abgeordneter – und stirbt dennoch verarmt. Auf einer Bank vor dem Athenäum sei er gesehen worden, in der einen Hand ein Stück Brot, in der anderen eine Olive, von der er gleich zweimal abgebissen habe.
Doch sein Vermächtnis lebt weiter: Das vom Schauspieler Sorin Francu geführte Theater hat heute sechs fest angestellte Schauspieler und kollaboriert mit weiteren 20; für Nachwuchs sorgt ein Schauspielclub für Kinder. Die zwei-drei Premieren pro Jahr sind häufig ausverkauft. Das mit 200 rotsamtenen Stühlen ausgestattete Pastia-Theater ähnelt übrigens den Theatergebäuden in Odessa und in Jassy. Wie auch im Athenäum sorgt dort eine Kuppel für ausgezeichnete Akustik. Das Gebäude verfügt zudem über einen prachtvollen Pavillon für Ausstellungen und Vernissagen. Reizvoll die kreativen Figuren in der Eingangshalle: überlebensgroße Puppen mit Uhren- oder Radio-Kopf, Bücher- oder Schubladenleibern, Porträts auf den Brüsten.
Focșani, einst eine zweigeteilte Grenzstadt – es gab ein Foc{ani der Moldau und ein Focșani Munteniens, das der Milcov trennend durchfloss – war lange Zeit eine bedeutende Zollstation. Doch für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben stellte die Grenze ein Hindernis dar. Nach der offiziellen Vereinigung der beiden Fürstentümer zerstörten die Bürger Focșanis als erstes mit Steinen die verhasste Grenzstation.