Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Dieser Satz lässt sich auf eine Gemeinschaft nicht in jeder Hinsicht übertragen. Wohl aber gilt: Die innere Kraft einer Gemeinschaft kann an der Art abgelesen werden, wie sie für jene ihrer Mitglieder sorgt, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, sei es, dass sie dazu die äußere oder innere Kraft nicht haben, sei es, dass sie sich marginalisiert wissen. Ein solches Verständnis war für uns Jahrhunderte hindurch gegeben. Man hat sich innerhalb der Nachbarschaft geholfen und getragen, so wie es die Situation notwendig machte.
Es ist auch die Voraussetzung der Bibel. In allen ihren Teilen hat sie die Gesamtheit des Gottesvolkes im Blick. Und die Sorge gilt immer den „Kleinen“, den „Unmündigen“, den Hilfsbedürftigen. Sie werden von Gott nicht vergessen, auch wenn sie sich selber als vom Schicksal benachteiligt verstehen, von anderen als „gestraft“ angesehen werden.
Dies ist auch die Tendenz des Jesuswortes, das in der kommenden Woche bedacht werden will: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Diese große Einladung schließt keinen aus, will aber vornehmlich jene bedenken, die sich benachteiligt fühlen. Die Situation kann sich im Leben rasch ändern. Wer heute vom Schicksal begünstigt ist, kann sich morgen auf der Schattenseite des Lebens sehen. Zu wissen, dass man auch dann nicht einsam und verlassen ist und vielleicht auch belächelt oder gar verspottet wird, ist für unser Leben ganz wichtig. Viele Gebete des Alten Testaments rufen zu Gott um Hilfe in einer Zeit, wo sich bei den Betern ein Schicksalswechsel eingestellt hat. Sie wussten: „Gott verlässt die Seinen nicht“.
Unsere spezifische Situation ist geprägt von dem Erlebnis der Einsamkeit. Die Nächsten, die Freunde und die Nachbarn sind weg. Dazu kommt das Nachlassen der körperlichen Kräfte. Wie oft empfinden wir: „Ich kann nicht mehr“. Die Verantwortung und die Aufgaben sind groß, wir wissen uns überfordert. Für manchen reicht die Zeit nicht. Das schlechte Gewissen plagt. Man bleibt hinter vielem zurück, von dem man meint, man müsste es angehen oder endlich erledigen. Das gibt das Gefühl, mühselig und beladen zu sein. Auch müde.
So dürfte es tröstlich sein, sich das Wort Jesu zu Herzen zu nehmen: Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Es mag sein, dass jemanden das Wort „kommt“ besonders trifft, weil er oder sie nicht mehr gehen, sich kaum bewegen kann. Das tut nichts, zu Jesus „kommen“ kann man auch zu Hause, auch als Bettlägeriger. Innerlich. Vielleicht in Gedanken, oder beim Lesen oder Hören einiger Worte aus der Bibel oder aus dem Gesangbuch. Ein großer Mann hat einmal gesagt: Bei Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Auch in der größten Anfechtung oder Schwäche gilt das Wort: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir.“
So wird es auch das Anliegen jener sein, die (noch) bei Kräften sind, den „Mühseligen, Beladenen, Müden und Kraftlosen beizustehen und die Gemeinschaft untereinander zu stärken, auch und gerade dort, wo sich Glieder dieser Gemeinschaft am Ende ihrer Kraft befinden. Wenn Jesus sagt: „kommt“, dann kann das für uns auch heißen: Geht zu den Mühseligen und Beladenen, geht in meinem Namen. Und ich werde mit euch sein.