Wir trafen uns in Wien. Verantwortliche aus dem Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM/ YMCA) waren aus Europa, Afrika, Nord- und Südamerika angereist. Es begann ein harmonischer und interessanter Austausch. Heiße Eisen klammerten wir aus. Zunächst! Dann legten unsere afrikanischen Geschwister ihr Thema auf den Tisch: Apartheid! Wir bejahten ihre Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit. Aber hier ging es um den bewaffneten Aufstand, auch um Leben und Tod der weißen Unterdrücker. Dürfen Christen zu den Waffen greifen, einander umbringen? Fast alle Europäer sahen einen Konflikt, den man so nicht lösen durfte. Die Emotionen kochten hoch! Wir waren mit unserem Latein am Ende. Würde die Konferenz scheitern? Da kam von unseren südamerikanischen Frauen der Vorschlag, innezuhalten, gemeinsam zu beten! Ich fand das sehr mutig! Haben wir andere Alternativen in bestimmten Situationen unseres Lebens, wenn wir an unsere Grenzen kommen?
„Das Kind betet, der Mann will!“ Sicherlich ist Ihnen dieser Ausspruch des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte auch schon begegnet. Er fiel im Gespräch mit dem bekannten und frommen Freiherrn und Baron von Kottwitz. Der erwiderte bescheiden: „Herr Professor, ich habe sechshundert Leute zu versorgen. Oft weiß ich nicht, woher ich das Brot nehmen soll. Da kenne ich nur ein Mittel: das Gebet zu meinem himmlischen Vater. Der hat mir noch immer geholfen!“ Fichte war eine Weile still. Tränen rannen über seine Wangen. Dann sagte er: „Ja, lieber Baron, bis dahin reicht meine Philosophie nicht!“
„Das Kind betet, der Mann will!“ Ich setze hinter diese Worte mein persönliches Fragezeichen. Sage aber nicht, dass wir Christen willenlose Marionetten eines allmächtigen Gottes sind! Den Gott, der so etwas von seinen Geschöpfen verlangt, haben wir selber geschaffen. Wichtig ist mir persönlich, dass ich mir gesetzte Grenzen und Beschränkungen anerkenne und gerne akzeptiere. Dabei weiß ich als ehemaliger Handballspieler, dass wir viel begabter sind und mehr leisten können, als wir uns normalerweise zutrauen. In jeder Niederlage die neue Chance erkennen, ist hilfreich, bewahrt vor Resignation und Traurigkeit, die uns in die Tiefe ziehen wollen und können.
Hilfreich, dass der Apostel Paulus uns im Philipperbrief (2,13) auf Gottes Größe und Liebe hinweist. Er beschenkt mit dem guten und festen Willen, der Kraft und Energie, Gutes zu realisieren, mit der Fantasie und offenen Augen, um zu sehen, was jetzt dran ist! Paulus spricht vom Wollen und Vollbringen, das Gott in uns wirkt. Ob wir uns über dieses Geschenk freuen? Freuen auch über die Möglichkeit, beten und vertrauen zu können?
Exaudi ist der lateinische Name unseres Sonntags. Auf Deutsch: „Herr, höre meine Stimme!“ Einem uralten Gebet sind diese Worte entnommen, dem 27. Psalm. Dem jüdischen König David werden diese Worte zugeschrieben. Viele Aussagen des Psalms werden Ihnen bekannt sein. Vielleicht gewinnen Sie beim Lesen dieser 14 Verse sogar neue Zuversicht, erstarkt Ihr Glaube, werden Sie ruhig und Freude erfüllt Ihr Herz. Mir ging es ebenso!
Sie erinnern sich vielleicht, wie dieser König es erleben musste, dass sich der eigene Sohn gegen ihn empörte. David musste fliehen. Und dann, vielleicht das Schlimmste, was Eltern widerfahren kann: Der Sohn stirbt in seinem Aufruhr und Hass! David bleibt am Leben! So etwas Bitteres und Schweres habe ich persönlich nie erlebt und bleibe hoffentlich auch in Zukunft davor verschont. Aber gerade deswegen sprechen mich die Worte dieses Gebetes an, ermutigen mich, erneuern Gottes Frieden in und mit mir! Ich weiß zwar nie, was Gott mit Ihren und meinen Gebeten macht, aber ich weiß: er hört! Ja, er hört zu, nimmt ganz genau zur Kenntnis, was uns umtreibt und bewegt. Ganz wach ist er, wenn seine Kinder zu ihm in solchen und kleineren Nöten schreien! Er will uns immer wieder seine großen Wunder erfahren lassen. Das kann zwar auch ohne unser Gebet und Zutun geschehen! Gut, wenn wir beten könnten, als besäßen wir keine Alternativen, uns gleichzeitig aber bemühen, als hätte Jesus Christus nie gesagt:„Bittet, so wird euch gegeben!“