Sie ist die älteste Kirche des Landes – und eine der geheimnisvollsten. Ursprünglich ein römischer Mars-Tempel, wenn man Sylvester Joseph Freiherr von Hohenhausen in „Die Altertümer Daciens im heutigen Siebenbürgen. Aus Zeiten, als dieses schöne Land die Römer regierten“ (1775) glauben darf. Nach dem Abzug der Legionen soll er von den ersten Christen als Kirche genutzt worden sein. Die Römer hätten den Tempel gleich nach der Eroberung Dakiens in der neuen Provinz errichtet, um ihrem Kriegsgott zu danken, meinen manche Forscher. Vielleicht aber auch als Zeichen der Unterwerfung von Zamolxe, dem Gott der Besiegten: denn man munkelt, dass der Tempel auf den Grundfesten eines viel älteren Heiligtums steht...
Theorien über die Steinkirche von Densuş (Hunedoara) gibt es fast wie Sterne am Himmel. Zum einen ist es ihre Lage nahe der römischen Hauptstadt Sarmizegetusa Ulpia Traiana, aber auch nicht weit von der Dakerfestung Sarmizegetusa Regia entfernt, die zu Gedanken über Verbindungen zu Römern und Dakern inspiriert. Zum anderen regt ihre untypische Form, die an einen Vogel erinnert, die Phantasie an. Im alten Ägypten stand der Vogel für die befreite Seele, in der christlichen Liturgie für den heiligen Geist. Oder aber ist der Turm einfach ein Schlot gewesen, für den Abzug des Rauchs bei den Brandopfern für Gott Mars, wie Aron Densuşianu 1864 mutmaßte? Lokale Legenden schreiben den Ursprung des Bauwerks den Dakern oder sogar den Riesen zu, die lange vor diesen hier geherrscht haben sollen.
Wer die offizielle Version der Geschichte der doppelt geweihten Kirche – dem heiligen Nikolaus und dem heiligen Jeremias - nachlesen möchte, kann dies auf Wikipedia tun: Demnach wurde sie im 13. Jh im romanischen Stil auf den Ruinen eines älteren Bauwerks aus dem 4. Jh errichtet. Doch auch unter Forschern ist das letzte Wort ist noch lange nicht gesprochen. Ist doch die Wahrheit in der Wissenschaft so wandelbar wie das Universum der ständig neuen Entdeckungen und Theorien.
Kirche, Tempel – oder gar Mausoleum?
Im Stockdunkel hinter dem Eingang zum Naos sitzt ein würdiger Mann mit langer schwarzer Kutte. „Was messen Sie da?“ fragt er neugierig und streckt den schlohweißen Kopf aus der Tür ins gleißende Sonnenlicht. Verschämt lasse ich den Rollmeter in die Tasche gleiten. Denn warum ich seit meinem letzten Besuch in Pătrăuţi (ADZ vom 7.9.2016: „Das Lichträtsel von Pătrăuţi“) alle Eingänge abmesse, kann ich einem orthodoxen Pfarrer beim besten Willen nicht plausibel machen. Und erst recht nicht mein Erstaunen, dass auch hier der Eingang zum Naos genau einen Meter breit ist (Erklärungsversuch: siehe Pătrăuţi), wo doch das Meter als Maßeinheit damals noch gar nicht existierte. Am Rande bemerkt: Auch in der Höhlenkirche von Şinca Veche misst die Eingangsöffnung zum dortigen „Naos“ einen Meter. Seit dieser Erkenntnis ist das Rollmeter mein ständiger Reisebegleiter. „Warum sind so viele Kircheneingänge einen Meter breit?“ frage ich arglos, ohne jede Erklärung, um der Peinlichkeit zu entgehen. „Damit zwei Menschen durchpassen“, antwortet der Kirchenmann. Und dann erstaunt ausgerechnet er mit der Theorie, dies sei ja eigentlich gar keine Kirche... sondern ein umfunktionierter Tempel! Die Ausrichtung des Bauwerks sei zwar entlang der Ost-Westachse, wie alle orthodoxen Kirchen, doch der quadratische Naos, sechs mal sechs Meter, der dem ursprünglichen Tempel entspricht, hatte seinen Altar seitlich in der Apsis. Genau dort, wo außen auf dem Dach zwei steinerne Löwenfiguren thronen.
Wir erstehen eine Menge Räucherwerk – und ein kleines Büchlein: „Die heilige Dreifaltigkeit von Densuş“, herausgegeben vom Bistum Deva. Neben einer Aufzählung vonTheorien beeindruckt es mit einer Liste von Quellenangaben: So mutmaßte der Thorenburger Historiker Laszlo Kovari, die Kirche sei ein Mausoleum gewesen, das Kaiser Trajan seinem Freund, dem von Decebal gefangengenommenen General Cassius Longinus, gewidmet haben soll. Bestattet war er dort wohl nicht, denn Longinus hat anständigerweise Selbstmord begangen, um der Eroberung Dakiens nicht im Weg zu stehen. Eine erste schriftliche Erwähnung der Kirche stammt aus dem 14. Jh. Das Dokument nennt als ersten Pfarrer „Dalc von Densuş“ und als Kirchenstifter eine Familie Muşina, deren Spuren sich bis weit vor 1300 zurückverfolgen lassen. 1961-63 zeigten Ausgrabungen angeblich, dass die Kirche urchristlichen Kultstätten ähnlich und damit vor dem 10. Jh entstanden sei. Den Archäologen Nicolae Puşcaşu ereilte jedoch ein vorzeitiger Tod, so dass er nicht mehr dazu kam, sein Grabungsmanuskript zu übergeben, bedauert der Pfarrer. Seither sei es spurlos verschwunden, vielleicht in den Händen ahnungsloser Nachfahren. 1983-1987 förderten Grabungen in Sarmizegetusa Ulpia Traiana einen heidnischen Tempel zutage, der ebenfalls quadratisch angelegt ist und dessen Dach von vier Säulen getragen wird. Dies unterstützt die Theorie, die Kirche von Densuş könnte Relikt eines römischen Tempels sein.
Dakische Steine - und ein seltsamer Fund
Ungewöhnlich an der Kirche von Densu{ ist, dass sie vollständig aus Stein besteht – einschließlich der Dachplatten. Die Blöcke, die teilweise noch Inschriften tragen, sollen aus der römischen Provinzhauptstadt Sarmizegetusa Ulpia Traiana herbeigeschafft worden sein, behaupten einige Forscher. Vielleicht aber auch aus unmittelbarer Nähe, denn geoelektrische Messungen ergaben, dass sich nur 300 Meter entfernt Ruinen einer größeren Anlage befinden. Zudem berichtet Aron Densuşianu – übrigens der Bruder des für sein Monumentalwerk „Prähistorisches Dakien“ berühmt-geschmähten Nicolae Densuşianu, beide aus Densuş –, im Nachbardorf Peşteana zeitgenössische Mauern mit integrierten römischen Monumentalsteinen gesehen zu haben. Die haben die Bauern bestimmt nicht aus Ulpia Traiana herbeigekarrt! Einige Fenster der Kirche von Densuş sind deutlich als Öffnungen römischer Aquädukte erkennbar. Acht römische Grabsteine bilden die vier tragenden Säulen im Naos. Wenn man außen um die Kirche herumgeht, kann man selbst als Laie unschwer Megalithblöcke aus dakischen Mauern identifizieren: Erkennbar sind sie an den quadratischen Löchern für die Holzbalken, welche die doppelten, ballastgefüllten Mauern des „Murus dacicus“ verstärkten.
Die Wiederverwendung von Steinen aus älteren - auch religionsfremden - Sakralbauten war bereits in der Antike üblich. Man konnte dies als Geste der Integration oder auch der Unterwerfung der Vorgängerreligion verstehen. Der siebenbürgische Historiker und Publizist George Bariţiu schreibt über die Kirche von Densuş: „Hier haben wir das kompletteste Monument von allem, was uns aus Dakien geblieben ist.“ Pfarrer Gherghel Alexandru setzt noch ein Wissensfragment oben drauf: Hier wurde 2004 ein Teil eines Tongefäßes gefunden, auf dessen Henkel eine gestempelte Inschrift prangt. Auf dem Foto des Artefakts ist sie deutlich erkennbar, von oben nach unten gelesen steht dort: CWZWN. Koson! Der Name eines Dakerkönigs, bekannt von gleichnamigen Münzen, die immer wieder aus Sarmizegetusa Regia ausgegraben oder als Schmugglerware in aller Welt sichergestellt wurden.
Einzigartige Fresken
Im Inneren des Naos blicken Heilige aus verblassenden, doch immer noch beeindruckenden Fresken. Die Augen haben ihnen die Tataren ausgekratzt, so der Pfarrer. Glanzstück ist eine Dreifaltigkeitsikone, angeblich weltweit einzigartig: Jesus im rumänischen Trachtenhemd auf dem Schoß des Gottvaters, auf dessen Kopf allerliebst das Heilige-Geist-Vögelchen thront. Neben den bekannten orthodoxen Heiligen gibt es dort auch einen, den heute niemand mehr kennt: „Sf. Kaliporta“ steht auf kyrillisch neben der rätselhaften Figur. Die Innenfresken stammen aus dem Jahre 1443 von einem Maler namens Ştefan, der netterweise seine Signatur hinterlassen hat. Ob Ştefan aus der Walachei oder der Moldau stammt, ist strittig. Seit 1991 steht die Kirche von Densu{ auf der Vorschlagsliste für die Aufnahme in das Welterbe der UNESCO. Ob Dakerheiligtum, Mars-Tempel, Mausoleum oder Urkirche – sie ist es allemal wert!